Ursprünglicher als jeder andere Komet
von
Stefan Deiters astronews.com
31. März 2021
Der interstellare Komet 2I/Borisov, der im August 2019 als
erst zweites Objekt aus einem anderen Sonnensystem entdeckt worden war, dürfte
zu den unberührtesten Körpern zählen, die man je beobachtet hat. Das ergaben
neue Analysen mit dem Very Large Telescope der ESO. Bevor er in unser
Sonnensystem eindrang, ist er vermutlich keinem anderen Stern nahegekommen.
Beobachtung des Kometen 2I/Borisov Ende 2019 mit dem
Instrument FORS2 am VLT.
Bild: ESO/O. Hainaut [Großansicht] |
2I/Borisov war am 30. August 2019 von dem Amateurastronom Gennady
Borisov mithilfe seines selbstgebauten 65-Zentimeter-Teleskops von der Krim
aus entdeckt worden. Zunächst schien es sich bei dem Fund um einen ganz
gewöhnlichen Kometen zu handeln, der sich langsam dem inneren Sonnensystem
näherte. So verfügte 2I/Borisov bereits über eine Koma und entwickelte später auch
einen kleinen Schweif.
Beobachtungen von professionellen Astronomen und Amateuren führten dann aber
schnell zu der Erkenntnis, dass der Brocken alles andere als normal war: Die
errechnete Bahn legte nahe, dass der Komet nicht aus unserem Sonnensystem
stammt, sondern - genau wie der Ende 2017 entdeckte 1I/ʻOumuamua - aus dem
interstellaren Raum kommt und dem inneren Sonnensystem nur eine Stippvisite
abstattet - ein Sachverhalt, an dem es heute keine Zweifel mehr gibt.
Nun deuten neue Beobachtungen des Kometen mit dem Very Large Telescope
der ESO auf eine weitere Besonderheit hin: "2I/Borisov könnte der erste wirklich
unverfälschte Komet sein, der jemals beobachtet wurde", so Stefano Bagnulo vom
Armagh Observatory and Planetarium in Nordirland. Das Team um Bagnulo nutzte das
Instrument FORS2, um die Polarisation des Lichts von 2I/Borisov zu bestimmen.
Diese oft bei Kometen angewandte Technik verrät den Forschenden etwas über die
Zusammensetzung der eisigen Brocken.
Das Team hat nun ihre Beobachtungen von 2I/Borisov mit denen von bekannten
Kometen unseres Sonnensystems verglichen. Die polarimetrischen Eigenschaften des
Besuchers unterschieden sich von diesen deutlich - es gab allerdings eine Ausnahme:
der Komet Hale-Bopp, der Ende der 1990er Jahre für ein eindrucksvolles
Schauspiel am Himmel sorgte und der als einer der ursprünglichsten Kometen gilt,
der je ins innere Sonnensystem gelangt ist. Hale-Bopp dürfte zuvor unsere Sonne
bislang nur einmal passiert haben. Dadurch war er dem Einfluss unseres
Zentralsterns bislang
nur sehr wenig ausgesetzt und konnte sich weitgehend seine ursprüngliche
Zusammensetzung bewahren - und diese entspricht der Wolke aus Gas und Staub, aus
der der Komet vor rund 4,5 Milliarden Jahren einmal entstanden ist.
Der Vergleich und die weitere Analyse der Beobachtungen von 2I/Borisov ergab,
dass dieser vermutlich noch unberührter sein dürfte als Hale-Bopp. "Die
Tatsache, dass die beiden Kometen bemerkenswert ähnlich sind, legt nahe, dass
die Umgebung, in der 2I/Borisov entstanden ist, sich in ihrer Zusammensetzung
nicht so sehr von der Umgebung im frühen Sonnensystem unterscheidet", sagt
Alberto Cellino vom Astrophysikalischen Observatorium von Turin, das Teil des
italienischen Nationalen Instituts für Astrophysik (INAF) ist.
"Die Ankunft von 2I/Borisov aus dem interstellaren Raum stellt die erste
Gelegenheit dar, die Zusammensetzung eines Kometen aus einem anderen
Planetensystem zu untersuchen", unterstreicht Ludmilla Kolokolova von der
University of Maryland in den USA. "So können wir überprüfen, ob sich das
Material, das von diesem Kometen stammt, irgendwie von unserer heimischen
Population unterscheidet."
Bin Yang, Astronomin bei der ESO in Chile, hat mit ihrem Team nicht nur das
Very Large Telescope, sondern auch das Atacama Large Millimeter/submillimeter
Array (ALMA) für Beobachtungen von 2I/Borisov genutzt. Sie stellte so fest,
dass die Koma des Kometen kompakte Körner von etwa einem Millimeter Größe und
mehr enthält. Darüber hinaus konnte das Team nachweisen, dass sich die relativen Mengen an
Kohlenmonoxid und Wasser im Kometen drastisch veränderten, als er sich der Sonne
näherte.
Die Erkenntnisse aus den VLT- und ALMA-Beobachtungen könnten, so die Forschenden, darauf hindeuten, dass der Komet aus Materialien
besteht, die sich an verschiedenen Orten in seinem Ursprungssystem gebildet haben
- von Gegenden in der Nähe des Heimatsterns von 2I/Borisov bis hin zu weiter
entfernten Regionen. Ein Grund für diese Mischung könnten Riesenplaneten sein,
deren starke Schwerkraft Material im System aufwirbelt.
Über ihre Ergebnisse berichten die Teams in zwei Fachartikeln, die
in Nature Communications und Nature Astronomy erschienen sind.
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