Monumentalbauten mit Kalenderfunktion
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Wien astronews.com
15. Juni 2009
Die rund 50 mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen in
Niederösterreich gehören zu Europas ältesten Monumentalbauten: Sie wurden
zwischen 4.800 und 4.500 v. Chr. erbaut und genutzt. Über ihre genaue Funktion
gab es bislang nur Spekulationen. Wissenschaftler rekonstruierten jetzt einige
Anlagen am Computer und konnten so zeigen, dass manche wohl tatsächlich als
Sonnen- oder Sternenkalender dienten.
Virtuelle Rekonstruktion der Kreisgrabenanlage
Steinabrunn.
Bild:
Universität Wien / idw [Großansicht]
Aufgang der Plejaden im Tor der
Kreisgrabenanlage Immendorf.
Bild:
Universität Wien / idw |
Zur Zeit der mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen in Niederösterreich
steckte Stonehenge noch in den Kinderschuhen: Die komplexen, von einem tiefen
Graben umgebenen Monumentalbauten wurden rund 2.000 Jahre vor dem berühmten
britischen Steinkreis errichtet. Allerdings aus einem vergänglicheren Material:
Holz. Längst haben Witterung und jahrtausendelanger Ackerbau ihre Spuren in der
Landschaft verwischt.
Trotzdem kann man die rätselhaften Bauten heute wieder betreten - und zwar
virtuell: Ein Team rund um Wolfgang Neubauer von der Interdisziplinären
Forschungsplattform Archäologie (VIAS) hat die steinzeitlichen
Kreisgrabenanlagen 1:1 am Computer "nachgebaut". Für diese virtuellen
Rekonstruktionen dienen nicht nur archäologische Ausgrabungen und magnetische
Untersuchungen, die bereits 2003 und 2004 durchgeführt wurden, sondern auch die
Simulation des Sternenhimmels vor 6.500 Jahren. Denn in ihrem laufenden
ASTROSIM-Projekt wollen Neubauer und sein Projektmitarbeiter, der Informatiker
und Astronom Georg Zotti, durch die Kombination von archäologischen und
astronomischen Daten mittels Computersimulation aufzeigen, dass die
Kreisgrabenanlagen neben den vermuteten soziokulturellen und religiösen
Funktionen auch als eine Art steinzeitlicher Kalender dienten.
Für eine mögliche soziale oder religiöse Nutzung der Bauten, etwa als Platz
für Versammlungen oder Wettkämpfe, Übergangs- und Initiationsrituale oder
bestimmte Feste im Jahreskreis, spricht, dass zwischen 4.800 und 4.500 v. Chr.
jede Siedlung in Niederösterreich eine Kreisgrabenanlage ihr Eigen nannte - "in
etwa so, wie heute jedes niederösterreichische Dorf eine Kirche oder ein
Vereinshaus besitzt", erklärt Neubauer, der seit 20 Jahren die Ausgrabungen
leitet.
Dass die Ausrichtung der Tore mit dem Auf- oder Untergang von Sonne, Mond
oder Sternen an bestimmten Tagen im Jahr zusammenhängen könnte - eine Hypothese,
die schon seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den
Monumentalbauten in den 1970er Jahren zirkuliert -, hielt der Archäologe
zunächst für unwahrscheinlich: "Wir haben in Niederösterreich fast 50
Kreisgrabenlagen mit Toren in alle möglichen Richtungen - ich dachte mir, da
geht doch immer zufällig irgendwo etwas auf oder unter."
Dann kam aber die Astronomie ins Spiel: Um die "Kalender-These" zu
untermauern - oder aber endgültig zu falsifizieren -, musste Georg Zotti
zunächst mit Hilfe astronomischer Computerprogramme den Sternenhimmel
"zurückrechnen": "Denn die Position der Sterne verschiebt sich im Laufe der
Jahrhunderte", so der Astronom. Er hat im Vorfeld des Projekts bereits 28
Anlagen untersucht - und dabei überraschend signifikante Übereinstimmungen
gefunden: "Bei etwa einem Drittel der Bauten weisen jeweils zwei Tore in die
exakt gleiche Richtung."
Für einige dieser Tore wurden Zottis astronomische und Neubauers
archäologische Daten bereits in der Computeranimation zusammengeführt. Das
Ergebnis war eindeutig: Jeweils eines der Tore markiert den Aufgang des
Siebengestirns (Plejaden), das andere den fast gleichzeitigen Untergang des
Sterns Antares. Kalendarisch interessant ist dieses Ereignis vor allem als
sogenannter "heliakischer Aufgang" am frühen Morgen wenige Tage nach
Frühlingsbeginn. "Gab der Himmel damit 'grünes Licht' für die
Frühjahrs-Aussaat?", spekuliert Zotti. Andere Tore markieren offenbar, wie schon
früher behauptet, markante Sonnenauf- und Untergänge, etwa die Sonnwenden.
"Die Menschen konnten sich damals also ausrechnen, wie viele Sonnenuntergänge
noch bis zur nächsten großen Party fehlen", umschreibt Neubauer eine andere
mögliche Funktion des Kalenders. Denn der Archäologe vertritt nach wie vor die
Ansicht, dass die Eignung als Sonnen- bzw. Sternenkalender nur einen Zusatz zur
eigentlich soziokulturellen Bedeutung der Anlagen darstellt: "Wenn es nur um die
Bestimmung von Daten gegangen wäre, hätten zwei Pflöcke im Boden gereicht", sind
sich beide Wissenschaftler einig.
Ziel von ASTROSIM ist es, die beschriebenen archäoastronomischen
Untersuchungen für alle bekannten niederösterreichischen Kreisgrabenanlagen zu
vervollständigen und Computeranimationen zu erstellen.
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