Radarfalle für Massenmonster
Redaktion
astronews.com
25. Februar 2005
Die Physik in der Umgebung eines supermassenreichen Schwarzen Lochs ist alles
andere als einfach. Dafür sorgt schon Einsteins Relativitätstheorie, die in der
Nähe von extremen Massen kuriose Phänomene vorhersagt. Einem Team von Astronomen
ist es nun gelungen, genau diese Phänomene im Zentrum entfernter Galaxien
nachzuweisen.

Künstlerische Darstellung des relativistischen Materiestroms um
ein schnell rotierendes Schwarzes Loch im Zentrum einer
Akkretionsscheibe (orange). Das Licht der Atome, die auf den
Beobachter zu fliegen, ist zu kürzeren Wellenlängen (blau)
verschoben und wesentlich heller als das Licht auf jener Seite,
die sich vom Beobachter entfernt (rot). Bild:
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik |
Astronomen ist es gelungen, die von Einsteins Relativitätstheorie
vorhergesagten Effekte im Gravitationsfeld Schwarzer Löcher nachzuweisen. Mit
dem europäischen Röntgenobservatorium XMM-Newton untersuchten die
Forscher unter Leitung von Günther Hasinger, Direktor am Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik in Garching bei München, das Licht des kosmischen
Röntgenhintergrunds - die vereinte Strahlung Schwarzer Löcher, die in den
Zentren weit entfernter aktiver Galaxien sitzen.
Als Indiz diente der
"Fingerabdruck" von Eisen: Im addierten Spektrum von rund 100 jungen
Milchstraßensystemen beobachteten die Wissenschaftler eine verbreiterte,
asymmetrische Linie. Deren Form passt exakt zu den Aussagen der
Relativitätstheorie. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Ergebnisse im März
in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
Der gesamte Himmel ist von einem diffusen, hoch energetischen Leuchten
erfüllt: der kosmischen Röntgenhintergrund-Strahlung. In den vergangenen Jahren
haben die Astronomen gezeigt, dass diese Strahlung fast vollständig von
einzelnen Objekten stammt. Ähnliches gelang Galileo Galilei, als er Anfang des
17. Jahrhunderts mit seinem Fernrohr die Milchstraße erstmals in einzelne Sterne
auflöste.
Im Fall des Röntgenhintergrunds handelt es sich um hunderte Millionen
Schwarzer Löcher, die in weit entfernten Milchstraßensystemen gerade "gefüttert"
- also mit Materie versorgt - werden. Weil die Schwarzen Löcher dabei an Masse
zulegen, sehen wir im Röntgenhintergrund deren Wachstumsphase. Im heutigen
Universum stecken massereiche Schwarze Löcher im Zentrum nahezu aller Galaxien.
Wenn Materie in den Schlund eines Schwarzen Lochs stürzt, rast sie in dem
kosmischen Mahlstrom der Akkretionsscheibe fast mit Lichtgeschwindigkeit herum
und heizt sich dabei so stark auf, dass sie kurz vor ihrem endgültigen
Verschwinden hoch energetische Strahlung als eine Art letzten Hilfeschrei
ausstößt. Werden sie im Zentrum aktiver Galaxien gut genährt, gehören die
eigentlich unsichtbaren Schwarzen Löcher daher zu den leuchtkräftigsten Objekten
im All.
Die chemischen Elemente der Materie senden Röntgenlicht bei
charakteristischen Wellenlängen aus und lassen sich so durch ihren spektralen
Fingerabdruck identifizieren. Besonders gut geeignet sind die Atome des Eisens,
da dieses Metall im Kosmos am häufigsten vorkommt, bei sehr hohen Temperaturen
besonders intensiv strahlt und im Spektrum eine deutliche Spur (eine Linie)
zeigt.
Ähnlich wie die Polizei Schnellfahrer mittels Radarfallen stellt, weisen
Astronomen die extrem hohen Geschwindigkeiten, mit denen die Eisenatome ein
Schwarzes Loch umkreisen, durch eine Wellenlängenverschiebung des Lichts nach.
Diesem relativistischen Doppler-Effekt überlagert sich wegen der großen Masse
von Schwarzen Löchern die so genannten Gravitationsrotverschiebung - beides
Phänomene, die die Relativitätstheorie fordert.
So postuliert die Spezielle
Relativitätstheorie, dass schnell bewegte Uhren langsamer laufen; nach der
Allgemeinen Relativitätstheorie gilt dies auch für Uhren in der Nähe großer
Massen. Auf die elektromagnetische Strahlung übertragen heißt das: Die
Wellenlänge des von Eisenatomen ausgesandten Lichts wird in den langwelligen,
roten Teil des Spektrums verschoben. Dabei ergibt sich eine verbreiterte,
asymmetrische Linienform - gleichsam ein verschmierter Fingerabdruck.
Blickt man von der Seite auf die in der Akkretionsscheibe um ein Schwarzes
Loch herumrasende Materie, erscheint das Licht der sich auf uns zu bewegenden
Eisenatome stark ins Blaue verschoben und wesentlich heller als das jener Atome,
die sich von uns entfernen. Die relativistischen Effekte sind umso stärker, je
näher die Materie dem Schwarzen Loch kommt. Wegen der verzerrten Raumzeit sind
sie am stärksten bei sehr schnell rotierenden Schwarzen Löchern. In den
vergangenen Jahren gelangen Messungen relativistischer Eisenlinien an wenigen,
nahe gelegenen aktiven Galaxien; zum ersten Mal wurden die Astronomen 1995 mit
dem japanischen Satelliten ASCA fündig.
Nun haben Forscher um Günther Hasinger, Xavier Barcons vom spanischen
Instituto de Física de Cantabria und Andy Fabian von der britischen
Universität Cambridge den oben beschriebenen relativistisch verschmierten
Fingerabdruck der Eisenatome auch im Röntgenhintergrund aufgespürt, also im
Licht von Schwarzen Löchern in den Zentren weit entfernter Galaxien. Dazu
richteten die Forscher das Observatorium XMM-Newton der europäischen
Raumfahrtagentur ESA insgesamt mehr als 500 Stunden auf einen Himmelsauschnitt
in der Konstellation Großer Wagen.
Wegen der Ausdehnung des Universums bewegen sich die Galaxien umso schneller
von uns fort, je weiter entfernt sie sind. Diese unterschiedlich hohen
Fluchtgeschwindigkeiten lassen die Spektrallinien bei verschiedenen Wellenlängen
erscheinen. Daher mussten die Astronomen das Röntgenlicht sämtlicher Galaxien
zunächst auf das Ruhesystem unserer Milchstraße korrigieren und erhielten damit
eine absolute Bezugsgröße. Dafür wurden mit dem amerikanischen Keck-Teleskop auf
Hawaii Geschwindigkeitsmessungen für mehr als 100 Objekte durchgeführt. Als die
Forscher deren Licht addiert hatten, zeigte sich ein unerwartet starkes Signal -
und die charakteristisch verbreiterte Form der Eisenlinie.
Aus der Stärke des Röntgensignals schlossen die Astronomen unter anderem auf
die Anzahl der Eisenatome innerhalb der Materie. Überraschenderweise ist die
chemische Häufigkeit von Eisen im "Futter" dieser jungen Schwarzen Löcher etwa
dreifach größer als in unserem wesentlich später entstandenen Sonnensystem. Die
Zentren der Galaxien im frühen Universum hatten also eine außerordentlich
effiziente Methode, Eisen zu produzieren - möglicherweise, weil in aktiven
Galaxien besonders viele massereiche Sterne die chemischen Elemente bis hin zum
Eisen vergleichsweise schnell erbrüten.
Die Breite der Linie lässt darauf schließen, dass die Eisenatome dem
Schwarzen Loch sehr nahe kommen und deshalb die meisten Schwarzen Löcher im
Weltall vermutlich schnell rotieren. Denn diese Schwarzen Löcher reißen den sie
umgebenden Raum mit wie ein Rührwerk den Teig. Deshalb kann Materie, die in derselben Richtung um ein Schwarze Loch fliegt, näher an das Massemonster gelangen,
ohne hineinzufallen. Und so sieht man hier höhere Geschwindigkeiten und eine
größere Gravitationsrotverschiebung. Dieser Befund ergibt sich auch, wenn man
das Licht im Röntgenhintergrund mit der gesamten Masse der "schlafenden"
Schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien vergleicht, wie das kürzlich
mehrere Forschergruppen getan haben.
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