Langsames Auftauen statt Urknall?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Heidelberg astronews.com
25. Februar 2014
Was war eigentlich vor dem Urknall? Ein Heidelberger
Wissenschaftler hat darauf nun eine überraschende Antwort parat. Nach einem
jetzt vorgestellten Modell gab es den Urknall in der bekannten Form nämlich gar
nicht, sondern der Beginn des Universums erstreckte sich unendlich weit in die
Vergangenheit.
Das Universum: Kein Urknall sondern langsames
Auftauen?
Bild: STScI / NASA |
Hat das Universum als heißer Urknall begonnen oder taut es aus einem extrem
kalten und fast statischen Zustand langsam auf? Prof. Dr. Christof Wetterich,
Physiker an der Universität Heidelberg, hat einen theoretischen Ansatz
entwickelt, der das seit fast 100 Jahren gängige Standardmodell der kosmischen
Expansion durch ein alternatives Bild ergänzt. Danach gab es vor 13,8 Milliarden
Jahren nicht ein singuläres Ereignis, sondern der "Beginn des Universums" dehnt
sich vielmehr über einen unendlich langen Zeitraum in der Vergangenheit aus.
Dabei nimmt die Masse aller Teilchen stetig zu. Und statt zu expandieren, so
Wetterich, würde das Universum über ausgedehnte Zeitabschnitte schrumpfen.
Den "Beginn des Universums" beschreiben Kosmologen zumeist als Urknall. Je
näher man zeitlich an den Urknall heranrückt, desto stärker krümmt sich die
Geometrie von Raum und Zeit. Physiker nennen dies eine Singularität - der
Begriff bezeichnet Gegebenheiten, deren physikalische Gesetze nicht definiert
sind. Im Fall des Urknalls wird die Krümmung der Raumzeit unendlich groß.
Kurz nach dem Urknall war das Universum extrem heiß und dicht. Aber auch ein
anderes "Bild" ist nach Ansicht von Wetterich möglich: Wenn die Massen aller
Elementarteilchen mit der Zeit wachsen und die Gravitationskraft schwächer wird,
so könnte das Universum auch extrem kalt und langsam begonnen haben. Danach hat
das Universum immer schon bestanden, und der früheste Zustand war fast statisch.
Die Urexplosion dehnt sich über einen unendlich langen Zeitraum in der
Vergangenheit aus.
Der Wissenschaftler vom Institut für Theoretische Physik geht davon aus, dass
sich die ersten heute indirekt beobachtbaren "Ereignisse" vor 50 Billionen
Jahren zugetragen haben - und nicht im Milliardstel eines Milliardstels einer
Milliardstel Sekunde nach dem Urknall. "Eine Singularität gibt es in diesem
neuen Bild des Kosmos nicht mehr", so Wetterich.
Die Hypothese von Wetterich beruht auf einem Modell, das die Dunkle Energie
und das frühe "inflationäre Universum" durch ein einziges zeitlich
veränderliches Skalarfeld erklärt. Danach wachsen alle Massen mit dem Wert
dieses Feldes. "Dies erinnert an das kürzlich in Genf entdeckte Higgs-Boson.
Dieses Elementarteilchen hat die Physiker in der Vorstellung bestätigt, dass
Teilchenmassen von Feldwerten abhängen und damit veränderlich sind", erläutert
der Heidelberger Wissenschaftler.
In Wetterichs Ansatz sind alle Massen proportional zum Wert des sogenannten
Kosmonfelds, der im Laufe der kosmologischen Evolution zunimmt. "Natürliche
Konsequenz dieses Modells ist das Bild eines Universums, das sich sehr langsam
aus einem extrem kalten Zustand entwickelt und dabei über lange Zeitabschnitte
schrumpft anstatt zu expandieren", so Wetterich.
Das bisherige Bild des Urknalls wird damit allerdings nicht "ungültig", wie
Wetterich betont: "Physiker sind es gewohnt, beobachtete Tatsachen in
verschiedenen Bildern zu beschreiben." So kann Licht sowohl durch Teilchen als
auch als Welle dargestellt werden. Sein Modell würde sich auch äquivalent im
Bild des Urknalls beschreiben lassen.
"Dies ist sehr nützlich für viele praktische Vorhersagen zu den Konsequenzen,
die sich aus diesem neuen theoretischen Ansatz ergeben. Stellt man allerdings
die Frage nach dem 'Beginn' des Universums, so scheint die Beschreibung ohne
Singularität eine Reihe von Vorteilen zu bieten", betont Wetterich. "Und für das
oft geäußerte Unbehagen, dass es doch auch vor dem Urknall etwas gegeben haben
muss, gibt es in der neuen Beschreibung keine Grundlage mehr."
Eine aktuelle Zusammenfassung seines Modells hat Wetterich als Preprint unter
dem Titel "Hot big bang or slow freeze?" veröffentlicht. Das Modell wurde aber
auch bereits in Artikeln beschrieben, die in den Fachzeitschriften Physical
Review D und Physics of the Dark Universe
erschienen sind.
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