Sternentstehung rund ums Schwarze Loch
von Stefan
Deiters
astronews.com
17. Oktober 2005
Schwarze Löcher gelten gemeinhin als Ungetüme, die alles in ihrer Umgebung
verschlingen oder durch ihre gewaltige Anziehungskraft in Stücke reißen. Neue
Beobachtungen des Röntgenteleskops Chandra deuten nun aber darauf hin,
dass trotz dieser unwirtlichen Bedingungen hier neue Sterne entstehen können -
zur Überraschung der meisten Astronomen.

Chandra-Aufnahme des Zentrums unserer Milchstraße. Bei Sgr A*
handelt es sich um das zentrale supermassereiche Schwarze Loch.
Bild: NASA / CXC / MIT / F. K. Baganoff et al. [Großansicht
und Illustration] |
"Massereiche Schwarze Löcher werden normalerweise mit Zerstörung in
Verbindung gebracht", erläutert Sergei Nayakshin von der Universität in
Leicester, der an den Beobachtungen beteiligt war, deren Ergebnisse in der
kommenden Ausgabe der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal
Astronomical Society veröffentlicht werden. "Es ist daher ganz erstaunlich,
dass dieses Schwarze Loch offenbar geholfen hat, eine neue Generation von
Sternen entstehen zu lassen und sie nicht zerstört hat."
Schwarze Löcher sind Objekte mit so unvorstellbar großer Masse auf kleinstem
Raum, dass ihre Anziehungskraft so gewaltig ist, dass nicht einmal Licht ihrem
Einflussbereich entkommen kann. Alles, was innerhalb des so genannten
Ereignishorizonts gerät, ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Neue
Beobachtungen mit dem Röntgenteleskop Chandra halfen jetzt den Astronomen
das Rätsel der Herkunft von einer Gruppe von massereichen Sternen aufzuklären,
die das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße in einem Abstand von weniger als
einem Lichtjahr umrunden.
Das zentrale Schwarze Loch unserer Milchstraße
entspricht dem Objekt Sagittarius A* im Sternbild Schütze. Das Standardmodell
für die Entstehung von Sternen sagt voraus, dass in solcher Nähe eines Schwarzen
Lochs die Gaswolken, aus denen normalerweise Sterne entstehen, durch die
gewaltigen Anziehungskräfte des nahen Schwarzen Lochs zerrissen werden und so
"vor Ort" Sternentstehung unmöglich ist.
Die Astronomen hatten daher zwei Modelle entwickelt, um die massereichen
Sterne an diesem Ort zu erklären: Nach der einen Theorie könnte die
Gravitationskraft einer recht dichten Scheibe aus Gas um Sagittarius A* die
Gezeitenkräfte des Schwarzen Loches ausgleichen und so das Entstehen von Sternen
ermöglichen.
Eine zweite Theorie lässt die Sterne in einem Sternhaufen in
größerer Entfernung entstehen. Sie wandern dann ins Zentrum und bilden den
beobachteten Ring aus massereichen Sternen ums Schwarze Loch. Diese These würde
allerdings nicht nur die Existenz der massereichen und hellen Sterne erklären,
sondern auch die Existenz von rund einer Million massearmer Sterne in und um
den Ring nötig machen. Bei der ersten Theorie käme man mit deutlich weniger
massearmen Sternen aus.
Nayakshin und seine Kollegen haben nun versucht, mit Chandra Beweise
für die eine oder die andere Theorie zu finden: Sie verglichen dazu die
Röntgenstrahlung von jungen Sternen im Orion-Nebel mit der der Sterne rund um
Sagittarius A*. Ihre Analyse ergab, dass es rund um das Schwarze Loch nur etwa
10.000 massearme Sterne geben kann, die massereichen Sterne um das Schwarze Loch
also "vor Ort" entstanden sein müssen.
"Wir können jetzt sagen, dass die Sterne
um Sagittarius A* nicht aus einem vorüberziehenden Sternhaufen stammen, sondern
tatsächlich dort entstanden sind", fasst Rashid Sunyaev vom Max-Planck-Institut
für Astrophysik in München und Co-Autor der
Veröffentlichung, die Ergebnisse zusammen. "Es gab Vorhersagen, dass dies
möglich sei, aber dies ist nun der erste Beweis für diese These. Viele
Wissenschaftler sind darüber recht überrascht."
Da es im Zentrum unserer Galaxie Unmengen an Gas und Staub gibt, konnten
optische Teleskope nicht für die Suche nach den massearmen Sternen verwendet
werden. Röntgenstrahlen hingegen können die Gasmassen durchdringen und verraten
etwa über die dort vorhandenen Sterne. "In einer der unwirtlichsten Regionen
unserer Galaxie kommt es zu Sternentstehung", so Nayakshin. "Es sieht danach
aus, dass Sternentstehung also weitaus robuster ist als wir bislang dachten."
Die Wissenschaftler folgern aus den Beobachtungsergebnissen, dass die
"Regeln" der Sternentstehung sich in der Scheibe um ein Schwarzes Loch ändern:
Da die Umgebung sich hier sehr deutlich von der normaler Sternentstehungsgebiete
unterscheidet, ändert sich die Massenverteilung der entstehenden Sterne. So
dürften etwa um ein Schwarzes Loch ein sehr viel höherer Anteil an massereichen
Sternen entstehen als in "normalen" Sternentstehungsgebieten.
Wenn diese
massereichen Sterne dann als Supernova explodieren, reichern sie die Umgebung
mit schwereren Elementen wie etwa Sauerstoff an. Dies könnte erklären, warum
solche Elemente in großen Mengen in den Scheiben um junge supermassereiche
Schwarze Löcher gefunden wurden.
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