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Ein Staubteilchen vom Rand des Sonnensystems
Redaktion
/ Pressemitteilung der TU Universität Berlin astronews.com
8. Juli 2024
Mikrometeoriten sind winzige Staubpartikel, die sich beispielsweise auf
Hausdächern finden lassen. Einem internationalen Forschungsteam ist es nun
gelungen, die Entstehungsorte von zwei Mikrometeoriten mit hoher
Wahrscheinlichkeit aufzuklären. Beide befanden sich in Staub, der auf dem Dach
des Physikgebäudes der TU Berlin eingesammelt wurde.

Der auf dem Dach der TU Berlin gefundene
Mikrometeorit mit Schildkrötenmuster, das durch spezielle
Kristallisationsprozesse in der Erdatmosphäre entstand. Er
entstammt mit großer Wahrscheinlichkeit dem äußeren
Sonnensystem und könnte sich aus Kometen, die am Jupiter
vorbeiziehen, oder Gesteinsmaterial im Kuipergürtel abgetrennt
haben.
Foto: TU Berlin [Großansicht]

Der auf dem Dach der TU Berlin gefundene Mikrometeorit mit
metallischer Perle am Rand. Sie entstand, nachdem sich in der
Phase des Aufschmelzens in der Erdatmosphäre die Elemente
Nickel und Eisen vom Rest getrennt hatten. Beim Abkühlen
erstarrten diese Metalle dann zu einem extra Kügelchen. An ihm
kann man ablesen, wie der Mikrometeorit in die Atomsphäre
eingedrungen ist, nämlich mit dem Kügelchen voran.
Foto: TU Berlin [Großansicht] |
Scott Peterson ist Veteran der US-Army, studiert Chemietechnik in Minneapolis
und kümmert sich gleichzeitig als Hausmann um seinen Sohn. Außerdem ist er einer
der versiertesten Sammler von Mikrometeoriten weltweit. Diese Community wächst
ständig, seit der norwegische Jazzmusiker und Bürgerwissenschaftler Jon Larsen
2015 zusammen mit dem Imperial College in London erstmalig nachweisen
konnte, dass Mikrometeorite nicht nur in entlegenen Gegenden wie dem Grund der
Ozeane oder dem Eis der Antarktis vorkommen, sondern auch auf unseren
Hausdächern.
"Wir hatten Scott gebeten, einen Blick auf unsere Proben zu werfen, denn er
hat einfach das beste Auge bei der Identifizierung von Mikrometeoriten unter dem
Mikroskop", erzählt Dr. Jenny Feige, die mit einem ERC-Starting-Grant des
Europäischen Forschungsrates kosmischen Staub erforscht. Zunächst am Zentrum für
Astronomie und Astrophysik (ZAA) der TU Berlin, heute am Museum für Naturkunde
Berlin, wo auch weitere Projekte zu Mikrometeoriten zusammen mit
Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern durchgeführt werden. Vor
der Konsultation von Scott Peterson waren Forschende der TU Berlin auf das Dach
des dortigen Physikgebäudes mit der Teleskopkuppel gestiegen, hatten die
Ablagerungen aus den Ecken zusammengefegt und eingesammelt. "Das Ganze wird
aufgeschwemmt in Wasser, um kleinste Blätter und ähnliches loszuwerden. Danach
heizen wir das Sediment auf 600 Grad auf, um Mikroben und anderes organisches
Material restlos zu zerstören. Anschließend wird das Material noch gesiebt, dann
geht die Suche nach den Mikrometeoriten los", sagt Feige.
In der Probe befanden sich unzählige 100 bis 500 Mikrometer große Kügelchen,
von denen die allermeisten im Sprachgebrauch der Forschung eine "anthropogene
Kontamination" darstellten – sprich aus menschengemachten Quellen stammen, wie
Schweißarbeiten, Feuerwerk oder einfach Metallabrieb vom Straßenverkehr. In der
allerletzten Teilprobe fand Peterson dann tatsächlich zwei Mikrometeorite, die
durch charakteristische Strukturen jeweils einer bestimmten Klasse zugeordnet
werden konnten. Diese Strukturen entstehen, wenn kosmische Staubpartikel in die
Erdatmosphäre rasen und durch die Reibung an den Luftteilchen abgebremst und
stark erhitzt werden, bis sie schmelzen.
Nachdem sie dabei durchschnittlich 90 Prozent ihrer Masse verloren haben,
kristallisiert der Rest beim Abkühlen je nach Eintrittswinkel und
Geschwindigkeit in der Atmosphäre, Beschaffenheit und Umgebungsbedingungen
unterschiedlich aus. So besitzt der eine Mikrometeorit durch bestimmte
Kristallisationsprozesse ein Muster, das einem Schildkrötenpanzer ähnlich ist.
Beim anderen hatten sich in der Phase des Aufschmelzens die Elemente Nickel und
Eisen vom Rest getrennt und sind dann beim Abkühlen zu einem extra Kügelchen am
Mikrometeorit erstarrt. "Aus dieser 'Nase' kann man sogar schließen, wie er in
die Atomsphäre eingedrungen ist, nämlich mit dem Kügelchen voran", erzählt
Feige.
"Es ist immer noch eine große Herausforderung für die Wissenschaft, etwas
über den Entstehungsort der auf der Erde gefundenen Mikrometeorite
herauszubekommen", sagt Dr. Beate Patzer, theoretische Astrophysikerin am ZAA
der TU Berlin. "Dies wäre aber sehr wünschenswert, denn Mikrometeorite können
aus sehr unterschiedlichen Bereichen unseres Sonnensystems mit sehr
verschiedenen Bedingungen stammen. Ungefähr 100 Tonnen überwiegend
interplanetaren Staubes fängt die Erde pro Tag ein. Mikrometeorite sind damit
wesentlich häufiger als größere Meteorite, wir könnten also aus ihnen viel mehr
Daten generieren und eine Menge über unser Sonnensystem lernen."
Eine Methode zur Bestimmung der Herkunft eines Mikrometeoriten ist die
Analyse von langlebigen, radioaktiven Isotopen, die sich auf seinem Weg im
Weltall durch Bestrahlung mit der im Kosmos allgegenwärtigen kosmischen
Strahlung gebildet haben. "Anhand des Verhältnisses von unterschiedlichen
Isotopen mit verschiedenen Halbwertszeiten und einem physikalischen Modell, das
die Bildung dieser Isotope beschreibt, kann man auf die Flugzeit der
extraterrestrischen Staubteilchen bis zur Erde schließen – und damit auf ihren
Herkunftsort im Sonnensystem", so Patzer.
"Erstmalig haben wir für diese Analyse eine aufwendige Computersimulation
erstellt, die mögliche Umlaufbahnen der interplanetaren Staubteilchen, die Größe
der Staubkörner, ihre Zusammensetzung und Dichte, Strahlungsprofile der Sonne
und der kosmischen Strahlung aus dem interstellaren Raum, Verdampfungsraten
während des Eintritts in die Erdatmosphäre und noch eine Vielzahl anderer
Parameter berücksichtigt", berichtet Feige. Fokussiert haben sich die
Forschenden dabei auf die radioaktiven Isotope Aluminium-26 und Berylllium-10.
Um die sehr geringen Mengen der Isotope in den winzigen Mikrometeoriten messen
zu können, hat das Forschungsteam mit der Teilchenbeschleuniger-Anlage VERA in
Wien zusammengearbeitet. Bei der dort durchgeführten
Beschleunigermassenspektrometrie werden die chemischen Elemente nicht nur nach
ihrer Masse, sondern auch nach der Anzahl der Protonen im Kern sortiert – was
erst eine eindeutige Identifizierung der Isotope ermöglicht.
Die Konzentrationen von Aluminium-26 und Berylllium-10 in den Mikrometeoriten
wurden dann mit den Ergebnissen der Computersimulation verglichen, die die
Anreicherung dieser Radioisotope in den Mikrometeoriten je nach Flugzeit und
damit Herkunftsort im All vorhersagt. Dabei blieb der Ursprung von sechs an
anderen Orten gesammelten Mikrometeoriten uneindeutig; sechs weitere
Mikrometeorite konnten aber mit großer Wahrscheinlichkeit einem Ursprungsort
zugeordnet werden, darunter die beiden auf dem Dach der TU Berlin gefundenen:
Der Mikrometeorit mit dem Schildkrötenmuster entstammt dem äußeren Sonnensystem
und könnte sich aus Kometen, die am Jupiter vorbeiziehen, oder Gesteinsmaterial
im Kuipergürtel abgetrennt haben – in einer Entfernung so groß wie etwa 40-mal
der Abstand Erde zu Sonne.
Der Mikrometeorit mit der "Nase" stammt dagegen aus dem inneren Sonnensystem,
von erdnahen Objekten oder solchen bis hin zum Asteroidengürtel zwischen Mars
und Jupiter. "Mit diesem Ergebnis konnten wir die grundsätzliche Eignung unserer
Methode zeigen", freut sich Feige. Sie werde es in Zukunft ermöglichen, noch
mehr über den Kosmos mithilfe der Mikrometeoriten zu lernen. "Gerade die auf
unseren Hausdächern sind dabei besonders wertvoll, denn hier kennen wir ihre
Aufenthaltszeit auf der Erde sehr präzise: Sie kann nicht älter als das Dach
selbst sein. Bei Funden aus der Tiefsee oder der Antarktis dagegen könnten die
Mikrometeoriten auch schon Millionen Jahre dort liegen, was die Ergebnisse
unsicherer macht."
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Philosophical Transactions of
the Royal Society A erschienen.
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