Wissenschaft, Preise und etwas Politik
von Stefan Deiters astronews.com
19. September 2017
Die deutschsprachigen Astronomen treffen sich in
dieser Woche in Göttingen zu ihrer jährlichen Herbsttagung. Die renommierte Karl-Schwarzschild-Medaille
wurde zu Beginn der Tagung an den Radioastronomen Prof. Dr. Richard Wielebinski
verliehen. Am Nachtmittag stellten die Astronomen dann ihre Vision für die Astronomie
in Deutschland in den Jahren 2017 bis 2030 vor.

Die Preisträger
der diesjährigen AG-Tagung in Göttingen.
Foto: Stefan Deiters [Großansicht] |
Über 400 Astronomen aus dem In- und Ausland treffen sich in dieser Woche in
Göttingen zur 90. Jahrestagung der Astronomischen Gesellschaft (AG). Das jeweilige
Motto dieser kurz als "AG-Tagung" bezeichneten Treffen ist in der Regel so
gewählt, dass sich damit praktisch alle relevanten astronomischen
Forschungsbereiche irgendwie unterbringen lassen und es gleichzeitig auch die
Forschungsschwerpunkte des gastgebenden Instituts widerspiegelt. In diesem Jahr
lautet es "The many Scales of the Universe: Galaxies, their Suns, and their
Planets". Ausrichter sind das Astronomie-Institut der Universität Göttingen und
das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
Traditionell beginnen die Tagungen der AG mit der Verleihung der höchsten
Auszeichnung, die die Astronomie im deutschsprachigen Raum zu vergeben hat: die
Karl-Schwarzschild-Medaille. Der Preisträger in diesem Jahr ist Prof. Dr.
Richard Wielebinski vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn.
Er gilt als einer der Pioniere der Radioastronomie in Deutschland.
"Mit seinen Forschungsarbeiten über Pulsare, das Radiokontinuum und vor allem
im Bereich galaktischer und intergalaktischer Magnetfelder leistete Prof. Dr.
Wielebinski hervorragende Beiträge, die wesentlich zu unserem Verständnis der
physikalischen Eigenschaften verschiedenster Objekte und Strukturen im Universum
beigetragen haben", so der Präsident der Astronomischen Gesellschaft, Prof. Dr.
Matthias Steinmetz. "Man darf nicht vergessen, dass die Radioastronomie noch in
den ersten Jahren seiner aktiven wissenschaftlichen Karriere das einzige weitere
Beobachtungsfenster ins All neben der klassischen optischen Astronomie war. Von
der heutigen Multifrequenzastronomie war man damals noch weit entfernt", so
Steinmetz weiter.
Ein Schwerpunkt der Tagungen der Astronomischen Gesellschaft ist traditionell
die Förderung der jungen Astronomengeneration, so dass am Dienstagmorgen auch
mehrere Preise an junge Wissenschaftler verliehen wurden. Der
Ludwig-Biermann-Förderpreis für herausragende Nachwuchsforscher ging an Dr.
Diederik Kruijssen vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH).
Der Preisträger überzeugte die Gutachter durch seine fundamentalen und
herausragenden Arbeiten zur Entstehung von Sternen und Sternhaufen, die
insbesondere in Forschungen zur Galaxienentwicklung breite Anwendung finden.
Mit dem Doktorandenpreis für die beste Promotion wurde Dr. Philipp Grete
ausgezeichnet, der inzwischen an der Michigan State University
arbeitet.
Der Sonderpreis für den besten astronomischen Beitrag des Wettbewerbs "Jugend
forscht" ging an Maximilian Marienhagen, Toni Ringling und Aaron Wild aus
Erfurt. Sie waren zudem Jugend-forscht-Bundessieger in Geo- und
Raumwissenschaften und hatten sich mit einem sehr modernen Thema befasst: der
Gravitationswellenforschung. Weiterhin ehrte die AG den langjährigen
Direktor des Stuttgarter Planetariums, Prof. Dr. Hans-Ulrich Keller, mit dem
Bruno-H.-Bürgel Preis für sein hervorragendes Engagement im Bereich der
astronomischen Öffentlichkeitsarbeit. Michael Winkhaus vom Carl-Fuhlrott-Gymnasium
in Wuppertal wurde für sein Engagement, Schülerinnen und Schüler für
Wissenschaft zu begeistern, mit dem Hanno und Ruth Roelin-Preis für
Wissenschaftspublizistik geehrt.
Eine Besonderheit am Nachmittag des ersten Konferenztages war die Vorstellung der
Denkschrift 2017 "Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030 – Von
den Anfängen des Kosmos bis zu Lebensspuren auf extrasolaren Planeten". Der Rat
Deutscher Sternwarten als Vertretung der wissenschaftlichen
Forschungseinrichtungen in der AG präsentiert darin den Stand der
astrophysikalischen Forschung in Deutschland und gibt Handlungsempfehlungen für
das kommende Jahrzehnt.
Mit konkreten Forderungen halten sich die Astronomen dabei zurück, geben aber
Empfehlungen für die Zukunft. So halten sie eine Beteiligung der deutschen
Astronomie an den wesentlichen internationalen Infrastrukturen, dem
Extremely Large Telescope und den weiteren Einrichtungen der europäischen
Südsternwarte ESO in Chile und dem European Solar Telescope auf
Teneriffa für erforderlich und sprechen sich zudem für ein starkes Engagement
Deutschlands in der Weltraumforschung aus. Besondere Erwähnung findet dabei das
Square Kilometre Array in Südafrika und Australien, dessen Beteiligung
Deutschlands zum Entsetzen der Radioastronomen vom Forschungsministerium gekündigt
worden war. Inzwischen besteht Hoffnung, zumindest eine assoziierte
Mitgliedschaft erreichen zu können.
Bei der Vorstellung der Denkschrift wurde zudem auf die Unterfinanzierung des
deutschen Raumfahrtprogramms hingewiesen: So würde Deutschland zwar einen
beträchtlichen Beitrag zum ESA-Haushalt leisten und damit zahlreiche europäische
Raumfahrtmissionen finanzieren, die Instrumente der ESA-Sonden müssten aber aus
nationalen Mitteln zusätzlich finanziert werden und hier würde immer wieder das
Geld fehlen. Eine Erhöhung der Mittel des nationalen Programms um 10 bis 20
Prozent wurde als dringend notwendig angesehen, wird aber so konkret in der Denkschrift
dann doch nicht gefordert.
Außerdem wurde auf die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der
Astronomie eingegangen: Gerade bei langfristigen Raumfahrtprojekten wäre oft nur
der Abschluss von Zeitverträgen möglich, die aber nicht beliebig verlängert
werden können. Manchmal würde Expertise verlorengehen, da der betreffende
Mitarbeiter oder die betreffende Mitarbeiterin nicht mehr länger beschäftigt
werden darf. Auch im akademischen Mittelbau würde häufig eine berufliche
Perspektive fehlen.
Nach dem ersten Tag mit den Preisverleihungen und der Vorstellung der
Denkschrift sind die kommenden Tage
geprägt von Vorträgen zu aktuellen Themen. Natürlich gibt es auch in Göttingen wieder die sogenannten Splinter-Treffen. Sie
bieten den Rahmen für Vorträge zu
spezielleren Themen. Sie sind vielfach auch ein
Forum für junge Astronomen, die mit ihren Diplom- und Doktorarbeiten zum ersten
Mal vor ein größeres Fachpublikum treten und so Erfahrungen im Präsentieren von
wissenschaftlichen Ergebnissen sammeln können.
Die Astronomische Gesellschaft wurde 1863 in Heidelberg gegründet und war bis
nach dem Ersten Weltkrieg die einzige größere internationale astronomische
Vereinigung. Diese Rolle übernahm später die Internationale Astronomische
Union (IAU). Heute ist die AG ein Zusammenschluss von Astronomen aus den
deutschsprachigen Ländern und setzt sich verstärkt für die Förderung jüngerer
Wissenschaftler, für die Vernetzung von Astronomen, die Ausbildung von Lehrern und die Öffentlichkeitsarbeit
ein.
Von der AG-Tagung berichten astronews.com und andere Teilnehmer auch wieder bei Twitter. Der
Hashtag ist #ag2017geo. astronews.com kann man bei Twitter unter
@astronews folgen. Die
Astronomische Gesellschaft selbst als
@GermanAstroSoc bei Twitter aktiv.
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