Überraschendes vom Röntgenpulsar Her X-1
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Tübingen astronews.com
10. November 2022
Mit dem zu Beginn des Jahres gestarteten Imaging X-ray
Polarimetry Explorer, wurde jetzt der Röntgenpulsar Her X-1 anvisiert. Die
Beobachtungen überraschten das internationale Team und könnten dazu führen, dass
grundlegende Annahmen über diese Objekte noch einmal überdacht werden müssen.
Nun wartet man gespannt auf die nächsten Beobachtungen des Pulsars.
Künstlerische Darstellung eines Pulsars wie
Her X-1.
Bild:
NASA [Großansicht] |
Röntgenpulsare haben Durchmesser von nur etwa zehn Kilometern, sind aber
schwerer als die Sonne und haben ein Magnetfeld, das mehrere Milliarden Mal
stärker ist als alle Magnetfelder, die wir auf der Erde kennen. Sie bilden ein
Doppelsternsystem mit einem normalen Stern, der Materie über ein Magnetfeld wie
über einen Trichter in die Polregionen des Pulsars überfließen lässt. Dies führt
zur Freisetzung immenser Energien und macht Röntgenpulsare zu sehr hellen
Quellen am Röntgenhimmel.
Nun liefert die IXPE-Mission, die zu Beginn dieses Jahres startete, eine neue
Perspektive auf diese Objekte. IXPE ist die erste Mission, bei der polarisierte
Röntgenstrahlen von Himmelsobjekten gemessen werden können: "Her X-1 war der
erste Röntgenpulsar, der von IXPE beobachtet wurde. Wir waren sehr überrascht,
dass dabei nur eine niedrige Polarisation beobachtet wurde, was unsere
theoretischen Vorhersagen über den Haufen warf. Wir haben das noch nicht
verstanden", sagt Dr. Victor Doroshenko vom Institut für Astronomie und
Astrophysik der Universität Tübingen. Der durchschnittliche Polarisationsgrad
von circa 8,6 Prozent, der von IXPE mit hoher Genauigkeit gemessen wurde, sei
viel niedriger als die erwarteten circa 80 Prozent, die durch theoretische
Arbeiten vorhergesagt waren.
"Eine solch große Diskrepanz impliziert, dass bisherige Modelle des
Strahlungstransports in stark magnetisierten Plasmen, die sich an den Polen der
Neutronensterne sammeln, und unsere Ideen bezüglich der Geometrie und Struktur
der Emissionsregion in Her X-1 – und wahrscheinlich weiterer Pulsare – im Licht
der IXPE-Ergebnisse grundlegend überdacht werden müssen", meint Dr. Juri
Poutanen von der finnischen Universität Turku und Professor Rüdiger Staubert vom
Tübinger Institut für Astronomie und Astrophysik ergänzt: Ich habe Her X-1 fast
mein ganzes Leben lang untersucht, und er überrascht mich immer wieder. Es ist
der erste Röntgenpulsar, bei dem wir das magnetische Feld des Neutronensterns
direkt messen konnten. Und es ist eines der meistuntersuchten Objekte seiner
Art. Aber wir sind noch weit davon entfernt, es völlig zu verstehen."
Trotz aller neuen Rätsel betrachtet das Forschungsteam die neuen Ergebnisse
als grundlegende Erkenntnisse. "Erstmals seit der Entdeckung von Röntgenpulsaren
vor fünf Jahrzehnten war es möglich, durch das Studium der Änderungen des
Polarisationswinkels mit der Phase der Eigendrehung den Winkel zwischen der
Drehachse und der magnetischen Dipolachse zu messen. Diese Informationen
benötigen wir, um die Emission aus solchen Objekten zu modellieren", erklärt
Doroshenko. "Diese röntgenpolarimetrischen Beobachtungen haben wir mit früheren
optischen polarimetrischen Messungen kombiniert. So konnten wir belegen, dass
die Drehachse des Pulsars nicht in einer Linie mit dem Bahndrehimpuls liegt. Das
deutet – wie auch andere frühere Beobachtungen – darauf hin, dass der
Neutronenstern taumelt wie ein auslaufender Spielzeugkreisel."
Der ultimative Beleg dafür werde später in diesem Jahr erwartet, wenn IXPE
den Röntgenpulsar Her X-1 in einer anderen Phase seines 35-Tage-Zyklus
beobachten soll, berichtet Professor Andrea San-tangelo vom Tübinger Institut
für Astronomie und Astrophysik. "IXPE startet gerade erst jetzt das neue
Beobachtungsfenster der Röntgenpolarimetrie und ebnet den Weg für die nächste
Generation von Röntgenpolarimetern. Es ist erst der Anfang eines großen
Abenteuers."
Der Imaging X-ray Polarimetry Explorer (IXPE) wurde zu Beginn dieses
Jahres an Bord einer Falcon-9-Rakete von Cape Canaveral aus ins All geschossen
und kreist nun rund 600 Kilometer über dem Erdäquator. Die Mission ist eine
Kooperation zwischen der NASA und der Agenzia Spaziale Italiana mit Partnern in
zwölf Ländern.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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