Jüngste
Galaxien im Universum entdeckt?
Redaktion
astronews.com
26.
August 2003
Ein internationales Astronomenteam hat die möglicherweise jüngsten
Sternsysteme im Universum aufgespürt: Die Forscher entdeckten die Galaxien
in einem Katalog mit mehr als 250.000 Objekten in unmittelbarer Nähe
unserer Milchstraße. Allerdings wirft der Fund auch eine ganze Reihe neuer
Fragen auf.
Eine der im Sloan Digital Sky Survey aufgespürten metallarmen
Galaxien: SDSS J121546.56+522313.9 oder CGCG 269-049. Foto:
The Sloan Digital Sky Survey |
Alle chemischen Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium,
wurden erst im Laufe von Jahrmilliarden bei thermonuklearen Reaktionen im
Inneren von neu geborenen Sternen gebildet. Von daher ist zu erwarten, dass der
Gehalt an schwereren Elementen in jenen Galaxien am geringsten ist, die wir nur
in sehr großen Entfernungen, also in der Frühzeit des Universums beobachten
können. Doch jetzt hat ein Team von Astronomen aus Deutschland, den USA,
Russland und Japan unter mehr als 250.000 Galaxien, deren spektrale
Informationen im Sloan Digital Sky Survey (SDSS) erfasst wurden,
insgesamt acht extrem metallarme Galaxien entdeckt, die sich überraschenderweise
in der Nähe unserer Milchstraße befinden. Damit eröffnen sich jetzt völlig neue
Möglichkeiten, Galaxien in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung -
gewissermaßen aus nächster (kosmischer) Nähe - zu beobachten und zu analysieren.
Nach dem Urknall vor etwa 14 Milliarden Jahren bestand das Universum zunächst
nur aus den Elementen Wasserstoff und Helium. Alle schwereren Elemente, von den
Astronomen als Metalle bezeichnet, wurden erst später im heißen Inneren neu
entstandener Sterne erbrütet. Generation um Generation von Sternen, die aus der
interstellaren Materie in den Galaxien immer wieder neu geboren wurden, gaben am
Ende ihres Lebens die von ihnen erzeugten Metalle an das interstellare Medium
wieder ab, so dass mit der Zeit der Metallgehalt der Galaxien insgesamt
kontinuierlich zunahm. Demnach sollten die jüngsten aller Galaxien auch den
geringsten Gehalt an Metallen aufweisen. Man erwartete deshalb, metallarme
Galaxien (Extremely Metal Poor Galaxies, XMPGs) nur in extrem großer
Entfernung zu finden, dort, wo wir sie aufgrund der endlichen
Lichtgeschwindigkeit in einer frühen Entwicklungsphase des Universums beobachten
können.
Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Alexei Kniazev und Eva
Grebel vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, hat sich auf die
Suche nach solchen XMPGs gemacht. Sie nutzen dazu den Sloan Digital Sky
Survey (SDSS), das derzeit größte Projekt zur systematischen Durchmusterung
und Katalogisierung des Sternenhimmels. Die große vom SDSS durchmusterte Fläche
(ein Viertel des gesamten Nordhimmels), seine hohe Empfindlichkeit und die
gleichmäßige Qualität der gesammelten Daten waren optimale Voraussetzung für die
Suche nach diesen seltenen Objekten. In mehr als 250.000 Galaxien untersuchten
die Wissenschaftler den Metallgehalt der leuchtenden interstellaren Materie, die
aus dem ausgestoßenen Material der Sterne früherer Generationen besteht und aus
der sich neue Sterne bilden. Dabei fanden sie zu ihrer Überraschung in der nahen
Umgebung unseres Milchstraßensystems insgesamt acht Galaxien, deren Metallgehalt
nur ein Zwanzigstel des Metallanteils der Sonne beträgt.
Die Bedeutung der Suche nach XMPGs als mögliche "junge Galaxien in unserer
Nähe" hatte man bereits vor mehr als 30 Jahren erkannt. Leonard Searle und
Wallace L.W. Sargent führten Anfang der 1970er Jahre die erste
Himmelsdurchmusterung nach diesen Objekten durch, allerdings noch auf Photoplatten aus Glas. Die neue Suche nach XMPGs in den Daten des SDSS erfolgte
nun in mehrere hundert Mal mehr Galaxien pro Quadratgrad als damals. "Wenn wir
unsere Ergebnisse auf die insgesamt vom SDSS künftig zu überdeckende Fläche
hochrechen, also etwa ein Viertel des gesamten Himmels, so können wir mit der
Entdeckung von mindestens 20 weiteren XMPGs rechnen", meinen deshalb die
beteiligten Forscher.
Überraschenderweise befinden sich die jetzt gefundenen XMPGs relativ nahe zu
unserem Milchstraßensystem, so dass wir sie praktisch in ihrem gegenwärtigen
Zustand beobachten können. "Könnten diese nahen Galaxien erst kürzlich
entstanden sein?", fragt Alexei Kniazev. Während normale Galaxien, wie unser
Milchstraßensystem, etwa 13 Milliarden Jahre alt sind, dürften die "metallarmen"
Systeme nicht mehr als einige hundert Millionen bis maximal eine Milliarde Jahre
alt sein. "Allerdings," warnt Kniazev, "muss ein geringer Metallgehalt der
Galaxien noch nicht zwingend auch ein junges Alter bedeuten."
Heute geht man davon aus, dass es zwei Typen von extrem metallarmen Galaxien
gibt. Zum einen Typ gehören die blauen kompakten Galaxien, kleine isolierte
Systeme, die gegenwärtig eine Phase starker Sternbildung durchlaufen. Zur
anderen Kategorie gehören Scheibengalaxien, irreguläre Galaxien und irreguläre
Zwerggalaxien. Die neuen Forschungsergebnisse werfen jetzt eine Reihe von Fragen
auf, denn die meisten Galaxien sind vor etlichen Milliarden Jahren entstanden:
Kann es also sein, dass ein Bruchteil der Galaxien vielleicht erst heute
entsteht? Kann es sein, dass in einigen der ursprünglichen Wolken aus
Wasserstoff und Helium die allererste Sterngeneration erst kürzlich entwickelt
hat?
Eva Grebel vermutet, einige der neu entdeckten Objekte könnten einen
wesentlichen Teil ihrer Metalle verloren haben. So könnten Winde, die bei
starker Sternbildungsaktivität ausgelöst werden, die schweren Elemente aus dem
interstellaren Medium der Galaxien förmlich "herausgeblasen" haben. Oder aber
diese Galaxien entwickeln sich so langsam, also mit extrem niedriger
Sternentstehungsrate, dass ihr Metallgehalt deshalb so gering ist. Inzwischen
weiß man von einigen der schon früher bekannten XMPGs, dass es sich dabei um
alte Galaxien handelt, die sich nur sehr langsam entwickeln. Andere wiederum
durchlaufen gerade eine heftige Sternentstehungsphase.
Eine andere Frage ist, wie sich die XMPGs unter "normalen" Galaxien
verteilen. "Wir gehen davon aus, dass sich XMPGs in einer isolierten Umgebung
befinden," sagt dazu Lei Hao vom Princeton University Observatory, "nun
ist zu prüfen, ob das auch für die neu entdeckten Objekte der Fall ist." Dazu
müssen einerseits einige dieser Objekte im Detail untersucht werden.
Andererseits gilt es, ihre Eigenschaften als Gruppe zu bestimmen und die ganze
Bandbreite der in Galaxien vorkommenden Metall-Konzentrationen auszuloten. Das
war bisher nicht möglich, weil die einzelnen Objekte eher nur zufällig gefunden
wurden. "Die systematische Untersuchung der XMPGs wird deshalb auch zu einem
tieferen Verständnis der Galaxienbildung insgesamt führen," vermutet Kuniazev.
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