Robuste Staubscheiben im Galaxienzentrum
Redaktion
/ idw / Pressemitteilungen der Universität Bonn und des MPIA astronews.com
30. März 2015
Astronomen haben um massereiche Sterne im galaktischen
Zentrum Staubscheiben entdeckt. Bislang waren sie davon ausgegangen, dass solche
Strukturen dort wegen der intensiven Strahlung der Sterne kaum längere Zeit
existieren können. Nun spekulieren sie darüber, ob vielleicht sogar die
Entstehung von Planeten in dieser Umgebung möglich wäre.
Die Sternhaufen
Arches- und Quintuplet-Haufen im Zentrum der
Milchstraße: Die Wind- und Strahlungskräfte der
massereichsten Sterne im Quintuplet-Haufen haben
eine Art Höhle in die umgebenden Gaswolken
gefressen (im Bild markiert). Auf ähnliche Weise
werden auch die Staubscheiben um nahe Sterne in
dieser strahlungsreichen Umgebung angegriffen.
Bild: HST/Spitzer - NASA, ESA, D. Q .Wang
(UMass), JPL, S. Stolovy (Spitzer Science Center) [Gesamtansicht] |
Ein Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn hat im Zentrum der
Milchstraße ein ungewöhnliches Phänomen entdeckt: In Haufen aus sehr großen und
heißen Sternen beobachteten sie jeweils rund 20 rotierende Staub- und
Gasscheiben, die die Sonnen umkreisen. Eigentlich dürften die Scheiben dort gar
nicht vorkommen, weil sie angesichts der herrschenden UV-Strahlung binnen einer
Million Jahre verdampfen sollten. Die Wissenschaftler rätseln nun, wie die
rotierenden Scheiben diese widrigen Bedingungen überstehen.
Beim Zentrum der Milchstraße handelt es sich um eine Art gewaltigen stellaren
Kreißsaal: Dort entstehen aus Materiewolken besonders viele Sterne, die sich zu
Haufen zusammenballen. "Quintuplet" und "Arches" heißen zwei dieser
Sternansammlungen, die in den vergangenen Jahren in den Fokus eines
Forscherteams unter Federführung der Universität Bonn rückten. Beide Sternhaufen
sind wenige Millionen Jahre jung und enthalten Sterne mit mehr als 100
Sonnenmassen.
"Eigentlich sollte die enorme Strahlungsenergie dieser Riesen das umgebende
Gas- und Staub-Material ihrer kleineren Nachbarn binnen einer Million Jahre
verdampfen", erläutert Dr. Andrea Stolte vom Argelander-Institut für Astronomie
der Universität Bonn. Doch mit dem Max-Planck-Institut für Astronomie, dem
Astronomischen Recheninstitut der Universität Heidelberg und US-Kollegen aus Los
Angeles, Honolulu, Dearborn und Baltimore entdeckte die Wissenschaftlerin der
Universität Bonn mehrere rotierende Staubscheiben, die die Sterne im Quintuplet-
und im Arches-Sternhaufen umgeben.
"In einer solch aggressiven Umgebung haben wir keine zirkumstellaren Scheiben
erwartet, dennoch haben wir mehr als 20 Scheiben in jedem der beiden Haufen
beobachtet", sagt Stolte, die das Projekt koordinierte. Diese überraschende
Entdeckung widerspreche den gängigen Theorien und deute darauf hin, dass es dort
zu unbekannten Prozessen kommt.
"Unser Team hatte in der Vergangenheit kleinere Sternhaufen in gewöhnlichen
Umgebungen untersucht, weiter außen in der Scheibe unserer Galaxie, entlang der
Spiralarme", erklärt Wolfgang Brandner vom Max-Planck-Institut für Astronomie.
"Wir hatten Staubscheiben um Sterne in diesen Haufen gefunden, und uns hat
interessiert, ob solche Scheiben auch die extremeren Umgebungen in den heißen,
dichten Sternhaufen nahe dem Zentrum der Milchstraße überleben können."
Mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in
der chilenischen Atacamawüste und dem Hubble-Weltraumteleskop konnten
die Wissenschaftler das seltsame Phänomen beobachten. "Im Bereich des sichtbaren
Lichts könnten wir nicht durch die Staubansammlungen ins Zentrum der Milchstraße
blicken", erklärt Dr. Maryam Habibi. Jedoch gelang dies den Forschern, indem sie
mit den beiden Teleskopen die Infrarotstrahlung aus diesem Gebiet einfingen.
Habibi hat im Rahmen des Projekts ihre Dissertation in der von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Emmy-Noether-Gruppe an der Universität
Bonn abgeschlossen.
Die Wissenschaftler rätseln nun, wie es den rotierenden Scheiben gelingt,
trotz des Höllenfeuers der Riesensterne in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu
existieren. Aus Sicht der Astronomen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht:
Entweder haben die kreiselnden Staub- und Gasscheiben wider Erwarten die
Widerstandskraft, die dort herrschenden unwirtlichen Bedingungen für mehrere
Millionen Jahre zu überstehen.
Oder aber es gibt einen bislang unbeobachteten Mechanismus: In dem Maße, wie
die Staub- und Gasscheiben durch die UV-Strahlung verdampfen, könnten enge
Nachbarn Material in die Scheibe ihres kleineren Begleiters nachliefern. Stolte
hält letztere Theorie für die wahrscheinlichere: "Wir kennen noch nicht alle
Prozesse, die in diesen dicht besiedelten Sternhaufen ablaufen, aber der in
anderen jungen Gebieten häufig beobachtete Massenfluss zwischen Doppelsternen
könnte hierbei eine Rolle spielen."
Damit rückt ein weiteres Phänomen in den Mittelpunkt, das in diesen Zonen der
Milchstraße bislang für unmöglich gehalten wurde: Wenn dort trotz aggressivster
Bedingungen Scheiben aus Staub und Gas vorkommen, könnten auch Voraussetzungen
herrschen, in denen neue Planeten entstehen. "Wenn genug Material vorhanden ist
– wer weiß?", fragt Stolte. Das ist aber noch Spekulation. Allerdings würde das
Zentrum der Milchstraße genug Entdeckungen bieten, um zu weiteren neuen und
überraschenden Erkenntnissen in der Astronomie zu gelangen.
Über ihre Beobachtungen berichteten die Astronomen in der
Wissenschaftszeitschrift Astronomy & Astrophysics.
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