Große Scheibengalaxien im jungen Universum
Redaktion / MPG
astronews.com
24. August 2006
Astronomen habe mit Hilfe des Very Large Teleskope
große Scheibengalaxien aufgespürt, die sich in relativ kurzer Zeit nach dem
Urknall gebildet haben müssen. Zum ersten Mal gelang es auch, die Gasbewegung in
einem elf Milliarden Lichtjahre entfernten System zu untersuchen. Danach ist die
ferne Galaxie unserer Milchstraße ähnlicher als erwartet.
Wasserstoff-(H alpha)-Emission der rund elf Milliarden
Lichtjahre entfernten Galaxie BzK-15504. Die Farben zeigen, ob
sich das ionisierte Gas von uns weg (rot), auf uns zu (blau)
oder scheinbar gar nicht bewegt (grün), jeweils im Verhältnis
zum gesamten restlichen System. Die Galaxie scheint eine
Scheibengalaxie wie unsere Milchstraße zu sein, die mit 230
Kilometer pro Sekunde um die gelbe Achse im Zentrum des
galaktischen Kerns (weißes Kreuz) rotiert. Bild: Genzel
et. al. / ESO |
Eine internationale Gruppe von Astronomen hat große Scheibengalaxien
entdeckt, die unserer Milchstraße ähneln und sich in nur vergleichsweise kurzer
Zeit etwa drei Milliarden Jahre nach dem Urknall gebildet haben müssen. Mit
einer Kombination aus adaptiver Optik und dem neuen SINFONI- Spektrometer gelang
es den Forschern am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte,
die Anatomie einer dieser Galaxien mit einer Rekordauflösung von nur 0,15
Bogensekunden zu studieren. "Zum ersten Mal haben wir derart detailreiche Bilder
der Gasbewegung in einem elf Milliarden Lichtjahre entfernten Sternsystem
gewonnen", sagt Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik in Garching.
Im vergangenen Jahrzehnt haben die Astronomen eine Theorie der
Galaxienbildung und -entwicklung im jungen Universum erarbeitet: Gas
gewöhnlicher Materie kühlte ab und sammelte sich in Konzentrationen der
mysteriösen Dunklen Materie. Danach führten Kollisionen und Fusionen von
Milchstraßensystemen zur hierarchischen Struktur einer Galaxie. Dieses
grundsätzliche Szenario lässt jedoch offen, in welchen Zeiträumen und wann sich
die Galaxien gebildet haben, und wann und auf welche Weise deren Kernregionen (Bulges)
und Scheiben - die hauptsächlichen Bestandteile heutiger Sternsysteme -
entstanden sind.
Wertvolle Antworten hat jetzt die groß angelegte SINS-Studie über weit
entfernte, leuchtstarke junge Milchstraßensysteme ("Protogalaxien") geliefert.
Dabei setzten die Forscher am Very Large Telescope das neuartige
Infrarot-Spektrometer SINFONI ein, das in Kombination mit dem Korrektursystem
der adaptiven Optik scharfe Bilder und hoch aufgelöste Farbinformationen
(Spektren) von Himmelsobjekten erzeugt.
Im Fall der rund elf Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie BzK-15504
erzielten die SINFONI-Beobachtungen eine Winkelauflösung von 0,15 Bogensekunden.
(Zum Vergleich: Der Vollmond erscheint am irdischen Himmel unter einem Winkel
von 1.800 Bogensekunden.) Der genannte Wert entspricht in dem fernen Sternsystem
einer Strecke von nur 4.000 Lichtjahren. Die Bilder zeigen eine große,
massereiche rotierende Protoscheibe, die Gas zu einem stetig wachsenden
Kernbereich mit vielen jungen Sternen leitet.
Die Forscher schließen daraus auf hohe Geburtsraten und ein vergleichsweise
niedriges Alter der Sterne. Daher glauben sie, dass sich dieses
Milchstraßensystem schnell gebildet hat - durch Fragmentierung und
Sternentstehung in einer ursprünglich sehr gasreichen Protoscheibe.
Beobachtungen an mehreren anderen Galaxien bei hohen Rotverschiebungen (also
großen Distanzen) brachten ähnliche Ergebnisse.
"Am Anfang des Programms gingen wir davon aus, überwiegend unregelmäßige und
vielleicht sogar chaotische Bewegungen beobachten zu können, wie sie die im
jungen Universum häufig stattfindenden Kollisionen von Galaxien auslösen. Umso
überraschter waren wir, als wir eine Reihe von großen rotierenden und gasreichen
Scheibengalaxien entdeckten, deren kinematische Eigenschaften denen unserer
heutigen Milchstraße sehr stark ähneln", erläutert Genzel, der auch Erstautor
eines Nature-Artikels ist, in dem die Arbeit beschrieben wird.
Größe und schnelle Rotation dieser Galaxien seien ein Hinweis darauf, dass
das Gas einen vergleichbaren "Spin" aufweist wie die Ansammlungen Dunkler
Materie, aus denen es sich abgekühlt hat. Auf diese Weise lasse sich eine
wichtige Frage der Galaxienentstehung empirisch beantworten. Natascha Förster
Schreiber, Balzan-Stipendiatin am Garchinger Max-Planck-Institut und Erstautorin
eines vor kurzem im Astrophysical Journal erschienenen Artikels, ergänzt:
"Wir müssen jetzt versuchen zu verstehen, wie diese frühen Protoscheiben sich
danach weiterentwickelt haben. Wir vermuten, dass sie nicht stabil geblieben
sind."
Die SINFONI-Daten legen nahe, dass sich die Protoscheiben schließlich in
dichte elliptische Scheiben verwandelt haben - entweder durch Prozesse, die sich
in ihrem Inneren abspielten, so etwa durch spektakuläre Gaszuströme wie im
Objekt BzK-15504, oder durch Kollisionen und Fusionen mit anderen Galaxien.
Einen weiteren bedeutenden Aspekt bieten die sehr hohen Sternentstehungsraten,
die für viele der hoch rotverschobenen leuchtstarken Galaxien hergeleitet werden
konnten: Dort ist die Geburtenrate etwa hundert Mal höher als heute in unserer
Milchstraße. "Wir haben zunehmende Beweise dafür, dass sich massereiche, weit
entfernte Galaxien viel schneller gebildet haben als ursprünglich angenommen",
sagt Andrea Cimatti, Teammitglied und Wissenschaftler an der Universität
Florenz: "Die neuen SINFONI-Daten verschaffen uns einen ersten Eindruck davon,
welche Prozesse möglicherweise beteiligt sind."
Das SINS-Programm am Very Large Telescope lässt erahnen, was in den
nächsten Jahren mit der Kombination aus feldabbildendem Spektrometer und
adaptiver Optik möglich wird. Alice Shapley, Forscherin am Princeton
Observatory erklärt: "Diese Beobachtungen sind wirklich aufregend. Jetzt
geht es darum, ähnlich hervorragende Daten für eine größere Anzahl von Galaxien
zu erhalten, um unser Wissen über die Galaxienbildung weiter auszubauen."
|