Eine Art Milchstraße in großer Entfernung
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik astronews.com
13. August 2020
Astronominnen und Astronomen haben mithilfe des
Teleskopverbunds ALMA eine extrem weit entfernte und daher sehr junge Galaxie
entdeckt, die unserer Milchstraße überraschend ähnlich sieht und sehr viel
weniger chaotisch erscheint, als man dies eigentlich erwartet hatte. Dies
widerspricht Theorien, nach denen alle Galaxien im frühen Universum turbulent
und instabil waren.
Astronomen haben eine extrem weit entfernte
und daher sehr junge Galaxie entdeckt, die
unserer Milchstraße überraschend ähnlich sieht.
Das Licht der Galaxie, SPT0418-47, wird von einer
nahen Galaxie gravitativ verzerrt und erscheint
am Himmel als nahezu perfekter Lichtkranz, ein
sogenannter "Einstein-Ring".
Bild: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Rizzo et al. [Großansicht]
Das Forschungsteam rekonstruierte die wahre
Form der entfernten Galaxie, die hier gezeigt
wird, und die Bewegung ihres Gases aus den
ALMA-Daten mithilfe einer neuen
computergestützten Modellierungstechnik. Die
Beobachtungen deuten darauf hin, dass es sich bei
SPT0418-47 um eine Scheibengalaxie mit einem
zentralen Bulge handelt und das Material darin um
das Zentrum rotiert.
Bild: ALMA (ESO / NAOJ / NRAO), Rizzo et al. [Großansicht] |
"Dieses Ergebnis stellt einen Durchbruch auf dem Gebiet der
Galaxienentstehung dar und zeigt, dass die Strukturen, die wir in nahen
Spiralgalaxien und in unserer Milchstraße beobachten, bereits vor zwölf
Milliarden Jahren vorhanden waren", sagt Francesca Rizzo, Doktorandin vom
Max-Planck-Institut für Astrophysik in Deutschland, die die Studie leitete. Die
von den Astronominnen und Astronomen untersuchte Galaxie mit der Bezeichnung
SPT0418-47 scheint zwar keine Spiralarme zu haben, weist aber mindestens zwei
für unsere Milchstraße typische Merkmale auf: eine rotierende Scheibe und einen
Bulge, die große Ansammlung von Sternen, die dicht um das galaktische Zentrum
gepackt sind. Es ist das erste Mal, dass ein Bulge so früh in der Geschichte des
Universums beobachtet wurde, so dass SPT0418-47 in gewissem Sinne das am
weitesten entfernte Ebenbild der Milchstraße ist.
"Die große Überraschung war die Feststellung, dass diese Galaxie tatsächlich
nahen Galaxien recht ähnlich ist, was den Erwartungen aus den Modellen und
früheren, weniger detaillierten Beobachtungen widerspricht", ergänzt
Teammitglied Filippo Fraternali vom Astronomischen Institut Kapteyn der
Universität Groningen in den Niederlanden. Im frühen Universum befanden sich
junge Galaxien noch im Entstehungsprozess. Daher erwarteten die Forscher, dass
sie chaotisch sind und nicht die ausgeprägten Strukturen aufweisen, die für
weiter entwickelte Galaxien wie die Milchstraße typisch sind.
Die Untersuchung entfernter Galaxien wie SPT0418-47 ist für das astronomische
Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Galaxien von großer Bedeutung.
Die Galaxie ist so weit entfernt, dass wir sie sehen, als das Universum nur zehn
Prozent seines heutigen Alters hatte, weil ihr Licht zwölf Milliarden Jahre
brauchte, um die Erde zu erreichen. Wenn man sie untersucht, begibt man sich
somit in eine Zeit, in der diese Baby-Galaxien erst am Anfang ihrer Entwicklung
standen.
Da diese Galaxien so weit entfernt sind, sind detaillierte Beobachtungen
selbst mit den leistungsfähigsten Teleskopen fast unmöglich, da die Galaxien
klein und lichtschwach erscheinen. Das Team überwand dieses Hindernis, indem es
eine nahe Galaxie als starkes Vergrößerungsglas benutzte - ein Effekt, der als
Gravitationslinse bekannt ist und es dem Atacama Large
Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) erlaubte, in die ferne Vergangenheit
in noch nie dagewesener Detailgenauigkeit zu blicken. Bei diesem Effekt verzerrt
und krümmt die Gravitationskraft der nahen Galaxie das Licht der fernen Galaxie
und lässt sie verzerrt und vergrößert erscheinen.
Die gravitativ vergrößerte, entfernte Galaxie erscheint dank ihrer nahezu
exakten Ausrichtung als ein praktisch perfekter Lichtkranz um die nahe Galaxie.
Die Forschungsgruppe rekonstruierte die wahre Form der fernen Galaxie und die
Bewegung ihres Gases aus den ALMA-Daten mithilfe einer neuen computergestützten
Modellierungstechnik. "Als ich das rekonstruierte Bild von SPT0418-47 zum ersten
Mal sah, konnte ich es nicht glauben: Eine Schatztruhe öffnete sich", erinnert
sich Rizzo.
"Was wir gefunden haben, war ziemlich rätselhaft; obwohl sich Sterne mit
hoher Geschwindigkeit bilden und daher hochenergetische Prozesse ablaufen, ist
SPT0418-47 die am stärksten geordnete Galaxienscheibe, die je im frühen
Universum beobachtet wurde", erklärt Mitautorin Simona Vegetti, ebenfalls vom
Max-Planck-Institut für Astrophysik. "Dieses Ergebnis ist ziemlich unerwartet
und hat wichtige Auswirkungen darauf, wie sich nach unseren Vorstellungen
Galaxien entwickeln."
Die Astronominnen und Astronomen merken jedoch an, dass SPT0418-47 zwar eine
Scheibe und andere Merkmale aufweist, die denen der heutigen Spiralgalaxien
ähneln, aber sie erwarten, dass sie sich zu einer Galaxie entwickeln wird, die
sich von der Milchstraße sehr unterscheidet. Sie reiht sich dann in die Klasse
der elliptischen Galaxien ein, einer anderen Art von Galaxien, die neben den
Spiralgalaxien heute das Universum bevölkern.
Diese unerwartete Entdeckung deutet darauf hin, dass das frühe Universum
vielleicht nicht so chaotisch ist, wie man einst glaubte, und wirft viele Fragen
darüber auf, wie sich eine gut geordnete Galaxie so kurz nach dem Urknall
gebildet haben konnte. Diese ALMA-Entdeckung folgt auf die im Mai angekündigte
Entdeckung einer massereichen rotierenden Scheibe, die in ähnlicher Entfernung
gesehen wurde. SPT0418-47 kann dank des Linseneffekts in feineren Details
beobachtet werden und hat zusätzlich zu einer Scheibe einen Bulge, was sie
unserer heutigen Milchstraße noch ähnlicher macht als die zuvor beobachtete
Galaxie.
Zukünftige Studien, auch mit dem Extremely Large Telescope der
europäischen Südsternwarte ESO, werden versuchen, herauszufinden, wie typisch
diese "Baby"-Scheibengalaxien wirklich sind und ob sie im Allgemeinen weniger
chaotisch sind als vorhergesagt. Dies eröffnet den Astronomen neue Wege, um
herauszufinden, wie sich Galaxien entwickelt haben.
Über ihre Entdeckung berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
|