Den Einfluss der Sonne berechenbarer machen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der TU Graz astronews.com
16. Juni 2021
Auch wer sich nicht für Raumfahrt interessiert, ist im
täglichen Leben immer mehr von Satelliten und den durch diese ermöglichten
Dienstleistungen abhängig. Umso wichtiger ist es, den Einfluss von
Sonnenereignissen auf satellitenbasierte Anwendungen zu erforschen und
vorherzusagen. Dies geschieht derzeit in zwei Projekten in Graz.
Anhand ausgewerteter Daten von Sonnenevents
– hier eine Sonneneruption vom März 2015 – wollen
Grazer Forschende Vorhersagemodelle für
Weltraumwetterprognosen entwickeln.
Bild: IFG- TU
Graz / NASA/SDO (Foto der Sonne) [Großansicht] |
Sonnenstürme und ähnliche Ereignisse können elektronische Systeme auf der
Erde, aber auch in Satelliten nachhaltig schädigen. Bei koronalen
Massenauswürfen stößt die Sonne riesige Wolken geladener Plasmateilchen aus, die
das Erdmagnetfeld massiv stören können. "Das ausgestoßene Plasma besteht
hauptsächlich aus Elektronen und Protonen und erhöht die Teilchendichte in der
Erdatmosphäre", erklärt TU Graz-Forscher Sandro Krauß vom Institut für Geodäsie.
Kommunikationssignale von Satelliten können verzögert werden und eine
fehlerhafte Positionsbestimmung zur Folge haben.
Die Plasmateilchen heizen aber vor allem die oberen Schichten der
Erdatmosphäre so sehr auf, dass sich diese ausdehnt, der Luftwiderstand zunimmt
und Satelliten an Geschwindigkeit und Höhe verlieren. Im schlimmsten Fall kann
es zum Verlust von Forschungssatelliten kommen. Krauß und sein Team arbeiten nun
in zwei Forschungsprojekten, um solche Weltraumwetterereignisse gezielt und
rechtzeitig vorhersagen zu können, damit Satellitenbetreiber und
Weltraumorganisationen zukünftig auf die damit verbundenen Gefahren zeitgerecht
reagieren können.
Im Projekt SWEETS verfolgt die Forschungsgruppe gemeinsam mit
Astrophysikerinnen und Astrophysikern der Uni Graz einen neuen kombinierten
Ansatz, um die Auswirkungen von Sonnenereignissen auf Satelliten vorherzusagen.
Die Grundlage dafür bilden Atmosphärendichtemessungen, abgeleitet aus
Umlaufbahninformationen und Beschleunigungsmesswerten einiger Satelliten, wie
Krauß präzisiert: "Je nach atmosphärischer Dichte können Satelliten mehr oder
weniger stark beschleunigt werden. Aus diesen Beschleunigungssensoren können wir
auf die Dichte schließen."
Da sich die Satelliten in unterschiedlichen Flughöhen (zwischen 300 und 800
Kilometer) befinden, können die Forschenden eine Tomografie der oberen
Erdatmosphäre konstruieren und in Abhängigkeit der Satellitenhöhe dann den
Einfluss des Sonnenereignisses auf die Atmosphäre abschätzen. In Kombination mit
Echtzeitmessungen des Sonnenwindplasmas und des Erdmagnetfelds durch Satelliten,
die 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt positioniert sind, soll das zu
Vorhersagen mit einer Vorlaufzeit von sechs bis acht Stunden führen.
"Die Satelliten beginnen mit den Messungen, sobald der Sonnenwind auf sie
trifft. Die Daten werden dann direkt an die Bodenstationen übermittelt", erklärt
Krauß. Um die Vorlaufzeit auf bis zu zwei Stunden auszudehnen, verknüpft das
Projektteam die gewonnenen Daten mit geomagnetischen und physikalischen Werten
von mehreren hundert bis ins Jahr 2000 zurückreichenden Sonnenereignissen. Die
Analyse basiert auf algorithmischen Berechnungen. Die Ergebnisse werden anhand
eines Echtzeit-Demonstrators (SODA) veröffentlicht und sollen zukünftig in das "Safety
and Security"-Programms der europäischen Weltraumagentur ESA einfließen.
Im Rahmen des Projekts ESPRIT wiederum erforschen das Team der TU Graz
gemeinsam mit dem Institut für Weltraumforschung der ÖAW (Österreichische
Akademie der Wissenschaften) die physikalischen Zustände des Sonnenwindplasmas
und des interplanetaren Magnetfeldes sowie die eigentliche Solarstrahlung
während unterschiedlicher Sonnenereignisse. Unterstützung erhalten sie von
Kolleginnen und Kollegen der Uni Graz und der University of Colorado in
Boulder.
"Speziell in puncto Genauigkeit und Zuverlässigkeit steckt die Vorhersage von
Sonnenereignissen noch in den Kinderschuhen", so Krauß zur Notwendigkeit, mehr
Kenntnisse über das Weltraumwetter zu erwerben. Näher untersucht wird außerdem
die chemische Zusammensetzung der oberen Erdatmosphäre. Es ist bekannt, dass
bestimmte, dort vorkommende Verbindungen aus Stickoxid, Kohlenstoffdioxid und
Helium kühlen und so das Aufheizen der Erdatmosphäre in Folge von Sonnenstürmen
minimieren. Ein Vorteil für die Erdatmosphäre, aber ein Nachteil für die
Wissenschaft, denn, so Krauß: "Wir wissen noch zu wenig über den Ursprung dieser
chemischen Zustände. Das erschwert die Vorhersagegenauigkeit."
Krauß prognostiziert, dass die Ergebnisse beider Projekte schon im Laufe der
nächsten drei Jahre zu besseren und genaueren Vorhersagemodellen führen werden.
Das sei aufgrund der rasanten Entwicklungssprünge auch notwendig, um für Geräte
des täglichen Gebrauchs und technische Infrastruktur das Risiko von Fehlern und
Ausfällen zu senken.
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