Das chaotische Wachstum von Galaxien
von Stefan Deiters astronews.com
29. Mai 2013
Umfangreiche Computersimulationen ermöglichten Astronomen
nun neue Einblicke in die Prozesse, die Galaxien wachsen lassen. Offenbar strömt
kaltes Gas entlang von Filamenten in die Zentren der Systeme und steht dort als
Grundstoff für neue Sterne zur Verfügung. Das Wachstum der Galaxien könnte damit
anders ablaufen, als lange angenommen.
Ausschnitt aus der Simulation über die
Entstehung und Entwicklung einer Galaxie. Bild:
N-Body Shop at University of Washington |
"Die Entstehung von Galaxien ist wirklich chaotisch", meint Kyle Stewart
von der California Baptist University in Riverside, der Erstautor eines
Artikels über die Untersuchung, der gerade in der Fachzeitschrift
Astrophysical Journal erschienen ist. "Wir benötigten über Monate mehrere
Hundert Computerprozessoren, um die Vorgänge zu simulieren und mehr über sie zu
lernen."
Nach den Vorstellungen der Astronomen entstanden Galaxien im jungen Universum
aus Klumpen von Materie, die durch Filamente zu einem weiten "kosmischen Netz"
verknüpft waren. In den einzelnen Galaxien konnten Sterne aus kaltem Gas
entstehen, das sich ausreichend verdichtet hatte, um die Geburt neuer Sonnen zu
ermöglichen.
Bislang war man davon ausgegangen, dass Gas aus allen Richtungen in die
Zentren der wachsenden Galaxien geströmt ist. Die Gaswolken kollidierten dort
miteinander, es entstanden Stoßwellen, wodurch sich das Gas aufheizte. Nach
einiger Zeit kühlte es aber schließlich ab und sammelte sich im Zentrum der
Galaxie, so dass die Entstehung von Sternen einsetzen konnte. Dieser ganze
Prozess, so die Theorie, nahm eine sehr lange Zeit in Anspruch - bis zu acht
Milliarden Jahre.
Untersuchungen aus jüngerer Zeit passten jedoch nicht ganz zu diesem Ablauf:
Man hatte nämlich beispielsweise festgestellt, dass Gas in kleineren Galaxien
nicht aufgeheizt wird. Deswegen entwickelten Wissenschaftler eine alternative
Theorie, bei der kaltes Gas entlang von Filamenten in die Galaxienzentren
strömt. Stewart und sein Team wollten mit ihrer Studie nun überprüfen, ob diese
Theorie das Wachstum von Galaxien tatsächlich erklären kann, wie genau das kalte
Gas in die Galaxien gelangt und mit welcher Rate es ins Innere der Systeme
strömt.
Die Erforschung der Galaxienentstehung und -entwicklung ist eines von vielen
Problemen in der Astrophysik, die sich nicht durch Experimente oder einfaches
Beobachten lösen lassen. An die Stelle des Experiments treten
Computersimulationen, in denen man die vermuteten Abläufe so gut wie möglich
nachstellt. Als Ergebnis liefern die Simulationen dann Daten über das
modellierte System, die sich mit realen Objekten in bestimmten
Entwicklungsphasen vergleichen lassen.
Für die jetzt vorgestellte Studie führten die Wissenschaftler vier
verschiedene Simulationen durch, bei denen jeweils die Entwicklung einer
milchstraßenähnlichen Galaxie von 57 Millionen Jahren nach dem Urknall bis in
die Gegenwart verfolgt wurde. Am Anfang standen jeweils die Grundbausteine von
Galaxien: Wasserstoff, Helium und Dunkle Materie. Anschließend ließ man den
Gesetzen der Physik freien Lauf. Aufgrund der zahlreichen Wechselwirkungen, die
dabei zu betrachten waren, benötigte man dafür die Rechenleistung eines
Supercomputers.
"Solche Simulationen sind wie ein riesiges Schachspiel", vergleicht Alyson
Brooks von der University of Wisconsin, die auch zum Team gehörte. "Für
jeden Zeitpunkt mussten wir berechnen, wie ein Teilchen - oder unser
Schachspielstein - sich als nächstes bewegen soll und dies abhängig von den
Positionen aller anderen Partikel. In der Simulation sind mehrere zehn Millionen
Partikel. Zu berechnen, wie die Gravitationskräfte jedes einzelne Teilchen
beeinflussen, ist extrem zeitaufwändig."
Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Die Analyse der Daten bestätigte, dass
kaltes Gas tatsächlich entlang von Filamenten in die Galaxien gelangt - und dies
deutlich schneller, als bislang vermutet worden war, nämlich innerhalb von nur
einer Milliarde Jahren. "Wir haben herausgefunden, dass die Filamentstrukturen,
auf denen Galaxien aufgebaut sind, entscheidend für ihr Wachstum sind, da sie
das Gas sehr effizient ins Innere der Galaxien leiten", fasst Teammitglied
Leonidas Moustakas vom Jet Propulsion Laboratory zusammen.
Die Simulationen ergaben auch neue Hinweise auf überraschend hohe
Geschwindigkeiten, mit denen sich Gas und auch Dunkle Materie entlang der
Filamente bewegen - Daten, die helfen könnten, manche Beobachtungen in Galaxien
zu erklären. "Das Ziel von Galaxiensimulationen ist, sie mit dem zu
vergleichen, was Teleskope beobachten und dann zu entscheiden, ob wir wirklich
verstehen, wie eine Galaxie entsteht", so Stewart. "Das hilft uns, das wirkliche
Universum zu begreifen."
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