Universum homogener als gedacht?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum astronews.com
3. August 2020
Die Materie im Universum könnte gleichmäßiger verteilt sein
als vom Standardmodell der Kosmologie vorhergesagt. Dies ergab jetzt die Analyse
von Daten des Kilo-Degree-Survey, der auf Beobachtungen mit dem VLT
Survey Telescope in Chile beruht. Die Himmelsdurchmusterung deckt fünf
Prozent des Himmels ab und umfasst 31 Millionen Galaxien.
Aus ihren Daten erzeugte das Team
Massekarten, die die Verteilung der Materie im
Universum repräsentieren. Die Bildmontage zeigt
diese Karten am Himmel über der Ruhr-Universität
Bochum verdeutlicht so, wie groß der
Himmelsausschnitt ist, der analysiert wurde.
Bild: B. Giblin, K. Kuijken und das KiDS-Team,
Vordergrundpanorama: U. Sesse [Großansicht] |
Der Kilo-Degree Survey nutzt Daten des Very Large
Telescope Survey Telescope (VST) der europäischen Südsternwarte ESO auf dem
Gipfel des Paranal in Chile. Die aus den Beobachtungen entstandene Himmelskarte
deckt fünf Prozent des extragalaktischen Himmels ab und umfasst 31 Millionen
Galaxien, die alle in die Analyse eingingen. Sie sind bis zu zehn Milliarden
Lichtjahre entfernt, ihr Licht wurde also ausgesendet, als das Universum nur
rund ein Viertel so alt war wie heute.
Anhand der Galaxien erstellte das Forschungskonsortium eine Karte mit der
Materieverteilung im Universum. Dazu nutzten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler den sogenannten schwachen Gravitationslinseneffekt: Das Licht
von fernen Galaxien wird auf dem Weg zur Erde durch die Gravitationswirkung
großer Materieansammlungen wie Galaxienhaufen abgelenkt und verzerrt. Basierend
auf diesem Effekt kann die Klumpungstendenz der Materie bestimmt werden – und
zwar der sichtbaren Materie, der Gase und der nicht sichtbaren Dunklen Materie,
welche etwa 85 Prozent der Gesamtmaterie im Universum ausmacht.
Im Lauf der Zeit sorgt die Gravitation der Materie dafür, dass das Universum
immer weniger homogen wird. Gebiete, die etwas mehr Masse als der Durchschnitt
besitzen, ziehen Materie aus ihrer Umgebung an. So werden die Unterschiede in
der Verteilung immer größer. Gleichzeitig wirkt die Expansion des Universums
diesem Effekt entgegen. Beide Prozesse werden von der Schwerkraft angetrieben
und eignen sich somit dafür, um das Standardmodell der Kosmologie auf den
Prüfstand zu stellen: Die Gleichungen sagen präzise voraus, wie sehr die
Materiedichte sich im Lauf der Zeit ändern wird.
Allerdings offenbaren die Daten des Kilo-Degree Survey eine
Diskrepanz: Das Universum ist um zehn Prozent homogener als es nach dem
Standardmodell sein dürfte. "Das Standardmodell der Kosmologie beschreibt seit
20 Jahren alle kosmologischen Beobachtungen, die wir machen. Dabei ist es aber
etwas unbefriedigend, dass man mysteriöse Substanzen wie Dunkle Materie und
Dunkle Energie annehmen muss. Darum versuchen wir, dieses Modell, so gut es
geht, zu testen", sagt Prof. Dr. Hendrik Hildebrandt, Leiter der Gruppe
"Beobachtende Kosmologie" an der Ruhr-Universität Bochum.
Die aktuelle Analyse könnte darauf hinweisen, dass das Standardmodell Risse
bekommt. Es ist nicht die erste Unstimmigkeit, auch die sogenannte
Hubble-Konstante, die die Expansionsrate des Universums repräsentiert, passt
nicht zu den Vorhersagen des Modells. "Diese Diskrepanzen könnten natürlich von
systematischen Messfehlern hervorgerufen werden", räumt Prof. Dr. Catherine
Heymans von der University of Edinburgh ein, die zusammen mit
Hildebrandt das German Centre for Cosmological Lensing an der RUB
leitet, wo sie auch eine Gastprofessur innehat. "Aber die Messungen werden immer
genauer, sodass das immer unwahrscheinlicher wird."
Ob das Standardmodell letztendlich durch eine komplett neue Theorie abgelöst
werden muss, zum Beispiel indem Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ersetzt
wird, können die Forscher noch nicht abschätzen. "Es gibt viele Theorien, die
versuchen, die Messungen mit neuer Physik zu erklären", so Hildebrandt. "Als
beobachtender Kosmologe versucht man, dabei unparteiisch zu bleiben und die
Messungen ohne theoretische Vorurteile so genau wie möglich zu machen. Eins ist
klar, wir leben in spannenden Zeiten!"
In ein bis zwei Jahren wird die finale Karte des Kilo-Degree Survey
vorliegen, mit allen Beobachtungen, die in dem Projekt gemacht wurden. Sie wird
noch einmal 30 Prozent größer sein als die aktuelle Karte. Zwei weitere
Projekte, ein US-amerikanisches und ein japanisches, arbeiten derweil an
ähnlichen Analysen basierend auf Beobachtungsdaten.
Ab 2022 wird noch bessere Messtechnik zur Verfügung stehen: das
Vera-C.-Rubin-Observatory, das 60-mal leistungsfähiger ist als das VST, und der
Euclid-Satellit, der außerhalb der Atmosphäre wesentlich schärfere
Bilder wird aufnehmen können als die erdgebundenen Teleskope. Viele Mitglieder
des Kilo-Degree-Survey-Konsortiums werden auch an diesen Projekten
beteiligt sein.
Der Kilo-Degree Survey ist ein internationales Projekt, das von
Astronominnen und Astronomen in den Niederlanden, Schottland, England und
Deutschland geleitet wird. Der Projektkoordinator ist Prof. Dr. Koen Kuijken vom
niederländischen Leiden Observatory. Weitere Partner kommen aus Italien,
Australien, Polen, den USA und China.
Die Ergebnisse sind in fünf Fachartikeln beschrieben, die in der Zeitschrift
Astronomy & Astrophysics zur Veröffentlichung eingereicht wurden.
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