Schlamm fließt wie Lava auf der Erde
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
19. Mai 2020
Durch die Umweltbedingungen auf dem Mars können uns von der
Erde vertraute Prozesse dort ganz anders aussehen. So haben Laborversuche nun
gezeigt, dass sich Schlamm bei sehr tiefen Temperaturen und unter sehr geringem
Atmosphärendruck ähnlich wie fließende Lava auf der Erde verhält. Könnte es also
Schlammvulkanismus auf dem Mars geben?
Schlammvulkanismus wird auf vielen Orten auf
dem Mars vermutet, ist aber aufgrund vorhandener
Daten nicht zweifelsfrei zu identifizieren.
Bild: NASA / JPL-Caltech / University of
Arizona [Großansicht] |
Wissenschaftler hegen seit langem die Vermutung, dass es auf dem Mars nicht
nur "feuerspeiende" Vulkane gab, die große Mengen an glutflüssiger Lava über den
Planeten verteilten. So sind zahlreiche konische Bergkegel auf der Nordhalbkugel
des Roten Planeten möglicherweise das Ergebnis von Schlammvulkanismus.
Allerdings fehlten den Forschern bisher Erkenntnisse, wie sich wasserreicher
Schlamm an der Marsoberfläche verhält.
Ein außergewöhnlicher Laborversuch unter Beteiligung des Deutschen Zentrums
für Luft- und Raumfahrt (DLR) konnte nun zeigen, wie Schlamm bei sehr tiefen
Temperaturen und unter sehr geringem Atmosphärendruck fließt: Er verhält sich
ähnlich fließender Lava auf der Erde. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse
ergänzen das bestehende Bild des Mars und seiner von Vulkanismus geprägten
Geschichte um eine wichtige Facette.
"Wir wissen seit langem, dass in der frühen Marsgeschichte vor mehreren
Milliarden Jahren große Wassermengen in kurzer Zeit freigesetzt wurden und dabei
Täler riesigen Ausmaßes in die Landschaft erodierten, die heute längst
trockengefallen sind", erklärt Ernst Hauber vom DLR-Institut für
Planetenforschung in Berlin-Adlershof, der an der Studie beteiligt ist. "Von
diesen Ausflusstälern wurden umfangreich abgetragene zerkleinerte Gesteinsmassen
in die nördlichen Tiefebenen des Planeten transportiert und dort schnell
abgelagert. Später wurden diese Gesteinsmassen dann von jüngeren Sedimenten und
vulkanischen Gesteinen überdeckt."
Einige Marsforscher vermuteten schon bisher, dass diese wasserreichen
Sedimente im Untergrund unter bestimmten Umständen verflüssigt worden sein
könnten und unter Druck wieder an die Oberfläche gepresst wurden. In Anlehnung
an den Aufstieg von Magma wird dieser Prozess, der auf der Erde in vielen
Sedimentbecken gut dokumentiert ist, sedimentärer Vulkanismus oder kurz
Schlammvulkanismus genannt.
In den nördlichen Tiefebenen des Mars befinden sich zehntausende konischer
Hügel, die oft auf ihrem Gipfel einen kleinen Krater aufweisen und Ergebnis des
Schlammvulkanismus sein könnten. Der Beweis dafür ist allerdings nicht leicht zu
erbringen, was auch daran liegt, dass über das Verhalten von dünnflüssigem
Schlamm unter den Umweltbedingungen an der Marsoberfläche wenig bekannt ist. Um
diese Wissenslücke zu schließen führte eine Gruppe europäischer
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Reihe von Experimenten in einer
zylinderförmigen Unterdruckkammer von 90 Zentimeter Durchmesser und 1,8 Meter
Länge durch, bei denen wasserreicher Schlamm über eine kalte Sandfläche gegossen
wurde. Ein Experimentaufbau, der - von der nicht simulierbaren Marsschwerkraft
abgesehen – etwas an eine riesige "Klecker-Burg" unter marsähnlichen Bedingungen
erinnert.
Das Ziel der ungewöhnlichen Versuche war herauszufinden, wie die
unterschiedlichen physikalischen Parameter die Wasserbestandteile im Schlamm
beeinflussen und dadurch das Fließverhalten verändern. Das Resultat war
überraschend: "Der Schlamm fließt unter dem geringen Atmosphärendruck auf dem
Mars so ähnlich wie dünnflüssige sogenannte Pahoehoe- oder Stricklavaströme, die
etwa von den großen Vulkanen auf Hawaii oder Island bekannt sind", erklärt Dr.
Petr Brož von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Dieses Ergebnis war
für die Forscher unerwartet, weil vergleichbare geologische Prozesse auf anderen
Körpern im Sonnensystem oft so ähnlich ablaufen wie auf der Erde. "Unsere
Experimente zeigen, dass selbst ein vermeintlich so einfacher Prozess wie das
Fließen von Schlamm, den viele von uns seit ihrer Kindheit aus eigener
Anschauung kennen, auf dem Mars ganz anders ablaufen würde."
Der entscheidende Grund für das Fließverhalten des Schlamms ist die sehr
dünne Marsatmosphäre, deren Druck 150-mal geringer ist als der Atmosphärendruck
auf der Erde in Meereshöhe. Dieser Unterschied hat eine große Wirkung: Unter
diesen Bedingungen ist Wasser in flüssiger Form an der Marsoberfläche nicht
stabil und fängt an zu kochen und zu verdunsten. Dieser Prozess absorbiert
latente Wärme im Wasserdampf und kühlt den restlichen Schlamm, der daraufhin
oberflächlich gefriert und eine Kruste bildet.
Latente Wärme wird bei einem Phasenübergang, etwa beim Gefrieren oder beim
Auftauen von einem Gegenstand abgegeben oder aufgenommen ohne dass sich dabei
seine Temperatur ändert. "Natürlich wussten wir schon vorher, dass flüssiges
Wasser unter niedrigem Druck schneller anfängt zu kochen – deswegen dauert es
beispielsweise auch länger, Nudeln auf hohen Bergen auf der Erde weich zu
kochen", erklärt Hauber. "Doch welche Auswirkungen dieser bekannte Effekt auf
Schlamm hat, wurde noch nie vorher experimentell untersucht. Es hat sich wieder
einmal gezeigt, dass man die unterschiedlichen physikalischen Bedingungen immer
berücksichtigen muss, wenn man scheinbar einfache Oberflächenformen auf anderen
Planeten untersucht. Wir wissen jetzt, dass wir bei der Analyse von manchen
Fließerscheinungen nicht nur an Lava, sondern auch an Schlamm denken müssen", so
Hauber weiter.
Im Detail konnte das Forscherteam zeigen, dass sich die experimentellen
Schlammströme wie Pahoehoe-Laven verhalten, weil jeweils kleine Mengen flüssigen
Schlamms aus kleinen Rissen in der Eiskruste an der Oberfläche austreten und
weitere Fließzungen bilden, bevor sie selbst wieder zufrieren. Falls Schlamm
tatsächlich auf dem Mars an der Oberfläche austritt, kann er also tatsächlich
eine Zeit lang fließen, ehe er bei den niedrigen Temperaturen erstarrt.
Allerdings wird sich die Morphologie, also die Form der Schlammströme, von denen
auf der Erde unterscheiden.
Die jetzt durchgeführten Forschungsarbeiten sind auch für andere planetare
Körper wichtig, denn ähnliche Prozesse könnten bei sogenannten kryovulkanischen
Eruptionen, bei denen statt Magma oder Schlamm flüssiges Wasser an die
Oberfläche gelangt, ebenfalls eine Rolle spielen, so etwa auf Eismonden im
äußeren Sonnensystem.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Geoscience erschienen ist.
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