Gravitationswellen statt Dunkler Energie?
von Rainer Kayser
17. März 2005
Dunkle Energie, da sind sich die meisten Astronomen einig, ist einfach
nötig, um die beobachtete beschleunigte Expansion des Kosmos zu erklären.
Allerdings hat niemand eine konkrete Idee, was die Dunkle Energie eigentlich ist
und warum es sie überhaupt gibt. Jetzt versuchte ein Team von Physikern die
Beobachtungen ohne Dunkle Energie zu erklären und hatte Erfolg: Statt der
mysteriösen Energie setzen sie auf gewaltige Gravitationswellen, die während der
Inflationsphase des Universums entstanden sind.
Was bestimmt das Verhalten des Universums: Dunkle Energie oder
Gravitationswellen? Foto: NASA / ESA / S.
Beckwith und das HUDF-Team [mehr
über das Foto] |
Vor sieben Jahren entdeckten die Astronomen zu ihrer Verblüffung, dass sich
die Expansion unseres Universums beschleunigt. Eine geheimnisvolle "Dunkle
Energie" soll, so lautet seither die These, diese beschleunigte Expansion
antreiben. Nun jedoch präsentiert ein Team italienischer und amerikanischer
Forscher eine Erklärung für die Beschleunigung, die ohne Dunkle Energie
auskommt: Es handele sich um vom Urknall hinterlassene wellenförmige
Verwerfungen des Raumes, die größer sind als der sichtbare Kosmos.
Eigentlich sollte die Anziehungskraft der Materie der kosmischen Expansion
entgegenwirken und diese mit der Zeit abbremsen. Es war daher ein Schock für die
Kosmologen, als die Vermessungen von explodierenden Sternen in fernen Galaxien
1998 zeigten, dass sich die Expansion des Universums ganz im Gegenteil
beschleunigt. Die Dunkle Energie macht, so berechneten die Forscher, 70 Prozent
des gesamten Masse- und Energieinhalts unseres Kosmos aus. Nicht alle Astronomen
haben freilich ein gutes Gefühl dabei, dass der Kosmos überwiegend aus einer
völlig unbekannten, unsichtbaren und unerklärlichen Substanz bestehen soll.
"Die Hypothese der Dunklen Energie ist faszinierend", meint Antonio Riotto
vom Istituto Nazionale di Fisica Nucleare in Padua, "aber sie hat ein
ernstes Problem: Es gibt kein theoretisches Model, um sie zu erklären." Riotto
und seine Kollegen haben deshalb nach einer Erklärung für die beschleunigte
Expansion gesucht, die ohne unerklärliche Zutaten auskommt - und sie wurden
fündig.
Unmittelbar nach dem Urknall hat das Universum nach heutigen
Erkenntnissen eine so genannte "inflationäre Phase" durchlaufen, bei der es sich
in Sekundenbruchteilen gewaltig aufgebläht hat. Die Theorie sagt vorher, dass in
dieser Phase Gravitationswellen entstanden sind, wellenförmige Verzerrungen des
Raumes. Die Inflation hat auch diese Wellen aufgebläht - sie sind heute größer
als das beobachtbare Universum, das einen Durchmesser von etwa 30 Milliarden
Lichtjahren hat.
Die Wellen sind deshalb zwar nicht mehr beobachtbar, doch sie beeinflussen
weiterhin die Entwicklung des Kosmos, zeigen die Berechnungen von Riotto und
seinem Team: Die Wellen können zu langfristigen Schwankungen der
Expansionsgeschwindigkeit im "lokalen" Kosmos führen. Ein weiterer Vorteil der
neuen Theorie ist, dass sie überprüfbare Konsequenzen hat: Die
Gravitationswellen sollten Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung, dem
"Echo des Urknalls", hinterlassen haben. Der europäische Satellit Planck,
der 2007 starten soll, könnte diese Spuren finden.
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