Wie Scheibenwinde einen Jet speisen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
16. August 2022
Zum ersten Mal wurden nun Gasströme, die von einer
Akkretionsscheibe ausgehen, direkt hin zu einem Jet nachgezeichnet, der Material
ins All schleudert. Die jetzt vorgestellte Studie bestätigt das durch die
Magnetohydrodynamik erklärte Szenario von Scheibenwinden, die von
Akkretionsscheiben um Objekte wie Schwarze Löcher oder neu entstehende Sterne
ausgehen.
Der massereiche Protostern IRAS 21078+5211.
Bild:
NASA / JPL-Caltech / 2MASS / B. Whitney (SSI / University of
Wisconsin) [Großansicht] |
Viele astrophysikalische Objekte, wie supermassereiche Schwarze Löcher,
Sterne und riesige Gasplaneten, sind während ihrer Entstehung von
Akkretionsscheiben umgeben und stoßen mächtige Jets aus. Diese Jets bestehen aus
ionisiertem Gas, das entlang der Rotationsachse der Scheibe gebündelt wird. Die
Verbindung zwischen Akkretion, dem Prozess, bei dem Gas auf Himmelsobjekte
gelenkt wird, und dem Ausstoß ist für ihre Entstehung entscheidend. Sie
kollabieren während des Prozesses der Gasakkumulation, was aufgrund der
Drehimpulserhaltung zu sehr hohen Drehgeschwindigkeiten führt. Jets entziehen
diesen Systemen Drehimpuls und sorgen so für eine anhaltende Akkretion auf das
zentrale Objekt.
Mit einer jetzt vorgestellten Studie haben Astronomen aus Italien und
Deutschland zum ersten Mal durch Beobachtungen Gaspakete entlang der Bahn des
Gasflusses von der Akkretionsscheibe in den Jet verfolgt. Die rekonstruierten
Stromlinien stimmen mit den Vorhersagen eines Prozesses überein, den
Wissenschaftler vor 40 Jahren entwickelt haben: magnetohydrodynamische
Scheibenwinde. Die Magnetohydrodynamik beschreibt die Bewegung von ionisiertem
Gas, auch Plasma genannt, das durch ein Magnetfeld beeinflusst wird.
Magnetohydrodynamische Scheibenwinde sind der vermutete Mechanismus, der einen
Teil des Akkretionsstroms ablenkt und ihn entlang der Rotationsachse der Scheibe
beschleunigt, während er einen doppelpoligen gebündelten Jet bildet.
Luca Moscadelli und Alberto Sanna, beide vom Nationalen Institut für
Astrophysik (INAF) in Florenz und Cagliari, Henrik Beuther vom
Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, André Oliva von der
Universität Tübingen und Rolf Kuiper von der Universität Duisburg-Essen haben in
das Herz eines neu entstehenden massereichen Sterns geschaut. Er trägt die
Bezeichnung IRAS 21078+5211. Mithilfe der Radiointerferometrie beobachteten sie
eine bestimmte Emission von Radiowellen mit einer Frequenz von etwa 22 GHz oder
einer Wellenlänge von 1,4 Zentimetern. Diese Emission deutet auf die Existenz
von geschocktem Wasserdampf hin, der in Sternentstehungsgebieten als heller
natürlicher Maser - das Laseräquivalent im Mikrowellenbereich - zu beobachten
ist. Wie Laser sind Maser intensive und stark gebündelte Strahlen im
Radiofrequenzbereich. Die Wassermaser zeichnen die Gasbewegung nach, so dass das
Team unmittelbar zwei Bewegungsmuster beobachten konnte, die für einen
magnetohydrodynamischen Scheibenwind typisch sind: spiralförmige Bewegungen in
der Nähe der Rotationsachse und ein mitrotierender Strom bei größeren Abständen.
Das Team nutzte das globale Very Long Baseline Interferometry (VLBI)
Array mit 26 Radioteleskopen, die über Europa, Asien und die USA verteilt sind.
Diese Stationen haben 24 Stunden lang gleichzeitig die Wassermaseremission in
Richtung des entstehenden Sterns beobachtet. Diese Technik ermöglicht es, ein
Riesenteleskop mit einem Durchmesser zu simulieren, der mit dem der Erde
vergleichbar ist. Dadurch wird eine hohe Winkelauflösung erreicht, die der
Beobachtung eines metergroßen Objekts auf dem Mond von der Erde aus entspricht.
Diese Eigenschaft war wichtig, um die räumliche Verteilung der Wassermaser in
der Nähe des entstehenden Sterns zu studieren.
"Unsere Arbeit zeigt, dass die Very-Long-Baseline-Interferometrie von
Wassermasern in der Nähe von sich bildenden Sternen ein effektives Werkzeug sein
kann, um die Physik von Scheibenwinden mit noch nie dagewesenen Details zu
untersuchen", erklärt Moscadelli, der Hauptautor der neuen Studie. "Wir haben
neuartige Beobachtungen der Wassermaseremission durchgeführt, indem wir alle im
VLBI-Netzwerk verfügbaren Teleskope einbezogen haben, um die Radiointerferometer
der nächsten Generation zu simulieren, die die derzeitigen Empfindlichkeiten um
mehr als eine Größenordnung verbessern werden."
Bisher war der beste empirische Nachweis für magnetohydrodynamische
Scheibenwinde die Bestimmung dessen, was Astronomen einen
Geschwindigkeitsgradienten senkrecht zur Jetachse nennen. Diese Methode ist
jedoch der neu angewandten Technik unterlegen, da sie nicht zwischen einzelnen
Gasbahnen unterscheiden kann. Stattdessen erscheinen alle Bewegungen überlagert.
Daher liefert sie nur indirekte Hinweise und ist anfällig für
Fehlinterpretationen und systematische Fehler. Die Verfolgung der für einen
magnetohydrodynamischen Scheibenwind typischen Stromlinien über die räumlichen
Positionen und Geschwindigkeiten von Masern, d. h. Gaspaketen entlang der
Strombahnen, ist ein viel überzeugenderer Beleg. "Obwohl Wissenschaftler die
Jets in der Theorie schon lange gut beschrieben haben, können wir mit diesen
Daten zum ersten Mal die Gasverteilung entlang des Magnetfeldes im Detail
beobachten und analysieren", betont Beuther. "Es ist toll zu sehen, wie gut
Modellierung und Beobachtung zusammenspielen."
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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