PHYSIK
Galileo
Galilei auf dem Prüfstand
von
Hans Zekl
für
astronews.com
17. Mai 2004
Wissenschaftler der NASA wollen eine der fundamentalen
Annahmen der modernen Physik überprüfen, die vor rund 400 Jahren von Galilei
Galileo aufgestellt wurde: Alle Gegenstände fallen - unabhängig von ihrer Masse
und Zusammensetzung - gleich schnell. Doch könnte es sein, dass sich Galileo
irrte? Mit Hilfe von Laserstrahlen und Spiegeln auf dem Mond suchen die Forscher
nun nach einer endgültigen Antwort.
Durch die genaue Messung des Abstandes Erde-Mond wollen
amerikanische Forscher das Äquivalenzprinzip überprüfen. Foto:
NSSDC / NASA |
Über die Experimente von Galileo Galilei erfährt man schon im Physikunterricht in
der Schule: Vor rund 400 Jahren soll der italienische Gelehrte verschiedene
Gegenstände vom schiefen Turm in Pisa fallen gelassen haben: Kanonenkugeln,
Gold, Silber und Holz. Intuitiv würde man zunächst annehmen, dass die schwereren
Objekte schneller fallen als die leichten. Schließlich segelt ja auch eine
Vogelfeder ganz sanft zu Boden. Aber Galileo macht eine überraschende
Entdeckung, die für die moderne Physik von grundlegender Bedeutung ist: Alle
Körper werden von der Erde gleich schnell beschleunigt, unabhängig von ihrer
Masse oder Zusammensetzung. Nur der Luftwiderstand beeinflusst die
Fallgeschwindigkeit. Deshalb fallen Federn langsamer. Dieses allgemein gültige
Gesetz des freien Falls, in der Fachsprache "Äquivalenzprinzip" genannt, ist
einer der Grundpfeiler der Physik. Albert Einstein setzt dieses Prinzip
ausdrücklich für seine Allgemeine Relativitätstheorie als universell gültig
voraus. Was aber ist, falls Galileo unrecht hatte? "Einige moderne Theorien
vermuten, dass die Schwerebeschleunigung auf sehr subtile Weise von der
Materialzusammensetzung abhängt", erklärt Jim Williams, Physiker am Jet
Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena. Sollte es sich
bewahrheiten, käme dies einer Revolution der Physik gleich. Auf alle Fälle
müsste die Relativitätstheorie überarbeitet werden. Ein von der NASA gefördertes
Physikerteam will dies nun heraus bekommen, indem sie Laserblitze zum Mond
sendet.
"Die Entfernungsmessung des Monds mittels Laserstrahlen ist eines der
wichtigsten Mittel, um nach Abweichungen in der allgemeinen Relativitätstheorie
zu suchen", sagt Slava Turyshev, Wissenschaftlerin am JPL, die zusammen mit Jim
Williams und anderen an dem Projekt arbeitet. Das Experiment verwendet die vor
mehr als 30 Jahren von den Apollo-Astronauten aufgestellten speziellen
Spiegel. Diese sind so konstruiert, dass sie das Licht immer zurück zur
Lichtquelle reflektieren. Damit können Wissenschaftler einen kurzen Lichtblitz
zum Mond schicken und das reflektierte Signal messen. Aus der Laufzeit lässt
sich sehr genau die Entfernung des Erdtrabanten messen. Erde und Mond sind
unterschiedlich aufgebaut. Wenn sie beide von der Sonne gleich stark angezogen
werden, ist das Äquivalenzprinzip richtig. Falls nicht, steht die Physik vor
einer bedeutenden neuen Wendung. Eine Verletzung des Äquivalenzprinzips würde
sich in einer Verschiebung der Mondbahn stärker zur Sonne hin oder in die
entgegengesetzte Richtung bemerkbar machen. "Mit den großen Massen der Erde und
des Monds könnten wir den subtilen Effekt entdecken, falls er tatsächlich
vorhanden ist", erläutert Williams. Seit den Tagen der Apollo-Flüge haben
Wissenschaftler den Mond mit Laserstrahlen "angeblitzt". Bislang hat Einsteins
Theorie der Schwerkraft – und damit das Äquivalenzprinzip – alle Tests bis auf
eine Genauigkeit von 13 Stellen hinter dem Komma bestanden. Aber das reicht
nicht aus, um all die Theorien, die Einstein entthronen wollen, zu überprüfen.
Heutige Entfernungsmessungen des Monds mit Laserstrahlen liefern Ergebnisse mit
einer Genauigkeit von rund 1,7 Zentimetern - und dies bei einer mittleren
Entfernung des Mondes von 385.000 Kilometern. Ab Herbst dieses Jahres, soll die
Genauigkeit um das zehnfache gesteigert werden. Mit einer von der NASA und der
National Science Foundation geförderten Anlage wird die Mondentfernung
auf 1 bis 2 Millimeter genau gemessen werden. Damit sollte es möglich sein,
erste Abweichungen von der Allgemeinen Relativitätstheorie zu finden, falls
vorhanden. Um dies zu erreichen, misst die Anlage, die Apache Point
Observatory Lunar Laser-ranging Operation (APOLLO), die Laufzeit der
Laserimpulse auf wenige Pikosekunden genau. Eine Pikosekunde dauert ein
Millionstel einer Millionstel Sekunde. Da die Lichtgeschwindigkeit genau bekannt
ist – 299 792 458 Meter pro Sekunde – kann die Entfernung zwischen dem
APOLLO-Teleskop und dem Spiegel auf dem Mond daraus berechnet werden. Viele
Physiker würden eine Abweichung begrüßen. Die moderne Physik kämpft nämlich
seit Jahren mit einem schwierigen Problem. Die Allgemeine Relativitätstheorie
und die Quantenmechanik beschreiben auf ihre Weise jeweils sehr erfolgreich die
Gesetze des Universums. Aber ihr Formalismus ist so verschieden, wie zwei
unterschiedliche Sprachen. Bislang ist es aber nicht möglich, die Gesetzte der
Gravitation durch die Quantenmechanik zu beschreiben. Sollten tatsächlich
Abweichungen vorhanden sein, könnte das der Grundstein einer neuen "Theorie von
allem" sein, die endlich die Quantenphysik und die Gravitation vereinigt.
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