Ein weiterer Zwergplanet im Asteroidengürtel?
von Stefan Deiters astronews.com
28. Oktober 2019
Ein wichtiges Kriterium für die Anerkennung eines Objektes
als Zwergplanet ist seine Kugelgestalt. Heute hat die Europäische Südsternwarte
ESO neue Beobachtungen von Hygiea vorgestellt, dem viertgrößten Objekt im
Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Die Bilder des Very Large
Telescope zeigen Hygiea als kugelförmiges Objekt. Gilt der Asteroid nun bald auch als
Zwergplanet?
Blick mit SPHERE
auf den Asteroiden Hygiea.
Bild: ESO /P. Vernazza et al. / MISTRAL
algorithm (ONERA/CNRS) [Großansicht] |
Um als Zwergplanet klassifiziert zu werden, muss ein Objekt verschiedene
Kriterien erfüllen, die für viele Objekte des Asteroidengürtels keinerlei
Problem darstellen: Sie alle umrunden die Sonne und sind auch keine Monde eines
größeren Objektes. Vom Planetenstatus unterscheidet sie die Tatsache, dass sie
nicht alleine auf ihrer Umlaufbahn kreisen, sondern sich den Bereich mit
weiteren Objekten teilen, die eine ähnliche Größe haben wie sie.
Um aber nun tatsächlich als "Zwergplanet" gelten zu können, müssen sie einem
weiteren Kriterium genügen: Sie müssen so massereich sein, dass sie durch ihre
eigene Anziehungskraft in etwa eine kugelförmige Gestalt annehmen. Bislang
wurde dieses Kriterium nur vom Asteroiden Ceres erfüllt, der damit der einzige
Zwergplanet im Asteroidengürtel ist.
Nun haben aber Beobachtungen mit dem Instrument SPHERE am Very Large
Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO gezeigt, dass der viertgrößte
Asteroid in dieser Region, Hygiea, praktisch kugelförmig ist. Mit SPHERE gelang
dem Team aus Astronominnen und Astronomen ein so detaillierter Blick auf das
Objekt, dass seine Gestalt deutlich zu erkennen war."Dank dieser Bilder könnte
Hygiea als Zwergplanet klassifiziert werden", so Pierre Vernazza vom Laboratoire
d'Astrophysique de Marseille. "Es wäre dann der bislang kleinste Zwergplanet im
Sonnensystem."
Das Team konnte durch die Beobachtungen auch die Größe von Hygiea genau bestimmen:
Der Asteroid hat einen Durchmesser von etwas mehr als 430 Kilometern und ist damit
deutlich kleiner als der Zwergplanet Pluto mit fast 2400 Kilometer Durchmesser
oder auch Ceres mit rund 950 Kilometern.
Auf den Bildern von Hygiea waren zudem nur sehr wenige große Einschlagkrater
zu erkennen. Das überrascht vor allem deswegen, weil Hygiea zu einer ganzen Asteroidenfamilie gehört, die fast 7000
Mitglieder zählt und die alle vom selben Ursprungskörper stammen sollten. Das
Ereignis, das einmal zur Entstehung dieser Familie führte, hätte eigentlich
deutlich sichtbare Spuren auf Hygiea hinterlassen sollen.
"Das Ergebnis hat uns sehr überrascht, da wir die Existenz eines gewaltigen
Einschlagbeckens erwartet hatten, wie es auch bei Vesta zu sehen ist", erinnert
sich Vernazza. Obwohl das Team 95 Prozent der Oberfläche von Hygiea beobachten
konnte, fanden sich darauf nur zwei eindeutige Einschlagkrater. Keiner davon ist
aber groß genug, um für die Entstehung der Hygiea-Asteroidenfamilie
verantwortlich sein zu können.
Mithilfe von Computersimulationen haben die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler versucht, die Entstehung der Asteroidenfamilie und der
kugelförmigen Gestalt von Hygiea zu erklären. Sie vermuten, dass es vor rund
zwei Milliarden Jahren zu einer Frontalkollision mit einem 75 bis 150 Kilometer
durchmessenden Objekt gekommen ist. Dadurch wurde der Ursprungskörper vollkommen
pulverisiert. Die Trümmerteile haben sich dann später zum heutigen Asteroiden Hygiea verbunden oder existierten weiter als Teil der Asteroidenfamilie.
Über die Beobachtungen und die Simulationen berichtet das Team in einem
Fachartikel, der heute in Nature Astronomy erschienen ist.
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