Seltene Reaktion des Higgs-Teilchens entdeckt
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Physik astronews.com
6. Juni 2018
Im Jahr 2012 wurde am CERN das Higgs-Boson entdeckt, das für
die Masse anderer Elementarteilchen zuständig ist. Das Team des
ATLAS-Experiments am Large Hadron Collider konnte nun erstmals die
seltene Produktion eines Higgs-Bosons zusammen mit einem Top-Quark-Paar
beobachten - ein wichtiger Schritt bei der Suche nach einer Physik jenseits des
Standardmodells.
Die ATLAS-Aufnahme zeigt einen Kandidaten
für die Produktion des Higgs-Bosons zusammen mit
zwei Top-Quarks.
Bild: CERN [Großansicht] |
Seit der Entdeckung des Higgs-Bosons vor ziemlich genau sechs Jahren steht
das Higgs-Teilchen im Fokus umfangreicher Untersuchungen. Jetzt haben
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom ATLAS-Experiment am Large
Hadron Collider erstmals die seltene Produktion eines Higgs-Bosons zusammen
mit einem Top-Quark-Paar, den sogenannten ttH-Produktionsprozess, beobachtet.
Dies öffnet ein weiteres Tor für die Suche nach neuen Physikphänomenen jenseits
des Standardmodells der Teilchenphysik.
Als schwerstes Elementarteilchen im Standardmodell koppelt das Top-Quark auch
am stärksten von allen Teilchen an das Higgs-Boson. "Direkt nachweisbar ist
diese Kopplung aber nur durch den ttH-Produktionsprozess, der äußerst selten
vorkommt: Nur ein Prozent der Higgs-Bosonen entstehen zusammen mit Top-Quarks",
erklärt Sandra Kortner vom Max-Planck-Institut für Physik.
Der ttH-Prozess hinterlässt eine ausgesprochen komplexe Signatur im Detektor.
Für die Beobachtung mussten daher möglichst viele Higgs-Boson-Zerfälle – in
Photonen, W- und Z-Bosonen, Tau-Leptonen und Beauty-Quarks – berücksichtigt und
kombiniert werden. Den ersten Hinweis auf die ttH-Produktion haben
Wissenschaftler letzten Dezember mit dem ATLAS-Experiment gefunden. Seitdem
wurden weitere Daten analysiert. In die neuesten Messungen gingen die gesamten
Proton-Proton-Kollisionsdaten ein, die seit dem Beginn der Datennahme im Jahr
2011 bis Ende 2017 aufgenommen wurden. Mit einer statistischen Signifikanz von
6,2 Standardabweichungen konnte man nun experimentell nachweisen, dass der Higgs-Mechanismus
für die große Masse des Top-Quarks verantwortlich ist.
Dies steht im Einklang mit der jüngsten Beobachtung des CMS-Experiments mit
einer Signifikanz von 5,2 Standardabweichungen, die auf einem kleineren
Datensatz basiert. Somit könnte das Ergebnis dazu beitragen, eine wichtige
offene Frage im Standardmodell zu beantworten, nämlich warum Fermionen, zu denen
Quarks und Leptonen und damit die Bausteine der Materie zählen, so
unterschiedliche Massen haben.
Die gemessene Stärke der Higgs-Boson-Kopplung an Top-Quarks stimmt mit den
Vorhersagen des Standardmodells überein. "Die Abweichungen von diesen
Vorhersagen, die beispielsweise durch die Existenz neuer, unbekannter Teilchen
auftreten würden, könnten allerdings erst nach präziseren Messungen mit
zusätzlichen Daten aufgedeckt werden", so Kortner weiter. Die Beobachtung der
ttH-Produktion ebnet somit einen wichtigen neuen Weg zu potenziellen
Entdeckungen.
Die aktuellen Messergebnisse für die bereits beobachteten Higgs-Boson-Kopplungen
an andere Teilchen – Tau-Leptonen und W- und Z-Bosonen – liegen ebenfalls vor.
Auch diese Messungen befinden sich im Einklang mit dem Standardmodell. Die
Gruppe am Max-Planck-Institut für Physik hat insbesondere zur Messung des Higgs-Boson-Zerfalls
in Z-Bosonen maßgeblich beigetragen. Die neuen Ergebnisse zur Higgs-Boson-Physik
werden bei der diesjährigen LHCP-Konferenz in Bologna vorgestellt, die in dieser
Woche stattfindet. Eine deutliche Steigerung der Messgenauigkeit für die
Eigenschaften des Higgs-Bosons erwarten Wissenschaftler nach Analyse aller
Daten, die bis Ende dieses Jahres aufgenommen werden.
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