Satellit nutzt Erdmagnetfeld zur Lagestabilisierung
Redaktion
astronews.com
15. September 2004
Not macht
erfinderisch: Durch eine technische Panne im Orbit wurde das
System zur Lagestabilisierung des
deutschen Kleinsatelliten BIRD so stark beschädigt, dass der Satellit schon fast
aufgegeben werden musste. Doch Ingenieuren des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt (DLR) gelang in monatelanger Arbeit das scheinbar Unmögliche: Seit dem
25. August 2004 nutzt der Satellit das Erdmagnetfeld zur Lagestabilisierung.

Der deutsche Kleinsatellit Bird. Bild:
DLR |
Nachdem BIRD, gestartet im Oktober 2001, seine geplante Lebensdauer bereits um
über ein Jahr überschritten hatte, kam es am 13. Februar 2004 zu einem
Totalausfall des Hauptsensors für die Lageregelung des Kreiselsystems. Dabei
wurden die Reaktionsräder so stark beansprucht, dass nur noch eines
funktionsfähig war. Damit war eine sichere Orientierung des Satelliten in der
Erdumlaufbahn nicht mehr möglich.
Um das Überleben des Satelliten zu sichern,
stellte sich ein Zustand ein, in dem durch die permanente Rotation um eine Achse
die Solarpaneele schräg zur Sonne ausgerichtet blieben. Die Batterien wurden
teilweise geladen, die Temperatur wurde auf 25 Grad Celsius gehalten, und die
Kommunikation mit dem Satelliten blieb stabil. Die Orientierung und Drehrate des
Satelliten konnte an Bord nur noch relativ ungenau aus den Daten von
Sonnensensoren und Magnetfeldsensor bestimmt werden.
Bei Kontrollen der BIRD-Hauptsensoren im Mai und Juni 2004 wurde festgestellt,
dass diese den "Ausnahmezustand" unbeschadet überstanden hatten. Allerdings
verhinderte die permanente und vorerst überlebensnotwendige Rotation des
Satelliten das Benutzen der Sternenkameras und die Fortsetzung gezielter
Erdbeobachtung. Für die BIRD-Lageregelung standen nach der "Panne" nur ein
Reaktionsrad und die Magnetspulen zur Verfügung. Aber zum Ausrichten des
Satelliten durch das Magnetspulensystem steht, verglichen mit den
Reaktionsrädern, nur etwa ein Hundertstel der Kraft zur Verfügung.
Bisher ist kein Satellit bekannt, der ausschließlich ein Magnetspulensystem für
seine Orientierung im Raum benutzt. Ebenso waren keine bekannten Algorithmen
verfügbar, sondern sie mussten für BIRD erstmalig entwickelt und im Berliner
DLR-BIRD-Labor gründlich ausgetestet werden, bevor sie auf BIRD zur Anwendung
kommen konnten. Seit März 2004 wurde im Bereich "Optische Informationssysteme"
des DLR intensiv an einem völlig neuen Verfahren zur Lageregelung von Satelliten
gearbeitet. Dabei kam es zur Entwicklung eines neuen Lageregelungskonzeptes, das
einen neuen Algorithmus zur Kombination der Messdaten von Magnetfeldsensoren und
Sonnensensoren nutzt.
Gleichzeitig musste ein spezieller Luftlagertisch für den
BIRD-Testsatelliten so nachgerüstet werden, dass die Situation im Orbit
realistisch simuliert werden konnte. Zudem wurde das Erdmagnetfeld um den
BIRD-Luftlagertisch passend zum Magnetfeld im Orbit mit äußeren Helmholtzspulen
nachgebildet. Als Ergebnis konnte nach einer Entwicklungszeit von nur sechs
Monaten eine neue Lageregelungs-Bordsoftware für BIRD mit zwei wesentlich neuen
Betriebsmodi bereitgestellt werden.
Die neue Software wurde Mitte August 2004 vom DLR-Raumflugbetrieb in
Oberpfaffenhofen innerhalb von vier Tagen zum Satelliten übertragen, so dass die
neue Lageregelung im Orbit auf BIRD am 25. August 2004 erfolgreich implementiert
in Betrieb genommen werden konnte. Da das Umschalten auf eine völlig neue
Lageregelung ein äußerst kritischer Vorgang ist und den Verlust des Satelliten
bedeuten kann, wurden mehrere Bodenstationen für den Kontakt zu BIRD genutzt:
die DLR-Bodenstationen in Weilheim und Neustrelitz, KARI in Südkorea und Ny
Alesund in Norwegen. Nach Aktivierung der neuen Lageregelung bremste BIRD seine
Drehbewegung wie erwartet ab und richtete seine Solarzellen stabil zur Sonne
aus. Die Batterien werden seitdem wieder zu 100 Prozent geladen, und die
Temperatur an Bord sank erwartungsgemäß auf 15 Grad Celsius.
Die langsamen "Restbewegungen" von BIRD ermöglichen es nun, eine der
Sternenkameras zu aktivieren. Wie ein erster Test zeigte, ist diese noch
funktionstüchtig und liefert korrekte Daten. Damit können mit BIRD wieder
gezielte Erdaufnahmen gemacht werden.
Von November 2001 bis zum 13. Februar 2004 wurden mit BIRD etwa 400 Aufnahmen
der Erde gewonnen und daraus unikale Datenprodukte hergestellt. Im ESA-Projekt
FUEGOSAT/FIREBIRD wurde BIRD im Sommer 2003 semi-operationell betrieben und hat
unter anderem die Brandbekämpfung in Portugal am 4. August 2003 unterstützt.
Das
neue Lageregelungskonzept mit Magnetspulen bietet interessante und völlig
neuartige Möglichkeiten für zukünftige Klein- und Kleinstsatelliten, da sie
wenig Platz benötigen und wegen des Fehlens mechanischer Komponenten besonders
langlebig sind. Deshalb sind die Erfahrungen, die nun mit BIRD und seiner
innovativen Lageregelung gewonnen werden können, von großem Wert und haben eine
Bedeutung für zukünftige Raumfahrtsysteme, die weit über das BIRD-Projekt
hinausreicht.
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