Am Deutsche Elektronen-Synchroton (DESY) in Hamburg hat man
große Pläne: In einer internationalen Kollaboration soll unter Hamburgs
Erde eine neue Beschleunigerstrecke entstehen, die es den Physikern
erlauben würde, den Urknall nachzustellen. Jetzt legten die Forscher eine
über 1.000 Seiten umfassende Machbarkeitsstudie vor. Das letzte Wort
über das Milliardenprojekt hat nun die Bundesregierung.
TESLA-Beschleuniger.
Bild: DESY |
Weniger als eine Billionstel Sekunde hat nach den Erkenntnissen der
Wissenschaft vor etwa 15 Milliarden Jahren der Urknall gedauert, als
eine unvorstellbar hohe Energiedichte bei ebenso nicht vorstellbaren
Temperaturen explodierte und das Universum entstand. Ab 2011 will eine
internationale zusammengesetzte Gruppe von Forschern in Norddeutschland
den Urknall nachstellen, die Anfänge des Kosmos simulieren und in allen
Einzelheiten im Experiment untersuchen. Dafür brauchen sie einen speziellen supraleitenden linearen Beschleuniger bis zu
Tera-Elektronenvolt-Energien. Tera ist die wissenschaftliche Abkürzung für 1000 Milliarden.
Milliarden wird auch
das Projekt kosten, wenn es denn genehmigt wird: Für das unter Federführung des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY)
in Hamburg geplante Vorhaben muss ein 33
Kilometer langer Tunnel angelegt werden, der zwischen zehn und 30 Meter
tief unter der Erdoberfläche verläuft und dabei der Erdkrümmung
folgt. Schon an den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu dem sogenannten TESLA-Linearbeschleuniger haben sich 41 wissenschaftliche Institutionen
aus neun Ländern beteiligt. Das Projekt soll 3,877 Milliarden Euro,
also rund 7,6
Milliarden Mark, kosten, die sich auf zehn Jahre verteilen.
Wenn die hoch-beschleunigten Elektronen und
Positronen frontal aufeinanderstoßen, bildet sich ein "Feuerball" von außerordentlich konzentrierter, reiner Energie. Sie simuliert die
Energiekonzentration während der ersten Billionstel Sekunde nach dem
Beginn des Universums. Wie im Urknall entstehen aus dieser Energie neue
Elementarteilchen. So können die Physiker die Anfänge des Kosmos
simulieren und in allen Einzelheiten im Experiment untersuchen.
Das Projekt wird bis zum Sommer 2002 vom Wissenschaftsrat der
Bundesrepublik begutachtet und kann dann von der Bundesregierung
entschieden werden. Zu TESLA gehört auch ein neuer Röntgenlaser. Er übertrifft alle bisher
verfügbaren Quellen von Röntgenstrahlen weit
und erlaubt brillante Einblicke in atomare Dimensionen. Mit ihm würde es möglich sein, Materialien mit atomarer
Genauigkeit räumlich
abzubilden, ihre Veränderungen zeitlich zu verfolgen, also quasi zu filmen,
und das sogar mit holographischen Aufnahmen. Die Forschung würde bisher
unerreicht genaue Einblicke in den Aufbau und die Verhaltensweise von
Materialstrukturen erhalten und so einen Zugang zur Entwicklung
neuartiger Materialien schaffen.
Die Vorarbeiten für das Projekt haben nach Angaben von DESY innerhalb
einer breit angelegten Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus neun
Nationen schon 1992 begonnen. Dabei sei jetzt die Realisierbarkeit des
Projektes bewiesen worden - es ist also entscheidungsreif. Dazu legten Ende
letzter Woche die mittlerweile 41 beteiligten Institute aus neun Ländern auf
einem wissenschaftlichen Kolloquium den Technical Design Report für
TESLA vor. In fünf Bänden gibt er auf 1424 Seiten Aufschluss über
alle wissenschaftlichen und technischen Details des Megaprojekts. An
diesem Projektbericht haben 1134 Wissenschaftler aus 36 Ländern
mitgearbeitet, was das große internationale Interesse an der Nutzung
der Anlage dokumentiert.
Nach Abschluss des Begutachtungs-
und Genehmigungsverfahrens sowie der Planfeststellung für das Bauwerk
und der internationalen Vereinbarungen könnte der Schildvortrieb für
den Tunnel eventuell schon im Jahr 2003 beginnen. Nach achtjähriger
Bauzeit könne somit etwa 2011 der Wissenschaft eine neuartige Anlage
zur Verfügung stehen.