Der Weiße Zwerg und die Raumzeit
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
3. Februar 2020
Nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie führt die
Rotation eines massereichen Objekts zu einer Verwirbelung der Raumzeit in seiner
unmittelbaren Umgebung. Ein Team hat sich nun diesen Effekt zunutze gemacht, um
die Rotationsgeschwindigkeit eines Weißen Zwergs zu messen, der mit einem Pulsar
ein Doppelsternsystem bildet. Dies liefert Hinweise zur Entstehungsgeschichte
des Paares.

Das Doppelsternsystem PSR J1141-6545, bestehend
aus einem Pulsar und einem Weißen Zwerg, wurde
mit dem Parkes-Radioteleskop in Australien
entdeckt.
Bild: Mark Myers / ARC Centre of
Excellence for Gravitational Wave Discovery (OzGrav),
Australien [Großansicht] |
Im Jahre 1999 wurde mithilfe des Parkes-Radioteleskops in Australien im
Sternbild Fliege – ganz in der Nähe des berühmten Sternbilds Kreuz des Südens
- ein besonderes Doppelsternsystem entdeckt. In diesem System umkreisen sich
der Radiopulsar PSR J1141-6545 und ein relativ massereicher Weißer Zwerg in
einer Umlaufzeit von nur knapp fünf Stunden. Ein Radiopulsar ist ein schnell
rotierender Neutronenstern, der entlang seiner magnetischen Pole
Radiostrahlung aussendet.
"Die Umlaufbahn dieses Pulsars ist etwas ganz Besonderes. Er erreicht auf
seiner Bahn Geschwindigkeiten von fast einer Million Stundenkilometern, wobei
der maximale Abstand zwischen beiden Partnern kaum größer ist als der
Durchmesser unserer Sonne", erklärt Dr. Vivek Venkatraman Krishnan vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, der die Datenanalyse und wichtige
Teile der Beobachtungen von Pulsar J1141-6545 als Doktorand der
Swinburne-Universität in Australien durchgeführt hat.
Anders als in den meisten Doppelsternsystem, die aus einem Pulsar und einem
Weißen Zwerg bestehen, deuten theoretische Modelle für das PSR
J1141-6545-System darauf hin, dass der Weiße Zwerg vor dem Pulsar entstanden
ist. Eine wichtige Vorhersage dieser Modelle ist, dass vor der
Supernova-Explosion, die den Pulsar gebildet hat, ein erheblicher
Materietransfer vom Vorgängerstern des Pulsars auf den Weißen Zwerg
stattgefunden hat. Das führte zu einer enormen Beschleunigung der
Eigenrotation des Weißen Zwerges.
"Ein Nachweis dieser Rotation wäre ein wichtiger Test für unsere Modelle zur
Entwicklung von Doppelsternsystemen", sagt Teammitglied Prof. Thomas Tauris,
Experte für Neutronensterne und Weiße Zwerge an der Universität Aarhus in
Dänemark. Die übliche Messmethode zur Bestimmung der Rotation eines Sterns
liegt in der Untersuchung seiner Spektrallinien. Doch wie soll man die
Rotation des Weißen Zwerges messen, der extrem leuchtschwach ist und
keinerlei Spektrallinien zeigt?
Die Antwort kommt aus unerwarteter Richtung und führt mehr als 100 Jahre
zurück in die Vergangenheit der theoretischen Physik. Noch bevor Albert
Einstein im November 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie zum Abschluss
brachte, erkannte er bereits, dass in einer Theorie, in der sich Gravitation
als gekrümmte Raumzeit manifestiert - anders als in der Newtonschen
Gravitationstheorie - die Rotation einer Masse einen direkten Beitrag zum
Gravitationsfeld liefert. Etwas salopper ausgedrückt, verwirbelt die Rotation
einer Masse die Raumzeit in ihrer Umgebung.
Basierend auf der Allgemeinen Relativitätstheorie haben Josef Lense und Hans
Thirring bereits im Jahr 1918 - mit wesentlicher Unterstützung von Albert
Einstein - diesen Effekt für unser Sonnensystem untersucht. Dabei haben sie
insbesondere berechnet, wie stark die Verwirbelung der Raumzeit durch die
Rotation der Sonne die Bewegung der Planeten beeinflusst. Die beiden kamen zu
dem Schluss, dass der Effekt, später auch Lense-Thirring-Effekt genannt, für
einen Nachweis bei weitem zu klein sei.
Doch inzwischen ist die Technologie wesentlich weiter fortgeschritten und der
durch die Erdrotation hervorgerufene Lense-Thirring-Effekt konnte mithilfe
von Satellitenexperimenten wie Gravity Probe B oder
Laserentfernungsmessungen zu den drei Satelliten LAGEOS-1, LAGEOS-2 und LARES
erfolgreich bestätigt werden. Während der Effekt bei Gravity Probe B
mit vier äußerst präzisen Gyroskopen gemessen wurde, ist es bei den
LAGEOS-Satelliten eine langsame Präzession der Orbitalebene der Satelliten in
Richtung der Erdrotation, die sogenannte "Lense-Thirring-Präzession", die
inzwischen auf eine Genauigkeit von etwa zwei Prozent bestimmt werden konnte
- in Übereinstimmung mit der Vorhersage der allgemeinen Relativitätstheorie.
Die durch den Lense-Thirring-Effekt verursachte Drehung der Satellitenbahnen
ist extrem klein. Bei LAGEOS-1 zum Beispiel, der eine fast kreisförmige Bahn
mit einem Radius von ca. 12.300 km hat, dreht sich die Bahnebene lediglich um
0,0000086 Grad pro Jahr; das entspricht einer vollen Drehung um 360 Grad in
ca. 40 Millionen Jahren. Ganz anders sähe dies bei dem Weißen Zwerg im
Doppelsternsystem von Pulsar J1141-6545 aus - vorausgesetzt, die Modelle der
Sternentwicklung haben recht.
Der Weiße Zwerg, der etwas kleiner als die Erde ist, aber mit 340.000
Erdmassen etwa so viel Masse wie die Sonne hat, sollte sich demnach bereits
in wenigen Minuten um seine eigene Achse drehen. "Bei so einem Weißen Zwerg
würde sich die Bahnebene des LAGEOS-1-Satelliten um mehrere Grad pro Tag
verschieben, denn dort wird die Raumzeit größenordnungsmäßig 100 Millionen
mal stärker verwirbelt als dies bei der Erde der Fall ist", erklärt Dr.
Norbert Wex, Spezialist für Allgemeine Relativitätstheorie am MPIfR.
Nun kann man keine Satelliten um den mehrere tausend Lichtjahre entfernten
Weißen Zwerg positionieren. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch einen Pulsar,
dessen Radiosignale uns eine entsprechende Vermessung der Bahn erlauben, wie
bei LARES und LAGEOS-1 & 2 mit Laserstrahlen. "Durch eine hochgenaue Messung
der Ankunftszeiten der Pulsarsignale an den australischen Parkes- und
UTMOST-Radioteleskopen mithilfe von Atomuhren konnten wir die Bewegung des
Pulsars in seiner Bahn mit einer Genauigkeit von 30 km verfolgen, und das
über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren", erläutert Venkatraman Krishnan.
"Das ermöglichte uns eine präzise Messung sowohl des Durchmessers als auch
der Orientierung der Umlaufbahn."
Im Abstand des Pulsars vom Weißen Zwerg ist die Raumzeit-Verwirbelung zwar
etwa eine Million Mal schwächer als in der Entfernung einer
LAGEOS-1-ähnlichen Bahn, aber dennoch führt die Lense-Thirring-Präzession
über einen derart langen Zeitraum zu einer Drehung der Pulsarbahn um etwa 150
km. "Die Beobachtungen des Pulsars J1141-6545 zeigen eine Abweichung, die
aufgrund detaillierter Berechnungen und nach Ausschluss einer ganzen Reihe
möglicher Fehlerquellen jetzt eindeutig die Änderung in der Orientierung der
Bahnebene bestätigt", erklärt Dr. Willem van Straten von der Auckland
University of Technology in Neuseeland.
Eine sorgfältige Analyse der Messungen des Pulsars J1141-6545 unter
Einbeziehung des Lense-Thirring-Effekts ermöglicht die Abschätzung der
Rotationsperiode des Begleiters mit einem Resultat von ca. 100 Sekunden. Das
liegt in hervorragender Übereinstimmung damit, dass bevor sich der Pulsar in
einer Supernova-Explosion vor ungefähr 1,5 Millionen Jahren gebildet hat, ein
erheblicher Massenabfluss vom Vorgängerstern des Pulsars auf den Weißen Zwerg
erfolgte. "Hier hat uns Albert Einstein ein Werkzeug an die Hand gegeben, um
in Zukunft noch mehr über Pulsare und ihre Begleiter herauszufinden.",
ergänzt Prof. Matthew Bailes, von der Swinburne-Universität in Australien.
Neu errichtete Radioteleskope und Radioteleskop-Projekte der Zukunft wie
MeerKAT und das Square Kilometre Array (SKA) werden eine zentrale Rolle für
das Verständnis dafür spielen, wie sich Einsteins Relativitätstheorie in
solch extremen Umgebungen im Kosmos auswirkt. "Mit der Erwartung, dass das
SKA noch eine Vielzahl weiterer exotischer Doppelsternsysteme dieser Art
entdecken wird, werden wir in der Lage sein, eine ganze Reihe weiterer
Effekte zu erforschen, wie sie von der allgemeinen Relativitätstheorie
vorhergesagt werden", ist Dr. Evan Keane von der SKA-Organisation in
Großbritannien überzeugt.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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