Hinweis auf Dunkle Materie im Röntgenlicht?
von Stefan Deiters astronews.com
26. Juni 2014
Bei Röntgenbeobachtungen von zahlreichen Galaxienhaufen mit
den Weltraumteleskopen XMM-Newton und Chandra sind Astronomen auf ein bislang
unbekanntes Signal gestoßen. Es könnte, so spekulieren sie, durch den Zerfall
einer speziellen Sorte von Neutrinos entstehen, die bislang noch nicht
nachgewiesen wurde, jedoch als Kandidat für Dunkle Materie gilt.
Mysteriöses
Signal im Röntgenspektrum des
Perseus-Galaxienhaufens: Ein Hinweis auf sterile
Neutrinos?
Bild: NASA / CXC / SAO / E. Bulbul, et al.
[Großansicht] |
Dunkle Materie zählt mit zu den größten Rätseln der aktuellen
astrophysikalischen Forschung: Es muss sich dabei nämlich um einen Stoff handeln, der
einen beträchtlichen Teil der Gesamtmasse des Universums ausmacht, jedoch
weder Licht aussendet noch verschluckt. Die Dunkle Materie lässt sich
ausschließlich durch die gravitative Wirkung ihrer Masse erkennen.
Obwohl man nicht weiß, um was es sich bei Dunkler Materie handelt, glauben
die meisten Astronomen fest an ihre Existenz. Der Grund dafür ist einfach: Man
hat zahlreiche indirekte Hinweise dafür gefunden, dass es in den verschiedensten
kosmischen Objekten deutlich mehr Masse geben muss, als man sehen kann. Nur mit
dieser zusätzlichen Masse lassen sich nämlich die beobachtete Dynamik dieser
Objekte oder andere Eigenschaften erklären.
Dunkle Materie gibt es auch in Galaxienhaufen: Diese bestehen aus Hunderten oder Tausenden
von Galaxien und sind die größten gravitativ gebundenen Systeme im Universum.
Zwischen den Galaxien eines Haufens befinden sich zudem große Mengen an heißem Gas.
Dieses Gas und die Galaxien machen jedoch lediglich rund ein Fünftel der Gesamtmasse
eines solchen Haufens aus - beim Rest muss es sich um Dunkle Materie handeln.
Das heiße Gas in Galaxienhaufen ist hauptsächlich Wasserstoff mit
Temperaturen von über zehn Millionen Grad Celsius. Dies ist so heiß, dass dieses
Gas Röntgenstrahlen aussendet. In einem entsprechenden Röntgenspektrum finden
sich dann nicht nur die Linien von Wasserstoff, sondern - bei charakteristischen
Wellenlängen - auch die Linien von weiteren Elementen, die sich in dem Gas
zwischen den Galaxien befinden.
Mit den Röntgen-Weltraumteleskopen XMM-Newton und Chandra von ESA und NASA
haben Astronomen nun insgesamt 73 Galaxienhaufen spektral untersucht und die
Linien analysiert, die in ihren Spektren zu erkennen waren. Dabei stießen sie auf
eine schwache Linie bei einer Wellenlänge, bei der sie zuvor noch nie eine Linie
gesehen hatten.
"Wenn dieses merkwürdige Signal durch irgendein bekanntes Element im Gas
entstanden wäre, hätte es auch bei anderen Wellenlängen im Röntgenbereich für
Signale sorgen müssen, doch haben wir keines dieser Signale entdeckt", erläutert
Dr. Esra Bulbul vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics im
US-amerikanischen Cambridge. "Deswegen mussten wir uns nach einer Erklärung
jenseits der bekannten normalen Materie umschauen."
Den Vorschlag, den die Wissenschaftler jetzt präsentieren, könnte die Suche
nach der Natur der Dunklen Materie einen wichtigen Schritt voranbringen: Eine
Erklärung für das Signal wäre nämlich, so die Forscher, dass es durch
den Zerfall eines exotischen subatomaren Partikels entsteht, das in der Fachwelt
als "steriles Neutrino" bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um ein Teilchen,
dessen Existenz zwar vermutet, bislang aber nicht nachgewiesen ist.
Normale Neutrinos weisen eine extrem niedrige Masse auf und treten mit
ihrer Umwelt nur durch die schwache Wechselwirkung und ihre Gravitationswirkung
in Kontakt. Von sterilen Neutrinos wird angenommen, dass sie sich ausschließlich
durch ihre Gravitationswirkung verraten. Sie wären damit ein Kandidat für die
Dunkle Materie. "Wenn unsere Interpretation stimmt, könnte zumindest ein Teil
der Dunklen Materie in Galaxienhaufen aus sterilen Neutrinos bestehen", so
Bulbul.
Noch sind die Forscher jedoch mit vorschnellen Schlussfolgerungen vorsichtig. Es sollen
zunächst noch Beobachtungen mit Chandra, XMM-Newton und anderen
Teleskopen von weiteren Galaxienhaufen gemacht werden, um tatsächlich eine
sichere Verbindung zwischen dem mysteriösen Signal und der Dunklen Materie
herstellen zu können.
"Es wäre schon sehr aufregend, wenn sich bestätigen würde, dass es mithilfe
von XMM-Newton gelungen ist, den ersten direkten Hinweis auf Dunkle Materie zu
finden", so Norbert Schartel, der XMM-Newton-Projektwissenschaftler bei der ESA.
"Noch ist es nicht soweit, doch werden wir zweifellos auf dem Weg dorthin jede
Menge über die Zusammensetzung unseres bizarren Universums lernen."
Über ihre Beobachtungen berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel,
der am 1. Juli 2014 in der Zeitschrift The Astrophysical Journal
erscheint.
|