Nach den Erkenntnissen
Stuttgarter Astrophysiker muss das Kapitel über die Entstehung der
Elemente in den Sternen und über deren Lebensgeschichte deutlich
überarbeitet werden. Einer
internationalen Arbeitsgruppe am Institut für Strahlenphysik der
Universität Stuttgart (IfS) ist es
gelungen, mit verbesserten Messmethoden die beiden "wichtigsten"
Kernreaktionen in Sternen neu zu vermessen. Mit der in den Experimenten
erreichten Messempfindlichkeit stellten die Stuttgarter sogar einen
Weltrekord auf.
In massereichen Sterne (hier ein HST-Bild des
Riesensterns Beteigeuze) entstehen die schweren
Elemente.
Foto: Andrea Dupree (Harvard-Smithsonian CfA),
Ronald Gilliland (STScI), NASA und ESA |
Bei der ersten der beiden von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft geförderten Untersuchungen handelt es sich um die
Fusion von Kohlenstoff mit Helium zu Sauerstoff. Die Stärke dieser
Reaktion bestimmt maßgeblich die Häufigkeit und das Verhältnis der
Elemente Kohlenstoff und Sauerstoff im Universum und damit auch auf
unserem Planeten. Beiden Elementen kommt eine zentrale Rolle bei der
Entstehung und der Existenz organischen Lebens zu. Die Fusionsreaktion
wirkt sich jedoch auch ganz entscheidend auf die Produktion der schweren
Elemente in Sternen aus, da der überwiegende Teil der chemischen Elemente
in Sternen über ein sehr komplexes Netzwerk von Kernreaktionen aus den
leichtesten Bausteinen Wasserstoff und Helium gebildet wird. Mit anderen
Worten: Das "Baumaterial" für die schweren Elemente durchläuft in einer
frühen Phase das Kohlenstoff- und Sauerstoffstadium, deshalb betrachtet
man diese Reaktion als "die" Schlüsselreaktion der Nukleosynthese.
Bei der zweiten fundamentalen Reaktion, die von der
Stuttgarter Arbeitsgruppe untersucht wurde, handelt es sich um die
wichtigste neutronenliefernde Reaktion, wie sie in den massereichen
Sternen des Universums abläuft. Bei ihr fängt ein Neon-22 Kern einen
Heliumkern (Alpha-Teilchen) ein und daraus entsteht das für die weitere
Elemententstehung so wichtige Neutron und ein Magnesium-25-Kern. Die
Neutronen sind für den Aufbau der schweren Elemente entscheidend, denn als
ungeladene Teilchen können sie noch von Kernen schwerer als Eisen (Masse
56) eingefangen werden.
Der Hauptteil der Elemente bis zur Masse 100 wird in den
so genannten Roten Riesen erzeugt. Diese Sterne sind in der Regel etwa 15
bis 50 mal schwerer als unsere Sonne und in ihrem Innern herrschen
Temperaturen von etwa 200 Millionen Grad. Die extrem hohen Temperaturen
blähen die Riesensterne immer weiter auf; unsere Sonne wird in ihrem
Endstadium als Roter Riese bis etwa zur Marsbahn reichen. Als Brennstoff
haben die Roten Riesen ihren Vorrat an Wasserstoff verbraucht und nur noch
Helium zurückbehalten. Die Temperaturen sind nun jedoch so hoch, dass
Reaktionen mit Helium einsetzen können, in deren Verlauf auch immer mehr
Neutronen für die schweren Elemente erzeugt werden.
Um astrophysikalische Reaktionen wie die
Kohlenstoff-Helium-Fusion oder die Neutronenproduktion, innerhalb einer
erträglichen Zeitspanne von Wochen oder Monaten messen zu können, obwohl
sie doch in den Sternen während Jahrmillionen bis -milliarden ablaufen,
braucht man geeignete experimentelle Bedingungen. Trotz der hohen
Temperaturen im Sterninnern verlaufen die allermeisten Kernreaktionen sehr
langsam, also mit einer sehr kleinen Wahrscheinlichkeit. Und die überhaupt
messbare Strahlung der experimentell im Labor erzeugten Reaktionen ist so
schwach, dass man sehr viel an Technik aufbieten muss, um sie aus allen
Störfaktoren wie der allgegenwärtigen Untergrundstrahlung und der
kosmischen Höhenstrahlung herausfiltern zu können.
Die astrophysikalischen Reaktionsraten der Stuttgarter
Gruppe, das Endprodukt aller Experimente, Messungen und Interpolationen,
unterscheiden sich im Absolutwert von derjenigen anderer
Forschungsgruppen. Ganz entscheidend ist jedoch, dass die Fehlergrenzen,
also der Bereich der Unsicherheit, bei den neuen Reaktionsraten deutlich
reduziert werden konnte. Denn die gesteigerte Empfindlichkeit hat große
Auswirkungen auf die Fehlerquote bei der Umsetzung der Daten in die daraus
abgeleitete Erklärung der Sternentwicklung. Mit den Stuttgarter Messungen
konnte bei der Neon-Reaktion die Unsicherheit von einem unakzeptablen
Faktor 500 auf fünf, also um das Hundertfache gesenkt werden. Eine weitere
Steigerung wäre nur denkbar, wenn man die Experimente, also die gesamte
Laboranlage, einen Kilometer tief unter die Erdoberfläche verlegt, um der
störenden Höhenstrahlung zu entgehen. "Die in unseren Messungen gewonnenen
neuen Daten werden neue Berechnungen zur Nukleosynthese und zu den
Sternmodellen möglich, aber auch erforderlich machen", sagt Dr. Wolfgang
Hammer, Leiter der Astrophysik-Arbeitsgruppe am IfS.
|