Modell des Erdschwerefelds ungenau
Redaktion
/ Pressemitteilung der Technischen Universität München astronews.com
5. Mai 2010
Seit gut einem Jahr umkreist der ESA-Satellit GOCE die Erde und vermisst mit
großer Präzision ihr Schwerefeld. Die Auswertung der ersten Daten deutet nun
an, dass die bisherigen Modelle des Schwerefeldes in Teilen der Erde
tatsächlich gründlich überholt werden müssen. Der Satellit wird zudem wohl
eine deutlich längere Zeit im All arbeiten können als zunächst geplant.
Der Satellit GOCE.
Bild: ESA - AOES Medialab |
Die Gravitation ist eine der Grundkräfte der Natur, die aber keinesfalls
überall auf der Erde gleich groß ist. Die Erdrotation, die
Höhenunterschiede der Erdoberfläche und die Beschaffenheit der Erdkruste
bewirken deutliche Unterschiede im globalen Schwerefeld. Diese in
bislang unerreichter Genauigkeit zu messen und damit zum Verständnis
ihrer Auswirkungen beizutragen, ist die Aufgabe von GOCE (Gravity
Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer), der am 17. März
2009 in die Erdumlaufbahn geschossen wurde (astronews.com berichtete).
Außerdem soll auf dieser Grundlage ein möglichst exaktes Geoid ermittelt
werden. So heißt der virtuelle Meeresspiegel eines globalen, ruhenden
Ozeans, der beispielsweise als Höhenreferenz bei Bauprojekten genutzt
wird. In den vergangenen Monaten haben Wissenschaftler des GOCE
Gravity Consortiums, einer Gruppe von zehn europäischen Instituten
aus sieben Ländern, Daten des Satelliten bearbeitet, um sie für die
Modellberechnungen nutzbar zu machen. Schon jetzt können sie erkennen,
dass GOCE einen deutlichen Fortschritt der Kartierungen ermöglichen
wird.
"Es kristallisiert sich heraus, dass wir gute Informationen für
geophysikalisch interessante Regionen bekommen", sagt TUM-Geodät Prof.
Reiner Rummel, der Vorsitzende des Konsortiums, der in dieser Woche auf
der Jahrestagung der European Geosciences Union in Wien diese
ersten Zwischenergebnisse der Mission vorstellen wird.
Vor allem im Himalaya, in Teilen Afrikas und in den Anden vermuteten die
Wissenschaftler große Ungenauigkeiten bisheriger Berechnungen, die mit
herkömmlichen Methoden durchgeführt wurden. Tatsächlich bestätigen die
ersten Auswertungen der GOCE-Daten diese Hypothese. "Messungen, die von
der Erdoberfläche aus in schwer zugänglichen Bereichen gemacht werden,
bergen ein hohes Fehlerrisiko", erklärt Rummel. "Der Satellit hat damit
natürlich kein Problem."
Nicht nur die Daten, auch der Satellit selbst zeigt sich äußerst robust.
Ursprünglich sollte er ab Oktober ein Jahr lang die eigentlichen
Messungen vornehmen, mit einer Pause nach sechs Monaten. Doch GOCEs
Energieversorgung arbeitet so gut und seine Stabilität ist so hoch, dass
diese Ruhephase nicht nötig war. "Unsere Hoffnung ist, dass wir sogar
drei bis vier Jahre durchmessen können", sagt Rummel.
Dabei bewegt sich GOCE auf einem äußerst anspruchsvollen Orbit: Seine
Arbeitshöhe von 255 Kilometern ist die niedrigste Bahn, auf der jemals
ein wissenschaftlicher Satellit die Erde umlaufen hat. Damit er nicht
abstürzt, muss er ständig mit Ionentriebwerken nachgesteuert werden.
"Das funktioniert hervorragend", freut sich Rummel. Zur Hilfe kommt der
Mission die Sonne, die sich in den vergangenen Monaten ausnehmend ruhig
verhalten hat. Eine stärkere Aktivität würde den Luftwiderstand erhöhen
und damit die Steuerung schwieriger machen.
Die Wissenschaftler erwarten von der Mission ein besseres Verständnis
für viele Prozesse in der Erde und an der Oberfläche. Da die Gravitation
in direktem Zusammenhang mit der Masseverteilung im Erdinnern steht,
kann eine detaillierte Kartierung dazu beitragen, die Dynamik in der
Erdkruste besser zu verstehen. Warum und wo sich die Kontinentalplatten
bewegen und Erdbeben verursachen, ist besonders für Regionen an den
Plattenrändern wie den Himalaya und die Anden von großer Bedeutung. Die
Forscher hoffen, dass die Mission langfristig zu einem
Erdbebenwarnsystem beitragen könnte.
Auch die Ozeanströmungen wollen die Wissenschaftler mithilfe der neuen
Daten erstmals detailgenau erfassen. Veränderungen der Zirkulation und
des Meeresspiegels sind wiederum entscheidend für alle globalen
Klimastudien. Bislang hatte man die Meeresströme hauptsächlich aus
mathematischen Modellrechnungen erschlossen. Das Vermessungswesen soll
von den GOCE-Daten ebenso profitieren. Anhand der exakten Referenzfläche
können Höhen der Erdoberfläche auf unterschiedlichen Kontinenten korrekt
miteinander verglichen werden.
In Kombination mit Messungen von Satellitennavigationssystemen (zum
Beispiel GPS oder Galileo) soll es künftig möglich sein, jedem
Nutzer solche Angaben auf den Zentimeter genau zur Verfügung zu stellen.
Nicht zuletzt wird die Planung von Straßen-, Tunnel- und Brückenbauten
einfacher. Mit den vorbearbeiteten Daten werden die Wissenschaftler des
Konsortiums, koordiniert an der TU München, nun ein erstes globales
Schwerefeldmodell entwickeln. Es soll auf dem Living Planet
Symposium der Europäischen Weltraumagentur ESA Ende Juni im
norwegischen Bergen vorgestellt werden.
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