Bild einer fernen Galaxie rekonstruiert
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
20. Oktober 2008
Astronomen ist ein einmaliger Blick auf die Entwicklung von
Galaxien im jungen Universum gelungen: Die Wissenschaftler rekonstruierten aus
dem von einer Gravitationslinse verstärkten und verzerrten Bild einer entfernten
Galaxie das wirkliche Aussehen des fernen Systems. Dieses besteht offenbar aus
zwei Galaxien, die gerade miteinander verschmelzen.

Oben der
Einsteinring, wie er am Himmel erscheint, unten
das aus einer Computeranalyse rekonstruierte
wahre Aussehen der Hintergrundgalaxie. Die drei
Farben Orange, Grün und Blau kennzeichnen (im
Bezugssystem der hinteren Galaxie) die
Radialgeschwindigkeit des Gases von uns weg,
ruhend und auf uns zu. Die langgezogenen Schweife
sind die Arme der beiden miteinander
kollidierenden, durch Gezeitenkräfte deformierten
Galaxien, wie man sie in ähnlicher Form auch in
unserer kosmischen Nachbarschaft beobachtet.
Bild: Max-Planck-Institut für Astronomie
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Eine internationale Forschergruppe unter der
Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg hat durch die
geschickte Analyse einer sogenannten "Gravitationslinse" erstmals einen direkten
Einblick in den gewaltsamen Wachstumsprozess junger Galaxien im frühen Universum
erhalten. Die neuartigen Ergebnisse zeigen die Verschmelzung einer Galaxie mit
einer zweiten. Dabei stürzen Unmengen an Materie auf das zentrale Schwarze Loch,
dessen Umgebung als Quasar aufleuchtet, während weiter außen explosionsartig die
Entstehung zahlloser neuer Sterne aus dem molekularen interstellaren Gas
ausgelöst wird.
Die Astronomen kartierten mit dem Very Large
Array (VLA), einem Radiointerferometer in Socorro (New Mexico) eine mehr
als zwölf Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie in dem Zustand, als ihr Alter
nur zwei Milliarden Jahre (das sind 15 Prozent des heutigen Weltalters von 13.7
Milliarden Jahren) betrug. Genau auf dem Sehstrahl, der von dieser Galaxie aus
zur Erde führt, befindet sich eine zweite Galaxie, die als "Gravitationslinse"
wirkt: Ihre Gravitation lenkt das Licht und die Radiostrahlung der weiter
entfernten Quelle in der Weise ab, dass dem Beobachter ein kreisförmiges, als
»Einsteinring« bezeichnetes Bild erscheint.
Diese Gravitationslinse lässt nun von der ferneren, jungen Galaxie Details
erkennen, die auf andere Weise überhaupt nicht zu beobachten wären. "Die Natur
stellt uns hier ein Vergrößerungsglas zur Verfügung, mit dem wir in die Abläufe
der Galaxienbildung im jungen Universum hineinsehen können", erklärt Dominik
Riechers, der Heidelberger Leiter des Projekts, zur Zeit "Hubble Fellow" am
California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena.
Das neue Bild der fernen Galaxie (ihr Name ist PSS J2322+1944) zeigt eine 16.000
Lichtjahre große massereiche Struktur aus molekularem Gas: Während ein
supermassereiches Schwarzes Loch Materie in riesigen Mengen verschlingt,
entstehen aus diesem Material neue Sterne nahezu instantan (700 Sonnenmassen pro
Jahr, verglichen mit nur drei bis vier Sonnenmassen pro Jahr in unserer
Milchstraße). Das Schwarze Loch scheint eher am Rande der Verteilung des
molekularen Gases zu liegen – das passt zur Vorstellung, dass die Galaxie erst
kürzlich mit einer anderen Galaxie verschmolzen ist.
Das jetzt mit Hilfe des Gravitationslinsen-Effektes untersuchte System zeigt
den von den Astronomen vermuteten Entwicklungsweg von Galaxien in einem zuvor
noch nicht erreichten Detail: Bereits im jungen Universum wachsen große Galaxien
mit ihren supermassereichen zentralen Schwarzen Löchern durch wiederholter
Verschmelzungen kleinerer Galaxien.
Der Einsteinring um PSS J2322+1944
wurde 2003 mit Hilfe von Radiobeobachtungen der Linienemission des
Kohlenmonoxids (CO) entdeckt (astronews.com berichtete). Dieses Molekül ist ein Indikator für viel größere
Mengen molekularen Wasserstoffs, des primären Baustoffes, aus dem neue Sterne
entstehen. In der jetzt vorgestellten Arbeit des Teams wurde mit großem Aufwand ein physikalisches
Modell der als Gravitationslinse wirkenden Galaxie im Vordergrund abgeleitet.
Sobald die Masse, Struktur und Orientierung dieser Galaxie bekannt war, ließ
sich die Verformung des Bildes der Hintergrundgalaxie durch die
Gravitationslinse im sichtbaren Licht und im Radiobereich berechnen. Daraus
wiederum konnte ein Bild der Hintergrundgalaxie abgeleitet werden. Die
Durchführung dieser Analyse bei verschiedenen Radiowellenlängen ergab
schließlich auch den Bewegungszustand des Gases in der fernen Galaxie. Die als
Gravitationslinse wirkende Galaxie war sozusagen ein Teil des verwendeten
Teleskops. Aus der Rückrechnung des Lichtweges über die Gravitationslinse hinaus
ließen sich Struktur und Dynamik der Hintergrundgalaxie rekonstruieren.
Der Gravitationslinseneffekt wurde bereits 1919 auf der Grundlage der
allgemeinen Relativitätstheorie vorhegesagt. Einstein selbst erkannte 1936, dass
bei perfekt hintereinander angeordneten Galaxien der Einsteinring entsteht, hielt
aber die erforderliche, sehr genaue Aufreihung der Vorder- und
Hintergrundgalaxie für derart unwahrscheinlich, dass er nicht an die
Beobachtbarkeit von Einsteinringen glaubte. Die erste Gravitationslinse wurde
1979 entdeckt, der erste Einsteinring wurde 1987 mit dem Very Large Array
gefunden.
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