Ein bisschen Weltall auf der Erde
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
5. Juli 2013
In Köln wurde heute mit dem Labor :envihab eine weltweit
wohl einzigartige Forschungsanlage eröffnet. Den Wissenschaftlern des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt bietet das Labor ganz neue Möglichkeiten für
raumfahrtmedizinische Untersuchungen. Kernstück der neuen Anlage ist eine
Zentrifuge, auf der Probanden der sechsfachen Erdanziehungskraft ausgesetzt
werden können.
Die
Kurzarm-Humanzentrifuge ermöglicht es, die
Wirkung erhöhter Schwerkraft zu erforschen.
Foto: DLR |
Die Zentrifuge zieht mit der sechsfachen Erdanziehungskraft an den Probanden,
in der Druckkammer geht es auf eine Höhe von 5.500 Metern, und im
Psychologielabor muss unter Stress ein Shuttle an die Internationale Raumstation
angedockt werden. In der neuen Forschungsanlage :envihab des Deutschen Zentrums
für Luft- und Raumfahrt (DLR) und seinen acht Modulen steht auf 3.500
Quadratmetern der Mensch, seine Gesundheit und seine Leistungsfähigkeit im
Mittelpunkt. Die Anlage in Köln wurde heute offiziell eröffnet.
"In dieser Kombination und mit diesen Möglichkeiten ist das :envihab weltweit
einzigartig", betont Prof. Rupert Gerzer, Leiter des DLR-Instituts für Luft- und
Raumfahrtmedizin. Dabei haben die Wissenschaftler nicht nur die Astronauten im
Blick, sondern auch die Menschen auf der Erde. "Was den Astronauten
leistungsfähig erhält, hilft auch dem Patienten am Boden - und umgekehrt."
Das Zentrum der Anlage lässt seinen Inhalt schon von außen erahnen: Kreisrund
ist der Raum, in dessen Innerem sich die Kurzarm-Humanzentrifuge dreht und für
den Probanden eine künstliche Schwerkraft erzeugt. Während die Astronauten im
Weltraum schwebend arbeiten und forschen, bauen ihre Knochen und Muskeln ab, die
Leistungsfähigkeit ihres Kreislaufs lässt ohne die Schwerkraft der Erde nach,
und das Immunsystem schwächelt - die Schwerkraft bei einer Zentrifugenfahrt
könnte diesen Veränderungen des Körpers entgegenwirken.
"In welchem Umfang und wie das funktionieren könnte, wollen wir mit Studien
auf der Zentrifuge herausfinden", sagt Institutsleiter Gerzer. Bei der Fahrt
kann eine künstliche Schwerkraft bis zum Sechsfachen der Erdgravitation auf den
Probanden wirken. Dabei warten auf diesen noch weitere Aufgaben: Unter anderem
kann er auf einem Trainingsrad oder einer Sprungplatte Übungen machen, die unter
Umständen die Wirkung der Zentrifugenfahrt noch verstärken. Gleich mehrere
Kameras beobachten dabei die Bewegungsabläufe.
Weltweit einmalig ist die Möglichkeit, während der Fahrt ein Ultraschallgerät
mit einem Roboterarm über den Probanden zu steuern und das Herz zu beobachten.
"Wir werden zunächst Studien durchführen, mit denen wir ganz exakt diese
Untersuchungsmöglichkeiten kennenlernen und nutzen." Ziel ist es, in Zukunft
eine maßgeschneiderte Zentrifuge für das Astronautentraining ins Weltall zu
bringen. Die entwickelten Gegenmaßnahmen wirken aber auch gegen den Knochen- und
Muskelabbau, der auf der Erde unter anderem nach längerer Bettlägerigkeit oder
im Alter entsteht.
In direkter Nachbarschaft zur Zentrifuge befinden sich die weiteren Module.
Im Schlaflabor werden in Zukunft mehrwöchige oder mehrmonatige Bettruhestudien
durchgeführt werden. Unter exakt kontrollierten Umweltbedingungen können bis zu
zwölf Probanden untergebracht werden. Luftfeuchtigkeit, Sauerstoff-, Stickstoff-
und Kohlendioxidgehalt, Umgebungslicht oder auch Temperatur können dabei genau
festgelegt und je nach Studie eingestellt werden. Spezielle Lichtdecken
ermöglichen zudem Untersuchungen mit verschiedenen Wellenlängen.
"Astronauten sind ebenso Schichtarbeiter wie Arbeiter in einer Produktion
oder Krankenschwestern und Ärzte im Nachtdienst", erklärt Gerzer. Studien, die
untersuchen, welche Lichtwellen sich günstig auf den Rhythmus von
Schichtarbeitern auswirken, nutzen somit den Arbeitern im Weltall und auf der
Erde. Weitere Studien werden sich beispielsweise mit dem Knochen- und
Muskelabbau, der zirkadianen Rhythmik oder den Auswirkungen unterschiedlicher
Ernährung beschäftigen.
Zu den Einrichtungen der Forschungsanlage :envihab gehört auch ein Gerät zur
Positronen-Emissions- und zur Magnetresonanztomographie. Mit diesen Verfahren
können die Wissenschaftler gleich vor Ort - nur wenige Meter von Einrichtungen
wie dem Schlaflabor oder der Zentrifuge - untersuchen, wo zum Beispiel der
menschliche Körper Natrium einlagert, wie hoch Wasser- und Fettanteil sind oder
auch wie der Körper durchblutet wird. Möglich ist es auch, Neurorezeptoren im
Gehirn und Prozesse, die damit in Verbindung stehen, sichtbar zu machen.
Im Präventions- und Rehabilitationslabor untersuchen die Wissenschaftler das
Herz-Kreislauf-System und den Bewegungsapparat des Menschen, aber auch die
Auswirkungen der atmosphärischen Bedingungen auf den Körper: In der Druckkammer
werden dazu Bedingungen geschaffen, die Höhen bis zu 5.500 Metern Höhe
simulieren. Das Physiologielabor dient der Entwicklung von Maßnahmen gegen die
negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit. Dazu stehen verschiedene Geräte zur
Verfügung, um beispielsweise die Muskelkraft und -leistung zu messen. Das
angrenzende Biologielabor bietet zudem mehrere Labore für die Analyse von
mikrobieller Keimbelastung oder auch für die Vorbereitung biologischer
Weltraumexperimente.
Der Psyche des Menschen widmen sich die Studien im Psychologielabor: Wie
reagieren Menschen, wenn sie unter Stress komplexe Aufgaben erledigen sollen?
Welche Auswirkungen hat zum Beispiel eine Langzeitmission durchs All auf die
Astronauten, die auf engstem Raum und mit wenig Kontakt zur Außenwelt
miteinander leben und arbeiten? Auch hier sind die Forschungsergebnisse für
Astronauten und die Menschen auf der Erde wichtig. "Bei manchen Arbeiten ist
Teamarbeit unter extremem Stress notwendig - und nicht anders arbeiten teilweise
die Astronauten in der Raumstation", erläutert Gerzer.
Erste Studien werden dazu dienen, die Geräte und Anlage des :envihab
kennenzulernen. Anschließend steht eine zweimonatige Bettruhestudie an.
"Mögliche Nutzer unserer Anlage sind nicht nur die Wissenschaftler des DLR,
sondern auch internationale Raumfahrtagenturen oder Universitäten." In Zukunft
werden auch die europäischen Astronauten nach ihrer Rückkehr aus dem All in der
Kölner Forschungsanlage ihre ersten Untersuchungen absolvieren. "Im :envihab
wird für die Raumfahrt, aber auch für Anwendungen auf der Erde geforscht - und
beide werden davon profitieren," ist Gerzer überzeugt.
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