Die Neigung der Erdachse und die Eiszeiten
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Alfred-Wegener-Instituts astronews.com
4. November 2020
Im Laufe der jüngeren Erdgeschichte der letzten 2,6
Millionen Jahre haben sich Eis- und Warmzeiten immer wieder abgewechselt. Eine
Erklärung dafür ist die Neigung der Erdachse, die periodisch um wenige Grad
schwankt. Allerdings passt die Abfolge von Warm- und Eiszeiten nicht immer zu
dieser Periodizität - und dies offenbar recht häufig in den letzten 2,6
Millionen Jahren, wie eine neue Studie jetzt zeigt.
Luftaufnahme des Beyond EPICA Camps.
Bild: Beyond EPICA [Großansicht] |
Wer die Rolle des Menschen bei der Entwicklung des heutigen Klimas verstehen
will, muss weit zurückblicken, denn Klimawandel hat es schon immer gegeben –
allerdings auf ganz anderen Zeiträumen als der vom Menschen verursachte
Klimawandel, der vor allem auf dem Verbrauch fossiler Brennstoffe in den letzten
200 Jahren beruht. Ohne den Menschen wechseln sich Eis- und Warmzeiten seit
Millionen von Jahren über viele tausend Jahre ab, vor allem durch die schräg
stehende Erdachse. Deren Winkel verändert sich regelmäßig mit einer Periodizität
von 41.000 Jahre um wenige Grad. Dadurch verändert sich auch der Winkel, in dem
die Sonnenstrahlen auf die Erde treffen – und somit die Energie, die
insbesondere im Sommer in den hohen Breiten auf den Globus trifft.
Allerdings gibt es starke Hinweise darauf, dass im Laufe der letzten 2,6
Millionen Jahre immer wieder einmal Warmzeiten übersprungen wurden. Die
Nordhalbkugel – insbesondere Nordamerika – blieb länger vereist, obwohl sich der
Winkel der Erdachse derart änderte, dass wieder mehr Sonnenenergie im Sommer die
Erde erreichte und die Landeismassen hätten schmelzen müssen. Die Schrägstellung
der Erdachse kann also nicht der alleinige Grund für den Wechsel von Eis- und
Warmzeiten sein.
Um das Rätsel zu lösen, wollen Klimaforscher genauer klären, wann in der
Erdgeschichte Unregelmäßigkeiten auftraten. Zusammen mit Kollegen von der
Universität Utrecht hat der Physiker Peter Köhler vom Alfred-Wegener-Institut
(AWI) jetzt einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Abfolge von Eis- und
Warmzeiten während der vergangenen 2,6 Millionen Jahre besser nachzuvollziehen.
Bisher ging die Fachwelt davon aus, dass vor allem während der letzten 1,0
Millionen Jahre Eis- und Warmzeiten vom typischen 41.000-Jahre-Rhythmus
abwichen, Warmzeiten übersprungen wurden und die Eiszeiten daher 80.0000 oder
gar 120.000 Jahre dauerten.
"Für den Zeitraum zwischen 2,6 und 1,0 Millionen Jahren ging man eher von
einer regelmäßigen Abfolge im Rhythmus von rund 41.000-Jahren aus", erläutert
Köhler. Wie seine Arbeit zeigt, traten aber auch zwischen 2,6 und 1,0 Millionen
Jahren immer wieder Unregelmäßigkeiten auf. Die Studie ist deshalb interessant,
weil er dafür einen altbekannten Datensatz neu ausgewertet hat, mit dem
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit vielen Jahren arbeiten – dem
LR04-Klimadatensatz. Doch kommt er jetzt zu ganz anderen Ergebnissen.
Bei diesem Datensatz handelt es sich um eine weltweite Auswertung von
Bohrkernen aus Millionen Jahre alten Tiefseesedimenten. Der Datensatz enthält
Messwerte aus den uralten Hartschalen mikroskopisch kleiner, einzelliger
Meeresbewohner – den Foraminiferen, die sich am Meeresboden abgelagert haben.
Foraminiferen bauen in ihren Kalkschalen Sauerstoff aus dem Meerwasser ein. Im
Meerwasser aber schwankt im Laufe von Jahrtausenden der Gehalt bestimmter
Sauerstoff-Isotope – von Sauerstoffatomen, die sich in der Zahl ihrer Neutronen
und damit ihrem Gewicht unterscheiden.
Der Datensatz LR04 enthält Messwerte des Verhältnisses des schweren
Sauerstoff-Isotops 18O zum leichteren 16O. Die Einlagerung
dieses 18O/16O-Verhältnisses in den Foraminiferen ist von
der Wassertemperatur abhängig. Doch gibt es noch einen zweiten Effekt, der dazu
führt, dass man in den Schalen der Foraminiferen während Eiszeiten relativ viel
18O findet: Wenn im Laufe einer Eiszeit Unmengen von Schnee auf Land
herabschneien und damit dicke Landeisschilde wachsen, sinkt der Meeresspiegel –
im untersuchten Zeitraum während der Eiszeiten um bis zu 120 Meter. Da 18O
schwerer als 16O ist, verdunsten Wassermoleküle mit diesen schweren
Isotopen weniger stark als Moleküle, die das leichtere Sauerstoff-Isotop
enthalten. Somit bleibt verhältnismäßig mehr 18O im Meer zurück und
der 18O-Gehalt in den Hartschalen der Foraminiferen steigt
automatisch an.
"Wenn man den LR04-Datensatz direkt nutzt, vermischt man folglich zwei
Effekte – den Einfluss der Meerestemperatur und den Einfluss des Landeises
beziehungsweise des sinkenden Meeresspiegels", erklärt Köhler. "Aussagen über
den Verlauf der Eiszeiten werden damit unsicher." Und noch etwas komme hinzu:
Den Verlauf von Eiszeiten machen Klimaforscher vor allem an der Vereisung der
Nordhalbkugel fest. Anhand des 18O-Werts aber kann man nicht
unterscheiden, ob eine prähistorische Vereisung auf der Nordhalbkugel oder eher
in der Antarktis stattgefunden hat.
Deshalb hat das Team um Köhler den LR04-Datensatz jetzt ganz anders
ausgewertet. Die LR04-Daten wurden in ein Computermodell eingegeben, das das
Wachsen und Abschmelzen der großen Eisschilde auf den Kontinenten berechnen
kann. Das Interessante daran: Das Modell ist in der Lage, den Einfluss der
Temperatur und des sinkenden Meeresspiegels auf die 18O-Konzentration
voneinander zu trennen. Außerdem kann es sehr genau analysieren, wann und wo
Schnee fällt und die Landeisschilde wachsen – eher auf der Nordhalbkugel oder in
der Antarktis. "Eine solche Trennung von Einflussgrößen nennen Mathematiker
Dekonvolution oder auch Entfaltung", erklärt Köhler. "Unser Modell ist dazu in
der Lage."
Im Ergebnis zeigt es, dass die Abfolge von Eis- und Warmzeiten bereits im
Zeitraum von 2,6 bis 1,0 Millionen Jahren unregelmäßig war; eine Erkenntnis, die
in den kommenden Jahren sehr wichtig werden könnte. Denn in dem laufenden großen
EU-Projekt "BE-OIC Beyond EPICA Oldest Ice Core" wollen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler jetzt tiefer denn je in das Eis der Antarktis bohren. Mit der
bislang ältesten zurückreichenden Bohrung "EPICA" sind sie nur rund 800.000
Jahre in die Vergangenheit gereist.
Das uralte Eis gibt unter anderem darüber Aufschluss, wie viel Kohlendioxid
die Erdatmosphäre damals enthielt. Mit "Beyond EPICA" soll es nun rund 1,5
Millionen Jahre in die Vergangenheit gehen. Kombiniert man dann die
Kohlendioxid-Messwerte mit den Analysen von Köhler, kann man Hinweise darauf
gewinnen, wie beides zusammenhängt – die Schwankungen in der Abfolge der
Eiszeiten und der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre. Und das ist wichtig, um zu
verstehen, wie Treibhausgase und eiszeitliche Klimaänderungen grundlegend
zusammenhängen.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Communications erschienen ist.
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