Astronomen entdecken zwei Giganten
von Stefan Deiters astronews.com
6. Dezember 2011
Amerikanische Astronomen haben in den Zentren von zwei
Galaxien die massereichsten Schwarzen Löcher aufgespürt, die bislang
nachgewiesen worden sind. Die beiden Schwerkraftfallen haben eine Masse, die der
rund 10-Milliarden-fachen Masse unserer Sonne entspricht. Innerhalb ihres
Ereignishorizonts hätte unser gesamtes Planetensystem bequem Platz.
Astronomen
entdeckten zwei gewaltige Schwerkraftfallen, hier
eine künstlerische Darstellung, in über 300
Millionen Lichtjahren Entfernung.
Bild: Gemini Observatory / AURA / Lynette
Cook |
Schon seit längerem vermuten Astronomen, dass sich in den Zentren der meisten
Galaxien supermassereiche Schwarze Löcher verbergen. Schwarze Löcher sind
kompakte Objekte, die auf ihre unmittelbare Umgebung eine so große
Anziehungskraft ausüben, dass noch nicht einmal Licht ihrem Einflussbereich
entkommen kann. Forscher unterscheiden in der Regel zwischen zwei verschiedenen
Arten von Schwarzen Löchern: Stellare Schwarze Löcher entstehen durch
Supernova-Explosionen von massereichen Sternen und haben eine vergleichsweise
kleine Masse, die nur einem geringen Vielfachen der Masse unserer Sonne
entspricht.
Supermassereiche Schwarze Löcher hingegen entstehen vermutlich durch
wiederholte Verschmelzungen von kleineren Schwarzen Löchern oder durch deren
Anwachsen nach Verschlucken enormer Mengen an Sternen und Gas. Ihre Masse kann
viele Millionen Sonnenmassen ausmachen, einige besonders massereiche Exemplare
bringen es sogar auf Massen, die sich nur in Milliarden Sonnenmassen beschreiben
lassen.
Und genau zwei solche Giganten haben Astronomen nun in mehr als 300 Millionen
Lichtjahren Entfernung aufgespürt. Es könnte sich bei ihnen um die dunklen
Überreste von äußerst hellen aktiven Galaxien, sogenannten Quasaren, handeln,
die es im jungen Universum sehr häufig gegeben haben muss. Quasare sind, so die
Theorie, Galaxien mit äußerst aktiven supermassereichen Schwarzen Löchern, die
also große Mengen an Material verschlingen. Dieses Material heizt sich kurz vor
dem Verschwinden in dem Schwarzen Loch extrem auf, so dass es eine intensive
Strahlung aussendet, die auch noch über große Distanzen zu sehen ist.
"Im jungen Universum gab es eine Vielzahl von Quasaren oder aktiven Galaxien
und einige davon sollten auch Schwarze Löcher mit einer Masse von zehn
Milliarden Sonnenmassen und mehr besessen habe", so Chung-Pei Ma, Professorin
für Astrophysik an der University of California in Berkeley. "Diese
beiden neuen supermassereichen Schwarzen Löcher haben eine ähnliche Masse wie
diese jungen Quasare und sind vielleicht das fehlende Verbindungsstück zwischen
Quasaren und den supermassereichen Schwarzen Löchern, die wir heute beobachten."
"Diese Schwarzen Löcher könnten auch neue Informationen darüber liefern, wie
Schwarze Löcher und die sie umgebenden Galaxien sich im Verlauf der Geschichte
des Universums gegenseitig beeinflusst haben", ergänzt Nicholas McConnell, der in
Berkeley für seine Doktorarbeit forscht. Er ist zudem Erstautor eines
Fachartikels über die Entdeckung, der am Donnerstag in der
Wissenschaftszeitschrift Nature erscheint.
Der bisherige Rekordhalter unter den supermassereichen Schwarzen Löchern, die
Schwerkraftfalle im Zentrum der nahegelegenen Galaxie M87, bringt es auf die
6,3-milliardenfache Masse der Sonne (astronews.com berichtete). Das erste
neuentdeckte Schwarze Loch hat eine geschätzte Masse von 9,7 Milliarden
Sonnenmassen und befindet sich in der elliptischen Galaxie NGC 3842, der
hellsten Galaxie des Leo-Galaxienhaufens im Sternbild Löwe. Die Galaxie ist 320
Millionen Lichtjahre entfernt. Das zweite neue Schwarze Loch ist mindestens
genauso massereich und liegt im Zentrum der elliptischen Galaxie NGC 4889, der
hellsten Galaxie des Coma-Galaxienhaufens. Dieser ist 336 Millionen Lichtjahre
von der Erde entfernt und befindet sich im Sternbild Haar der Berenike.
Der Ereignishorizont der beiden jetzt entdeckten Schwarzen Löcher dürfte
gewaltig sein: Diese imaginäre Grenze beschreibt jenen Punkt um ein Schwarzes
Loch, ab dem die Anziehungskraft der Schwerkraftfalle so stark ist, dass nicht
einmal Licht ihr mehr entkommen kann, eine "Grenze ohne Wiederkehr" also. Der
Ereignishorizont um die beiden neu entdeckten Giganten ist so groß, dass die
Planeten unseres Sonnensystems auf ihren Bahnen bequem darin Platz hätten - er
entspricht etwa dem fünffachen des Plutoorbits. Der gewaltige gravitative
Einfluss der Schwarzen Löcher sollte sogar noch in einem Umkreis von 4.000
Lichtjahren zu spüren sein. "Zum Vergleich: Diese beiden Schwarzen Löcher sind
2.500-mal massereicher als das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße", so
McConnell. "Dessen Ereignishorizont beträgt gerade einmal ein Fünftel des
Merkurorbits."
Vermutlich blieben diese Giganten unter den supermassereichen Schwarzen
Löchern so lange unentdeckt, weil sie heute nicht mehr aktiv sind. In ihrer
aktiven Phase, so Ma, vor vielleicht zehn Milliarden Jahren, haben sie
sämtliches Gas und anderes Material aus ihrer Nachbarschaft verschlungen. Aus
dem übriggebliebenen Gas sind Sterne entstanden, die seitdem friedlich um die
Schwarzen Löcher kreisen. Die beiden Galaxien rund um die Schwarzen Löcher dürften
vermutlich ähnlich gigantische Ausmaße haben wie die Schwerkraftfallen. Die
Astronomen vermuten in ihnen bis zu einer Billion Sterne.
Die Idee, in vergleichsweise nahegelegenen Galaxienhaufen nach riesigen
supermassereichen Schwarzen Löchern zu suchen, war Ma, die in der theoretischen
Astrophysik arbeitet, nach Auswertung von Computersimulationen von
Galaxienverschmelzungen gekommen. Die massereichsten Schwarzen Löcher findet man
nämlich in den Zentren von elliptischen Galaxien, die - so die Theorie - durch
Verschmelzung von zwei Spiralgalaxien entstanden sind. Bei der Auswertung ihrer
Computersimulationen fand Ma nun aber auch Hinweise darauf, dass es eigentlich
auch zu Verschmelzungen von elliptischen Galaxien kommen und dadurch dann nicht
nur die größten elliptischen Galaxien entstehen sollten, sondern auch gewaltige
Schwarze Löcher mit Massen von bis zu zehn Milliarden Sonnenmassen. Und diese
könnten dann sogar noch weiter anwachsen.
Um nach diesen gigantischen Schwerkraftfallen zu suchen, tat sich Ma mit
beobachtenden Astronomen zusammen, darunter auch mit Karl Gebhardt von der
University of Texas in Austin, der den bisherigen Rekordhalter in M87
entdeckt hatte. Mit Teleskopen des Gemini-, Keck- und des
McDonald Observatory in Texas nahmen McConnell und Ma detaillierte Spektren
des diffusen Lichts aus den Zentralbereichen zahlreicher massereicher
elliptischer Galaxien auf. Jede dieser Galaxie war dabei die massereichste
Galaxie in ihrem jeweiligen Galaxienhaufen.
Bislang haben die Wissenschaftler die Bahngeschwindigkeit der Sterne in zwei
dieser Galaxien analysiert und daraus die Masse berechnet, die sich im Inneren
der Galaxie verbergen muss. Danach sollte sich in einem Bereich von nur wenigen
hundert Lichtjahren eine so enorme Masse befinden, dass es sich dabei nur um ein
supermassereiches Schwarzes Loch handeln kann. "Wenn es sich bei dieser Masse um
Sterne handeln würde, müssten wir ihr Licht sehen", erklärt Ma. Der Fund, so die
Hoffnung der Astronomen, sollte ihnen auch etwas über die Entwicklungsgeschichte
solcher gewaltigen Schwarzen Löcher verraten: "Die Frage ist, ob sie schon sehr
große Eltern hatten, oder einfach sehr viel Spinat gegessen haben", so Ma.
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