Forschung mit künstlicher Intelligenz
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der ETH Zürich astronews.com
23. September 2019
Physiker und Informatiker machen in Zürich gemeinsame Sache,
um dem Geheimnis von Dunkler Materie und Dunkler Energie im Universum auf die
Spur zu kommen: Mit Hilfsmitteln des maschinellen Lernens programmierten sie
Computer so, dass diese sich selbst beibrachten, relevante Informationen aus
Himmelskarten zu gewinnen. Sie sind dabei offenbar besser als der Mensch.
Eine typische computergenerierte Massenkarte
der Dunklen Materie, wie sie von den Forschen zum
Trainieren des neuronalen Netzwerks benutzt wird.
Bild: ETH Zürich [Großansicht] |
Herauszufinden, wie unser Universum zu dem wurde, was es heute ist, und
welches Schicksal es einmal erwartet, ist eine der größten Herausforderungen der
Wissenschaft. Das Ehrfurcht einflößende Schauspiel ungezählter Sterne in einer
klaren Nacht gibt uns eine Ahnung von der Tragweite des Problems, und doch ist
das nur ein Teil der Geschichte. Das größere Rätsel besteht in dem, was wir
nicht sehen können, zumindest nicht direkt: Dunkle Materie und Dunkle Energie.
Da Dunkle Materie das Universum zusammenhält und Dunkle Energie es sich
ausbreiten lässt, müssen Kosmologen genau wissen, wie viel der beiden Arten es
da draußen gibt, um ihre Modelle zu verfeinern. An der Eidgenössischen
Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) haben sich nun Wissenschaftler des
Departements Physik und des Departements Informatik zusammengetan, um mithilfe
von künstlicher Intelligenz die Standardmethoden zur Schätzung des Gehalts an
Dunkler Materie im Universum zu verbessern. Sie verwendeten dazu innovative
Algorithmen für maschinelles Lernen, welche viel mit denen gemeinsam haben, die
von Facebook und anderen sozialen Medien für die Gesichtserkennung benutzt
werden.
In Aufnahmen des Nachthimmels gibt es zwar keine Gesichter zu erkennen, doch
Kosmologen suchen nach etwas ganz Ähnlichem, wie Thomas Kacprzak erklärt, der
als Forscher in der Gruppe von Alexandre Refregier am Institut für
Teilchenphysik und Astrophysik arbeitet: "Facebook benutzt seine Algorithmen, um
in Bildern Augen, Münder oder Ohren zu finden; wir benutzten unsere, um nach den
charakteristischen Anzeichen von Dunkler Materie und Dunkler Energie zu suchen."
Da dunkle Materie nicht direkt in Teleskopaufnahmen sichtbar ist, vertrauen
Physiker darauf, dass alle Materie – auch die dunkle Sorte – die Bahnen von
Lichtstrahlen, die von fernen Galaxien auf der Erde ankommen, leicht verbiegen.
Dieser Mechanismus, bekannt als "schwacher Gravitationslinseneffekt", verzerrt
die Bilder der Galaxien auf subtile Weise, ganz ähnlich wie weit entfernte
Objekte verschwommen aussehen, wenn das Licht an einem heißen Tag Luftschichten
mit verschiedenen Temperaturen durchquert.
Kosmologen können diese Verzerrung ausnutzen und rückwärts rechnen, um so
Massenkarten zu erstellen, die zeigen, wo sich Dunkle Materie befindet.
Anschließend vergleichen sie diese Massenkarten der Dunklen Materie mit
theoretischen Vorhersagen, um dasjenige kosmologische Modell zu finden, das am
besten mit den Daten übereinstimmt. Normalerweise werden dazu von Menschen
entwickelte statistische Größen wie etwa sogenannte Korrelationsfunktionen
verwendet, die beschreiben, wie verschiedene Teile der Massenkarten miteinander
in Bezug stehen. Solche Größen sind allerdings nur bedingt nützlich, wenn es
darum geht, komplexe Muster in den Massenkarten zu finden.
"In unserer neuesten Arbeit haben wir eine völlig neue Methode benutzt", sagt
Refregier. "Anstatt selbst eine geeignete statistische Analyse zu erfinden,
überlassen wir diese Arbeit den Computern." Hier nun kommen Aurélien Lucchi und
seine Kollegen vom Data Analytics Lab am Departement für Informatik ins Spiel.
Gemeinsam mit Janis Fluri, Doktorand in Refregiers Gruppe und Erstautor der
Studie, verwendeten sie als tiefe künstliche neuronale Netzwerke bekannte
Algorithmen für maschinelles Lernen und brachten ihnen bei, so viele
Informationen wie möglich aus den Massenkarten der Dunklen Materie
herauszuholen.
In einem ersten Schritt trainierten die Wissenschaftler die neuronalen
Netzwerke, indem sie sie mit computergenerierten Daten fütterten, die das
Universum simulieren. Auf diese Weise kannten sie im Voraus die richtige Antwort
für einen bestimmten kosmologischen Parameter – zum Beispiel das Verhältnis der
gesamten Dunklen Materie zur Dunklen Energie – für jede der simulierten
Massenkarten. Durch wiederholte Analyse der Massenkarten brachte das neuronale
Netzwerk sich selbst bei, darin nach den richtigen Strukturen zu suchen und mehr
und mehr der gewünschten Informationen zu extrahieren. Im Facebook-Vergleich
wurde es also immer besser darin, zufällige ovale Formen von Augen oder Mündern
zu unterscheiden.
Die Ergebnisse dieses Trainings waren ermutigend: Die neuronalen Netzwerke
fanden Werte, die um 30 Prozent genauer waren als diejenigen, die mit
herkömmlichen, auf menschengemachter Statistik basierenden Methoden erzielt
wurden. Für Kosmologen ist das eine enorme Verbesserung, denn um dieselbe
Genauigkeit durch mehr Teleskopaufnahmen zu erreichen, würde man die doppelte
Beobachtungszeit brauchen – und die ist teuer. Schließlich benutzten die
Wissenschaftler ihr durchtrainiertes neuronales Netzwerk, um echte Massenkarten
der dunklen Materie des KiDS-450 Datensatzes zu untersuchen.
"Das ist das erste Mal, das solche Werkzeuge des maschinellen Lernens in
diesem Zusammenhang verwendet wurden", sagt Fluri, "und wir haben gesehen, dass
das tiefe künstliche neuronale Netzwerk es uns erlaubt, mehr Informationen aus
den Daten zu gewinnen als mit bisherigen Methoden. Wir glauben, dass diese
Verwendung von maschinellem Lernen in der Zukunft noch viele Anwendungen haben
wird." Als nächsten Schritt haben er und seine Kollegen vor, ihre Methode auf
größere Datensätze wie den Dark Energy Survey anzuwenden. Zudem sollen
mehr kosmologische Parameter und weitere Verfeinerungen, wie etwa Details zum
Wesen der Dunklen Energie, in die neuronalen Netzwerke eingespeist werden.
Über ihre Methode berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Physical Review D erschienen ist.
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