Entstehung von Biomolekülen auf kosmischem Staub
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
11. Februar 2022
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist der Nachweis
einer neuen chemischen Reaktion gelungen, die es ermöglichen könnte, dass kleine
Biomoleküle auf der eisigen Oberfläche von kosmischen Staubkörnern entstehen.
Dies könnte bei der Klärung der Frage helfen, ob Material aus dem All die
Entstehung des Lebens auf der Erde maßgeblich unterstützt hat.

Eine neuartige chemische Reaktion kann
erklären, wie auf den Eismänteln von kosmischen
Staubkörnern Peptide entstehen können.
Bild: S. Krasnokutski /
MPIA-Grafikabteilung [Großansicht] |
Der Ursprung des Lebens auf der Erde könnte sowohl einen kosmischen als auch
einen irdischen Anteil gehabt haben: Organische Moleküle, die sich im Weltraum
gebildet haben und von Meteoriten zur Erde getragen wurden, könnten organische
Bausteine geliefert haben, die bei der Entstehung des eigentlichen Lebens, d. h.
von sich selbst reproduzierenden Einheiten wie Protozellen, eine Rolle spielten.
Solche Szenarien stellen eine interessante Alternative zu einem rein irdischen
Szenario dar, bei dem die notwendigen organischen Chemikalien für die Entstehung
von Lebensformen direkt auf der Erde entstanden.
Vor einigen Jahren haben Astronomen der McMaster University in Kanada und des
Max-Planck-Instituts für Astronomie eine Berechnung für Szenarien vorgelegt, in
denen diese Art von Molekül-Lieferungen aus dem Weltall warme, flache Teiche auf
der Erde in geeignete Orte für die Entstehung von Leben verwandelt haben. Offen ist
jedoch, wie komplex die kosmischen organischen Moleküle überhaupt werden können
– und damit auch, welche Beiträge zum Ursprung des Lebens sie überhaupt hätten
leisten können. Eine neue Studie deutet nun darauf hin, dass organische Moleküle
aus dem Weltraum komplexer sein können als bisher gedacht.
Sogar Peptide, die kürzeren Pendants zu Proteinen, könnten im Weltraum
entstehen. Peptide spielen in lebenden Organismen eine Reihe wichtiger Rollen –
und eine neu entdeckte chemische Reaktion zeigt, wie diese Moleküle in den
Tiefen des Weltraums in großer Zahl entstehen können. "Es ist erstaunlich, dass komplexe organische Moleküle im Weltall existieren
können – in Materiewolken zwischen den Sternen, in protoplanetaren Scheiben,
primitiven Meteoriten und in Kometen", so Thomas Henning, Direktor am
Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA). "Solche Moleküle können durch eine
Vielzahl von Prozessen gebildet werden: in Gasphasenreaktionen, auf vereisten
Staubkornoberflächen oder in wässrigen Regionen auf denjenigen Körpern, von
denen uns hier auf der Erde Bruchstücke in Form von Meteoriten erreichen."
Für die jetzt veröffentlichte Studie sind die eisigen Oberflächen von
Staubkörnern wichtig. Solche Staubkörner entstehen beispielsweise in den äußeren
Schichten kühler Sterne und in der Umgebung von Supernova-Explosionen. Neuere
Forschungen zeigen aber, dass der meiste Staub in Galaxien direkt im
interstellaren Medium gebildet wird – also in denjenigen Regionen in den
riesigen Zwischenräumen zwischen den Sternen, die Materie geringer Dichte sowie
Strahlung enthalten. Der Staub besteht aus Kohlenstoff- oder Siliziumatomen, die
zu Konglomeraten von weniger als einem Millionstel Meter Durchmesser verklumpt
sind. Lässt man Wasserstoff und Helium beiseite, dann besteht die restliche
Materie in den riesigen Molekülwolken des interstellaren Mediums gut zur Hälfte
aus Staub.
Molekülwolken sind der Ort, an dem neue Sterne geboren werden – und aus einem
Teil des Staubs entstehen dann neue Planeten. Der Schlüssel zur kosmischen
Chemie der Staubkörner sind Eisschichten, die sich um die Staubkörner herum
bilden. Dort können Wasser- und Kohlenmonoxidmoleküle, aber auch andere Moleküle
auf der Oberfläche der Körner "hängenbleiben". Die Eisschichten werden so zum
kosmischen Chemielabor. Dort können sich Moleküle ansammeln und einander nahe
genug kommen, um chemische Reaktionen auszulösen.
Aber wie komplex können Moleküle unter Weltraumbedingungen auf der eisigen
Oberfläche von Staubkörnern in riesigen Molekülwolken überhaupt werden? Die neue
Studie zeigt: offenbar komplexer als bisher angenommen. Sogar die Bildung von
Peptiden könnte auf diesen Oberflächen möglich sein. Peptide spielen eine
wichtige Rolle in der Physiologie der Lebewesen auf der Erde. Sie sind die
Kurzversionen der Proteine, und die wiederum spielen eine zentrale Rolle für
Leben wie wir es kennen.
Mithilfe von quantenchemischen Berechnungen konnte das Team um Serge
Krasnokutski von der Universität Jena und der Forschungsgruppe Laborastrophysik
des MPIA zeigen, dass unter den Bedingungen, die auf kleinen Eisflächen
herrschen, die Reaktion, bei der Kohlenmonoxid, ungebundene Kohlenstoffatome und
Ammoniak in Aminoketen umgewandelt werden, tatsächlich spontan abzulaufen
scheint und keinen zusätzlichen Energieaufwand erfordert.
Die Bildung von Aminoketen wiederum war ein vielversprechender Schritt
hin zur Bildung der einfachsten Form von Peptiden, nämlich solchen, in deren
Ketten Glycin eingebaut ist. Aber es gab keine Möglichkeit, einfach zu
berechnen, was als Nächstes kommen würde und ob sich das Aminoketen tatsächlich
in die für Peptide benötigten Polymerketten umwandeln würde. Hier waren
Experimente gefragt.
Die Forscher verwendeten dafür eine High-Tech-Apparatur, welche die
wichtigsten Eigenschaften einer eisigen Staubkornoberfläche im Weltraum
reproduzieren kann: Das INter-Stellar Ice Dust Experiment (INSIDE), das einige
Jahre zuvor in der MPIA-Laborastrophysik-Arbeitsgruppe an der Universität Jena
unter der Leitung von Cornelia Jäger entwickelt worden war. Das Schlüsselelement
des Aufbaus ist eine Ultrahochvakuumkammer, die künstlich einen Zustand ähnlich
geringer Dichte erzeugen kann, wie er in Molekülwolken im interstellaren Medium
herrscht.
In der für diese Experimente verwendeten Version wurde die Oberfläche der
Staubkörner durch eine zwei Millimeter dicke Kaliumbromidscheibe mit einem
Durchmesser von 2,5 Zentimetern simuliert, deren Temperatur sehr genau reguliert
werden kann, und zwar bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt. Auf
dieser Oberfläche können sich Atome und Moleküle anlagern, und das unter recht
ähnlichen Bedingungen wie man sie auf den Oberflächen kosmischer Staubkörner
erwarten würde. Mithilfe eines Infrarot-Spektrographen, der die Probe mit Licht
bestrahlt und diejenigen Anteile des Lichts analysiert, die auf der anderen
Seite wieder herauskommen (also von der Probe weder absorbiert noch gestreut
wurden), ist es möglich, bestimmte Moleküle oder Teile solcher Moleküle auf der
Probenfläche anhand ihres "spektralen Fingerabdrucks" zu identifizieren.
Auf die Testoberfläche wurde eine geringe Menge Kohlenmonoxid, ungebundene
Kohlenstoffatome und Ammoniak aufgetragen - eine Schicht, die höchstens ein paar
Dutzend Moleküle bzw. Atome dick war. Das Team kühlte die Testoberfläche auf
zehn Kelvin ab (entsprechend der typischen Temperatur im Inneren von
Molekülwolken) und versuchte dann, zwei entscheidende Fragen zu klären: Findet
die Reaktion statt, wenn nur zwei der drei Zutaten vorhanden sind? (Antwort:
nein.) Was zeigt die Infrarotspektroskopie? (Antwort: einen Fingerabdruck, der
auf die Anwesenheit von Aminoketen hinweist.) Außerdem beobachteten die
Forscherinnen und Forscher sorgfältig, was mit ihrer Probe geschah, als sie sie
langsam wieder auf Raumtemperatur erwärmten, und bestätigten durch
Massenspektroskopie, dass der Rückstand tatsächlich die erwarteten Mengen von
Molekülen mit genau der richtigen Masse enthielt. Offensichtlich entstand auf
dem Staubkorn-Ersatz tatsächlich Aminoketen.
Die Erwärmung der Probe diente dabei einem weiteren wichtigen Zweck. Bei
Temperaturen um die 110 Kelvin begann sich die auf dem künstlichen kosmischen
Staubkorn abgelagerte Substanz zu verändern. Die Infrarotspektroskopie zeigte
verräterische Anzeichen, sogenannte "Peptidbanden" im Spektrum, für genau
diejenige Art von chemischer Bindung, die Aminosäuren in den kürzeren
Molekülketten ("Polymere") von Peptiden sowie in den längeren Ketten von
Proteinen zusammenhält.
Für interstellare Staubkörner gibt es dabei mehrere Möglichkeiten, wie diese
leichte Erwärmung zustande kommen könnte. Insbesondere wird eine Staubwolke
aufgewärmt, wenn in einigem Abstand davon ein neuer Stern entsteht. Es ist aber
auch möglich, dass die entsprechenden Reaktionen erst stattfinden, wenn das
Staubkorn bereits auf eine Planetenoberfläche gefallen ist. Ein Planet in der
sogenannten habitablen Zone seines Sterns kann per Definition
Oberflächentemperaturen aufweisen, die flüssiges Wasser ermöglichen.
Zusammengenommen können die Niedrigtemperatur-Reaktionen, bei denen Aminoketen
entsteht, und die Erwärmung, bei der sich die Aminoketen-Moleküle zu Peptiden
verbinden, Peptide auf interstellaren Staubkörnern erzeugen.
Alles zusammengenommen hatten Krasnokutski und seine Kolleginnen und Kollegen
damit einen neuen chemischen Weg für die Bildung von Peptiden und Proteinen
gefunden, der bis dahin nicht bekannt gewesen war. Entscheidend dabei war das
Überspringen der Zwischenstufe der Bildung von Aminosäuren. Damit fällt dann
nämlich auch der energieaufwändige Prozess des Wasserentzugs weg, der bei
herkömmlichen Reaktionen nötig ist, um Aminosäuren zu Peptiden oder Proteinen
zusammenzufügen.
Die für die Reaktion benötigten Bestandteile gehören zu den am häufigsten
vorkommenden Molekülarten im interstellaren Raum. Da die Hürde des erhöhten
Energiebedarfs wegfällt, könnte die alternative Art der Bildung von Peptiden und
allgemeiner von Proteinen zu einer beträchtlichen Menge dieser Art von
organischem Material im Weltraum führen. "Die einzelnen Kohlenstoffatome setzen
eine reiche und vielfältige Chemie in Gang", unterstreicht Krasnokutski. "Selbst
unter den Bedingungen, die im Weltraum herrschen, geht diese Chemie viel weiter
in Richtung dessen, was für die Entstehung von Leben notwendig ist, als bisher
angenommen."
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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