Materiebausteine bei 800 Milliarden Grad
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung astronews.com
12. August 2019
Die Kollisionen von Neutronensternen gehören zu den
heißesten Momenten im Universum. Unter diesen extremen Bedingungen entstehen
neue chemische Elemente. Teilchenphysikerinnen und Teilchenphysiker versuchen
diese Bedingungen in Beschleunigern nachzubilden. Nun gelang es ihnen erstmals
die dabei entstehende thermische Strahlung zu messen.
Der HADES-Detektor am GSI Helmholtzzentrum
für Schwerionenforschung von Innen.
Bild: J. Hosan / GSI Helmholtzzentrum für
Schwerionenforschung [Großansicht] |
Sie gehören zu den heißesten Momenten im kosmischen Geschehen: die
Kollisionen von Neutronensternen im Universum, bei denen chemische Elemente
gebildet werden. Durch Teilchenkollisionen im Beschleuniger können
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ähnliche Bedingungen am GSI
Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und dem künftigen Beschleunigerzentrum
FAIR herstellen. Nun ist es einer internationalen Forschergruppe am
HADES-Experiment erstmals gelungen, die dabei entstehende thermische,
elektromagnetische Strahlung – die sogenannte Schwarzkörperstrahlung – zu
messen. Dadurch konnten sie die Temperatur auf 800 Milliarden Grad Celsius
bestimmen und weitere Details über Materiebausteine unter solchen Bedingungen
erkunden.
Das haushohe HADES-Detektorsystem auf dem GSI- und FAIR-Campus in Darmstadt
ermöglicht den Forschenden spannende Einblicke in die Geschehnisse bei der
Kollision zweier schwerer Kerne bei relativistischen Energien und erlaubt es
ihnen auch – wie nun sehr erfolgreich geschehen –, den mikroskopischen
Eigenschaften extremer Materiezustände im Labor auf die Spur zu kommen.
Die jüngsten Ergebnisse der HADES-Kollaboration, bei denen mehr als 110
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zahlreichen Ländern beteiligt
waren, markieren einen wichtigen Moment: "Die Rekonstruktion der Wärmestrahlung
von komprimierter Materie ist ein Meilenstein im Verständnis kosmischer
Materieformen. Sie ermöglicht nicht nur die Extraktion der Temperatur des bei
der Kollision gebildeten Systems, sondern gibt auch einen tiefen Einblick in die
mikroskopische Struktur von Materie unter solchen Bedingungen", erläutert
Professor Joachim Stroth, Sprecher der HADES-Kollaboration, der gemeinsam mit
Professorin Tetyana Galatyuk die aktuellen Analysen koordiniert hat. Zahlreiche
weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von GSI und FAIR waren an der
aktuellen Studie beteiligt.
Der Wissenschaftliche Geschäftsführer von GSI und FAIR, Professor Paolo
Giubellino, dessen Forschungsschwerpunkt die Physik hochenergetischer
Schwerionenstöße und die dabei erzeugte Materie ist, blickt bereits gespannt in
die Zukunft und auf das weltweit einmalige Beschleunigerzentrum FAIR, das
derzeit bei GSI entsteht: "HADES wird auch künftig viel zur Erforschung von
Atomkernen und ihrer Bausteine beitragen und bei FAIR ein wichtiger Teil des
Experiments für verdichtete Kernmaterie CBM (Compressed Baryonic Matter) sein.
Dort werden Forscherinnen und Forscher unter anderem Vorgänge in
Neutronensternen mit nie da gewesener Präzision und über einen sehr weiten
Dichtebereich untersuchen können."
Die vom HADES-Detektor im Rahmen der nun vorgestellten Studie beobachtete
elektromagnetische Strahlung wird durch virtuelle Photonen herbeigeführt. Diese
existieren für einen Moment und zerfallen rasch in ein Leptonen-Paar (Dilepton),
beispielsweise ein Elektron und ein Positron. Da Leptonen keine starken
Wechselwirkungen aufweisen, ist das dichte hadronische Medium nahezu transparent
für diese Strahlung. Dennoch wird es während des gesamten Ablaufs der Reaktion
produziert und fungiert als wichtige Sonde für die mikroskopischen Eigenschaften
des dichten und heißen Mediums, das bei der Kollision entsteht.
Aus der Spektralverteilung der Strahlung lässt sich ableiten, dass die
Materie Temperaturen über 70 Megaelektronenvolt (800 Giga Kelvin) und Dichten
von einem Dreifachen der Kernsättigungsdichte erreicht haben muss. Tatsächlich
ähneln die Dichten und Temperaturen in der Kollisionszone solcher
Schwerionenreaktionen den Bedingungen in Neutronenstern-Fusionsprozessen. Seit
dem Nachweis von Gravitationswellen und elektromagnetischer Strahlung, die von
diesen Giga-Novae-Ereignissen in einem weiten Bereich des elektromagnetischen
Spektrums ausgestrahlt werden, wird angenommen, dass solche Fusionsvorgänge die
kosmischen Küchen für die Synthese schwerer Kerne sind.
Ein wichtiger Beitrag zu entsprechenden theoretischen Untersuchungen ist die
sogenannte Zustandsgleichung von Materie unter extremen Bedingungen. Mit
Schwerionenreaktionsexperimenten bei relativistischen Energien sind einige der
relevanten Eigenschaften nun im Labor zugänglich. Ein Vorteil der Detektion
virtueller Photonen gegenüber realen Photonen ist die Tatsache, dass sie
zusätzliche Informationen enthalten. Dies ermöglicht es, eine Lorentz-invariante
Größe zu rekonstruieren, die – unabhängig von der relativen Geschwindigkeit des
emittierenden Systems – den gleichen Wert hat in Bezug auf das Laborumfeld. Da
Energie und Impuls während des gesamten Prozesses erhalten bleiben, ist diese
invariante Masse identisch mit der Masse des hadronischen Systems, das das
virtuelle Photon zuerst emittiert hat. Daher erlaubt diese Strahlung
buchstäblich einen Blick in die heiße und dichte Interaktionszone.
Ein überraschendes Ergebnis dieses HADES-Experiments war die Erkenntnis, dass
die Photonen sehr wahrscheinlich von so genannten Vektor-Mesonen erzeugt werden,
die aufgrund der dichten Umgebung, in die sie eingebettet sind, eine starke
Veränderung erfahren. Die rekonstruierte invariante Massenverteilung der
virtuellen Photonen, die bemerkenswert gleichmäßig nahezu exponentiell abfällt,
deutet darauf hin, dass die vermittelnden mesonischen Zustände (die ρ-Mesonen)
in der dichten Materie tatsächlich nahezu aufgelöst sind. Eine ähnliche
Veränderung der Eigenschaften des ρ-Vektormesons wird erwartet, wenn die spontan
gebrochene chirale Symmetrie wiederhergestellt wird.
Die dynamische Brechung dieser Symmetrie ist eine grundlegende Eigenschaft
der QCD (Quantenchromodynamik), der Theorie der starken Wechselwirkung, und
erklärt beispielsweise die Existenz der ungewöhnlich leichten Mesonen wie dem
Pion. Der Grad der chiralen Symmetriebrechung steuert somit, wie Nukleonen
miteinander wechselwirken. Das HADES-Experiment ist das erste, das erfolgreich
elektromagnetische Wärmestrahlung bei Kollisionen von Schwerionen bei Energien
um 1 A GeV nun rekonstruieren konnte, wobei die Emission von virtuellen Photonen
mit einer Masse von einigen hundert MeV/c2 ein durchaus seltener Prozess ist:
Etwa drei Milliarden Gold-Gold-Kollisionen mussten aufgezeichnet und analysiert
werden, um schließlich 20.000 virtuelle Photonen über ihren Zerfall in ein
Elektronenpaar und mit Massen größer als 200 MeV/c2 zu
rekonstruieren.
Die Ergebnisse sind vor Kurzem in der Fachzeitschrift Nature Physics
veröffentlicht worden.
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