PULSARE
Stern verschlingt seinen Begleiter
von
Hans Zekl
für
astronews.com
12. September 2005
Wissenschaftler entdeckten mit dem ESA-Weltraumteleskop Integral
und dem NASA-Röntgensatelliten Rossi einen schnell rotierenden Pulsar,
der gerade dabei ist, seinen Begleiter aufzusaugen. Für die Astronomen ist
dieser Fund ein Glücksfall, hilft er ihnen doch zu verstehen, wie sogenannte Millisekundenpulsare entstehen.
So könnte das System IGR
J00291+5934 im Sternbild Kassiopeia aussehen. Bild: NASA
/ Dana Berry |
Massereiche Sterne erleiden einen gewaltsamen Tod. Nach einer gewaltigen
Supernovaexplosion, bei der der größte Teil ihrer Masse ins Weltall geschleudert
wird, enden sie als Schwarzes Loch oder als ultradichter Neutronenstern. In ihm
ist die Masse unserer Sonne in einer Kugel mit rund 20 Kilometern Durchmesser
zusammengepresst.
Der Druck der Schwerkraft ist so stark, dass die elektrisch
geladenen Bestandteile der Atome, die Protonen und Elektronen, sich zu neutralen
Neutronen vereinigen. Normalerweise verhindern starke physikalische Kräfte
diesen Vorgang. Ein Teelöffel dieser exotischen Materie würde auf der Erde
einige hundert Millionen Tonnen wiegen.
Gleichzeitig rotieren Neutronensterne sehr schnell. Während unsere Sonne sich
am Äquator in rund 25 Tagen einmal um ihre Achse dreht, brauchen Neutronensterne
nur Sekunden oder weniger. Wie eine Eiskunstläuferin, die sich schneller dreht,
wenn sie ihre Arme anzieht, erhöht sich die Umdrehungsgeschwindigkeit der
sterbenden Sterne, wenn ihr Durchmesser schrumpft.
Der erste entdeckte Pulsar im Krebsnebel beispielsweise ist noch recht jung –
knapp über 1.000 Jahre - und rotiert 33 Mal in der Sekunde. Im Laufe einiger
hunderttausend Jahre drehen sich Pulsare durch die Bremswirkung ihres starken
Magnetfelds immer langsamer. Das starke Magnetfeld sorgt auch dafür, dass Licht
vom Neutronenstern wie Scheinwerfer gebündelt in entgegengesetzte Richtungen
abgestrahlt wird. Jedes mal, wenn ein Lichtkegel über die Erde streicht, blitzt
der Stern kurz auf. Daher der Name Pulsar.
Es gibt jedoch eine besondere Klasse von Pulsaren, die sich noch deutlich
schneller um ihre eigene Achse drehen: Die sogenannten Millisekundenspulsare
benötigen für eine Umdrehung nur wenige Tausendstel Sekunden. Schon früher
vermuteten Wissenschaftler, dass diese relativ alten Neutronensterne wie eine
Spieluhr immer wieder aufgezogen werden müssen. Das geht aber nur, wenn es ihnen
gelingt, Materie eines anderen Sterns aufzusaugen. Dann kommt es nämlich wieder
zu dem Pirouetteneffekt. Aber beobachtet wurde diese Art von Kannibalismus
bisher nie.
Genau dieses gelang jetzt aber im letzten Dezember einer Forschergruppe aus
Frankreich, den Niederlanden, Finnland, Italien und Großbritannien. Der Pulsar
IGR
J00291+5934 im Sternbild Kassiopeia gehört zur Klasse der
Millisekundenpulsare und dreht sich fast 599 Mal pro Sekunde um seine Achse.
Eine Umdrehung dauert nur 1,67 Tausendstel Sekunden. Damit ist er der
"schnellste" Millisekundenpulsar, den man kennt.
So konnte auch zum ersten Mal verfolgt werden, wie die
Rotationsbeschleunigung abläuft: Der Neutronenstern saugt Gas seines
Begleitsterns ab, das dann auf ihn in einer Spirale herabströmte.
Wissenschaftler sprechen dabei von Akkretion. Dabei wird das Gas stark
aufgeheizt und strahlt hell im Gamma- und Röntgenlicht, das von den beiden
Weltraumobservatorien Integral und Rossi beobachtet wurde.
"Wir
sind nun soweit, dass wir bei jedem schnell rotierenden einsamen Pulsar sagen
können: Der Kerl muss einmal einen Begleiter gehabt haben", kommentierte
Maurizio Falanga vom Commissariat à l’Energie Atomique (CEA) in Saclay,
Frankreich, der die Integral-Beobachtungen leitete. Integral kann
gleichzeitig im Gamma-, Röntgen- und sichtbaren Bereich des elektromagnetischen
Spektrums beobachten.
Der Pulsar wurde am 2. Dezember 2004 von Integral während eines
Helligkeitsausbruchs entdeckt. Schon einen Tag später nahm ihn der
Röntgensatelliten Rossi unter die Lupe. Schnell stellte sich dabei
heraus, dass der Begleiter schon stark geschrumpft ist und den größten Teil
seiner Masse inzwischen verloren hat. Er besitzt nur noch die 40-fache Masse des
Planeten Jupiter. In nur zweieinhalb Stunden läuft er um den Neutronenstern.
Seine Umlaufbahn ist so eng, dass das ganze System bequem in unserer Sonne Platz
finden würde.
"Die Akkretion endet wahrscheinlich nach etwa einer Milliarde Jahren," erklärte
Duncan Galloway vom Massachusetts Institute of Technology, der die
Rossi-Beobachtungen leitete. Rossi kann im Röntgenlicht
Untersuchungen mit hoher zeitlicher Auflösung durchführen. Für die
Pulsarforschung ist diese Beobachtung so etwas wie der Stein von Rosetta. "Diese
Entdeckung von Integral und Rossi zeigt, wie sich Pulsare von
einer Phase zur anderen entwickeln," so Duncan Galloway.
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