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TEILCHENPHYSIK
Kalte Atome als Modell für Urmaterie
Redaktion / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik
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27. Januar 2009

Forscher vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik wollen mit Hilfe von ultrakalten Lithiumatomen mehr über den Zustand der Materie unmittelbar nach dem Urknall lernen. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, die Atome so zu präparieren, dass sie sich ganz ähnlich wie ein Quark-Gluon-Plasma verhalten.

Borromäische Ringe

Nur zu dritt sind die Borromäischen Ringe untrennbar. Fehlt einer, fallen auch die beiden übrigen auseinander. Max-Planck-Forscher haben in ultrakalten Gasen nun Verbindungen aus drei Teilchen geschaffen, die sich ganz ähnlich verhalten. Bild: MPI für Kernphysik

Von einem Extrem könnten Physiker etwas über ein anderes lernen. Mit extrem kalten Atomen machen Forscher des Max-Plack-Instituts für Kernphysik Experimente, die auch etwas über die extrem heiße Zeit kurz nach dem Urknall verraten könnten. Sie haben ein sehr kaltes und dünnes Gas aus Lithiumatomen so präpariert, dass diese sich nach drei Sorten unterscheiden lassen. Teilchen der drei Sorten bilden Zustände, die nach dem Wappen einer italienischen Familie borromäisch heißen.

Auf ähnliche Weise entstanden Protonen und Neutronen unmittelbar nach dem Urknall und bilden heute die Kernbausteine unserer Materie. Das Modell der kalten Atome bietet nun neue Möglichkeiten, derartige Zustände zu erforschen - nicht zuletzt, weil in diesem System die Wechselwirkungen der Teilchen gezielt beeinflusst werden können. Die Forscher veröffentlichten ihre Resultate nun in einem Beitrag für die Fachzeitschrift Physical Review Letters.

 Zusammenhalt kennt ein Symbol: Die unverbrüchliche Freundschaft zu seinen Förderern wollte Filippo Borromeo vermutlich zum Ausdruck bringen, als er Mitte des 15. Jahrhunderts die Borromäischen Ringe in sein Familienwappen aufnahm. Diese sind so ineinander verschlungen, dass sie nur zu dritt eine Einheit bilden. Fehlt ein Ring, fallen auch die beiden anderen auseinander. Das gilt nicht nur für manche Freundschaft, sondern auch für eine besondere Ménage à trois, die Atome oder Elementarteilchen eingehen.

Zu einer solchen Verbindung, die nur als Trimer, also als Dreiecksbeziehung, existieren kann, haben Physiker des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik nun Atome eines extrem kalten Lithiumgases vereinigt. Einen Zusammenschluss mit ähnlichen Eigenschaften bilden auch Quarks in Protonen und Neutronen, aus denen die sichtbare Masse des Universums besteht. Wie sich drei Lithium-Atome zu Trimeren zusammenschließen, könnte also auch etwas darüber verraten, wie sich kurz nach dem Urknall aus dem extrem dichten und heißen Teilchenbrei des Quark-Gluon-Plasmas die Bausteine unserer Materie formten. Oder wie Neutronensterne entstehen, die ebenfalls aus dieser zerquetschten Form der Materie bestehen und über deren genaue Eigenschaften wenig bekannt ist.

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Anders als an Teilchenbeschleunigern, wo das Quark-Gluon-Plasma schon direkt erzeugt und untersucht wird, können die Physiker in den Experimenten mit kalten Atomen an vielen Parametern drehen, um die Wechselwirkung der Teilchen zu kontrollieren. Nur mit einigem experimentellem Geschick lässt sich ein Gas herstellen, in dem sich drei Lithium-Atome zusammenschließen können. Das fängt schon mit der Schwierigkeit an, ein Gas von Atomen fast bis zum absoluten Temperatur-Nullpunkt abzukühlen.

Zu diesem Zweck füllen die Heidelberger Wissenschaftler rund eine Million Lithium-Atome in eine optische Dipolfalle. In einer solchen Falle fängt ein starker Laser die Teilchen mit seiner elektromagnetischen Kraft ein und hält sie fest. Dabei bewegen sich die Teilchen gerade noch so viel, wie es der Temperatur vom Bruchteil eines Millionstel Grads über dem absoluten Nullpunkt entspricht. Damit haben die Heidelberger aber noch nicht einmal den halben Weg zu den Trimeren bewältigt. In einem solchen kalten Gas, einem Quantengas, finden die Atome nämlich nicht von selbst zueinander, sie existieren für die jeweils anderen nicht einmal.

"Nahe am absoluten Nullpunkt besetzen die Lithium-Atome so wie Elektronen in einem Atom jeden Zustand genau einmal", erklärt Prof. Dr. Selim Jochim. Lithium-Atome gehören nämlich zu den Fermionen, und Fermionen sind von Natur aus sehr eigen: Anders als Bosonen dürfen nie zwei Vertreter dieser Spezies im selben Zustand vorliegen, das verbieten die Gesetze der Quantenphysik. Um zu stoßen, müssten sie jedoch genau dies tun - sie müssten den gleichen Bewegungszustand annehmen. Die dafür notwendige Gleichmacherei verhindert prinzipiell, dass die Teilchen zusammenprallen können.

"Die Schwierigkeit besteht nun darin, in dem Gas genau drei Gruppen von Teilchen zu präparieren, die sich voneinander in einer anderen Eigenschaft als dem Bewegungszustand unterscheiden", sagt Timo Ottenstein, der an dem Experiment maßgeblich beteiligt war. Nur dann können sich drei Teilchen, von denen jedes zu einer anderen Gruppe gehört, erkennen und zusammenstoßen. Dann nämlich können sie den gleichen Bewegungszustand annehmen, weil sie ja anhand einer anderen Eigenschaft auseinander zu halten sind.

Zu diesem Zweck haben die Heidelberger Wissenschaftler jeweils ein Drittel der Lithium-Atome mit Radiowellen geschickt in einen bestimmten Spin-Zustand befördert. Der Spin eines Teilchens entspricht seinem magnetischen Moment. Das heißt, jedes Teilchen ähnelt einem winzigen Stabmagneten. Dadurch, wie die Stabmagnete ausgerichtet sind, unterscheiden sich die drei Gruppen von Lithium-Atomen nach der Bestrahlung mit Radiowellen. Bislang hatten Forscher ähnliche Gase nur in zwei Gruppen mit jeweils eigenem Spin aufspalten können. Selbst dann schließen sich drei Teilchen aber noch nicht aus freien Stücken zusammen.

Erst mit einem Magnetfeld bringen Jochim und seine Mitarbeiter sie zusammen - jeweils einen Vertreter aus jeder Gruppe. Die richtige Stärke des Magnetfeldes haben die Heidelberger Physiker in einigen tausend Messungen bestimmt. "Wir haben selbst nicht sicher damit gerechnet, dass dieses Experiment gelingt", sagt Selim Jochim: "Deshalb haben wir den Versuchsaufbau so ausgelegt, dass er auch für andere Untersuchungen geeignet ist und so die Arbeit im Zweifelsfall nicht vergebens war."

Bisher blieben die Teilchen nur für Sekundenbruchteile im borromäischen Zustand. Nach einem flüchtigen Kontakt der drei fliegt ein Teilchen davon und lässt die beiden anderen als gewöhnliches Paar zurück. Sowohl das Pärchen als auch das abgestoßene Teilchen nehmen dabei zudem so viel Energie auf, dass sie auch noch aus der Dipolfalle katapultiert werden.

Eingehender untersuchen können die Heidelberger Forscher den borromäischen Zustand daher noch nicht. Doch das soll sich ändern: "Wir verfolgen schon einige Ideen, um die Lebensdauer des Trimers zu verlängern", sagt Jochim und trägt so zum Austausch zwischen Atom- und Teilchenphysikern bei. Um auszuloten, wie die Vertreter beider Disziplinen voneinander lernen können, haben sie sich vor Kurzem bereits auf einem Workshop des Extreme Matter Institute an der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt ausgetauscht.

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siehe auch
Teilchenphysik: Forscher kommen Ursuppe näher - 16. Juli 2003
Teilchenphysik: Überraschung beim Mini-Urknall - 13. November 2002
Teilchenphysik: Überraschung mit Gold-Ionen - 7. Mai 2001
Teilchenphysik: Ein Fehler im Standardmodell - 12. Februar 2001
Links im WWW
Max-Planck-Institut für Kernphysik
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