Überraschung an der Grenze des Sonnensystems
Redaktion / idw /
Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum astronews.com
16. Oktober 2009
Der Sonnenwind umhüllt unser Sonnensystem wie ein Kokon:
Diese kontinuierliche Plasmaströmung, die von der Sonne ausgeht, schützt uns vor
dem interstellaren Medium, vor allem vor der kosmischen Strahlung. Wie die
Ränder dieses Kokons beschaffen sind, beschäftigt die Forschung seit langem.
Jetzt lieferte die NASA-Sonde IBEX erstmals Messdaten von energiereichen
Wasserstoffatomen aus dieser Region und eine Überraschung: Sie deuten auf völlig
unerwartete Strukturen im Fluss dieser Teilchen hin.

Die entdeckte Struktur ist mit beiden
Instrumenten der IBEX-Sonde deutlich zu erkennen.
Bild: Southwest Research Institute
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"Alle
Modellierer haben ihre Rechnungen bisher ohne das Magnetfeld des interstellaren
Mediums gemacht - niemand hatte dessen starken Einfluss erwartet",
erläutert
Dr. Horst Fichtner vom Institut für Theoretische Physik IV der Ruhr-Universität
Bochum. Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam stellt er die neuen
Beobachtungen und sowie verbesserte Modelle des "Kokons" in zwei Beiträgen in
der Fachzeitschrift Science vor.
Die im Oktober letzten Jahres in die Erdumlaufbahn
gestartete Sonde IBEX (Interstellar Boundary Explorer) blickt mit neuartigen Detektoren von der Erde weg ins
Weltall, wobei sie aufzeichnet, wie viele energiereiche Wasserstoffatome aus
jeder Richtung pro Zeiteinheit eintreffen. Nach und nach scannte sie so den
gesamten Himmel ab und lieferte jetzt die erste vollständige Himmelskarte dieses
Teilchenflusses, der Rückschlüsse auf die physikalischen Vorgänge an den äußeren
Rändern unseres Sonnensystems zulässt: Am Rand der Heliosphäre - des
Plasmakokons - treffen der Sonnenwind und das interstellare Medium aufeinander.
Der Sonnenwind besteht unter anderem aus schnellen Protonen, das interstellare Medium zu
einem großen Teil aus langsamen Wasserstoffatomen. Wenn sie sich sehr nahe
kommen, besteht eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron eines
langsamen Wasserstoffatoms zu einem schnellen Proton wechselt. "Dabei tauschen
die beiden Teilchen ihre Rollen", erläutert Fichtner, "das schnelle Proton
wird zu einem schnellem Wasserstoffatom und umgekehrt. Das Resultat dieses
Tauschs können wir messen."
Die von
IBEX aufgrund solcher Messungen erhaltene Karte überraschte die Wissenschaftler
allerdings. Sie entsprach nur teilweise den zuvor theoretisch berechneten
Mustern, die auf der Annahme beruhten, dass der Fluss der energiereichen Atome
im Wesentlichen vom Sonnenwind bestimmt ist. Es zeigte sich stattdessen ein
"diagonal" über die Himmelskarte verlaufendes Band starker Intensität,
also von
verhältnismäßig vielen Tausch-Prozessen zwischen langsamen neutralen und
schnellen, geladenen Teilchen.
"Inzwischen wissen wir auch, warum", erklärt
Fichtner. "Dieses Band passt sich dem Magnetfeld des interstellaren
Mediums an. Diese Größe wurde zuvor in den Modellrechnungen vernachlässigt."
Im zweiten Science-Beitrag entwerfen die Forscher nun Szenarien
zur Erklärung des entdeckten Sachverhalts. "Wir vermuten, dass die dynamische
Rolle des Magnetfelds zu einer Verdichtung der Heliosphäre an ihren Rändern
führt", so Fichtner. Das Magnetfeld zwingt praktisch den von der Sonne
ausgehenden Plasmastrom zum Bremsen, weswegen sich Teilchen anstauen. Da im Stau
die Wahrscheinlichkeit eines "Aufeinanderprallens" größer ist, steigt auch
diejenige für einen Elektronenwechsel.
"Diese ersten Ergebnisse der IBEX-Mission sind ein Meilenstein auf dem Weg zu
einem tieferen Verständnis der Heliosphäre und ihrer galaktischen Umwelt, die
nicht zuletzt die Lebensbedingungen auf der Erde mitbestimmen", ist Fichtner, dessen Arbeitsgruppe sich seit langem mit der Heliosphäre beschäftigt,
überzeugt.
Die Erkenntnisse über die Heliosphäre könnten darüber hinaus auf andere Sterne
übertragen werden und helfen, die Bedeutung stellarer Astrosphären für Planeten
außerhalb unseres Sonnensystems zu verstehen.
Die IBEX-Messungen zeigen auch
erste Anzeichen für eine zeitliche Variabilität des Flusses der Neutralatome und
damit der Struktur der Heliosphäre: "Genau das erwarten wir auch aufgrund
unserer Rechnungen als Folge des Sonnenaktivitätszyklus", so Fichtner. Der
Nachweis einer solchen Variation könne allerdings erst mit Messungen über einen
längeren Zeitraum gelingen. "Die weiteren Messungen von IBEX, der mindestens
zwei, wahrscheinlich aber weitaus mehr Jahre aktiv bleiben wird, erwarten wir
also mit Spannung."
IBEX ist die jüngste der kostengünstigen, schnell
entwickelten "Small Explorer"-Missionen der NASA. Zusammen mit einem Team von
amerikanischen und internationalen Partnern wurde unter der Führung des Southwest Research Institutes im
texanischen San Antonio die Mission entwickelt
und durchgeführt.
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