Detaillierter Blick auf das Gas der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
4. August 2021
Durch die Kombination von zwei der leistungsfähigsten
Radioteleskope der Erde hat ein internationales Forschungsteam die bisher
empfindlichsten Karten der Radiostrahlung großer Teile der nördlichen
galaktischen Ebene erstellt. Mit den Daten lassen sich spannende Untersuchungen
anstellen: So wurden damit bereits zahlreiche neue Supernovae entdeckt.

Deutlicher Unterschied: Oben ein
Radiokontinuumsbild der GLOSTAR-Pilotregion im
Bereich 28° < l <36° aus einer Kombination von
Interferometermessungen in der
VLA-D-Konfiguration und Einzelteleskopmessungen
mit dem Effelsberger 100-Meter-Teleskop. Unten
das Radiokontinuumsbild des gleichen Bereichs in
galaktischer Länge ausschließlich auf Basis von
Beobachtungen mit dem VLA in D-Konfiguration.
Bild: GLOSTAR-Team [Großansicht] |
Das Projekt "Global View on Star Formation in the Milky Way" (GLOSTAR)
liefert die bisher empfindlichsten Karten der Radiostrahlung großer Teile der
nördlichen galaktischen Ebene. Das Team nutzt dazu Daten des Karl G. Jansky
Very Large Array (VLA) im US-Bundesstaat New Mexico in zwei verschiedenen
Konfigurationen und des 100-Meter-Radioteleskops Effelsberg des
Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR). Damit steht erstmals eine
Radiokartierung zur Verfügung, die alle Winkelskalen bis hinunter zu 1,5
Bogensekunden abdeckt. Dieser faszinierende neue Datensatz wird nun genutzt, um
das interstellare Medium in der Milchstraße sowie massereiche Sterne in ihrer
Kindheit und ihrem Tod zu untersuchen.
Während ein Interferometer wie das VLA sehr scharfe Bilder des Himmels
erzeugen kann, geht die großräumige Emission oft verloren. Diese diffuse
Komponente der Radiostrahlung kann jedoch durch Hinzufügen von Daten des
100-Meter-Effelsberg-Teleskops wiederhergestellt werden. "Das zeigt deutlich,
dass das Radioteleskop Effelsberg auch nach 50 Jahren Betrieb immer noch sehr
wichtig ist", sagt Andreas Brunthaler vom MPIfR.
Um die vollen 145 Quadratgrad der Durchmusterung zu kartieren, musste das
Team kleinere Bilder von fast 50.000 verschiedenen Positionen kombinieren. "Wir
benötigten etwa 700 Stunden Beobachtungszeit am VLA, wodurch fast 40 Terabyte an
Rohdaten erzeugt wurden", erklärt Sergio Dzib, der die Datenkalibrierung der
VLA-Daten leitete. Während der Effelsberger Teil der Kartierung noch läuft,
können die Daten bereits für neue und spannende Wissenschaft genutzt werden.
So haben beispielsweise bisherige Durchmusterungen nur etwa 30 % der
erwarteten Anzahl von Supernova-Überresten in der Milchstraße entdeckt. Dank der
beispiellosen Empfindlichkeit der GLOSTAR-Durchmusterung war es möglich, allein
in den VLA-Daten 80 neue Kandidaten zu finden und damit die Anzahl im
beobachteten Gebiet zu verdoppeln. Mit der Hinzunahme der Effelsberg-Daten wird
diese Zahl voraussichtlich nochmals steigen. "Dies ist ein wichtiger Schritt, um
das lange bestehende Rätsel der fehlenden Supernova-Überreste in der Milchstraße
zu lösen", erklärt Rohit Dokara, Doktorand am MPIfR.
Mit den spannenden Ergebnissen von Kartierungen im Sub-mm- und im fernen
Infrarot-Wellenlängenbereich vom Boden und aus dem Weltraum konnten massereiche
und kalte Staubklumpen, aus denen sich die massereichen Sternhaufen bilden,
galaxienweit nachgewiesen werden. Ergänzend zu diesen Ergebnissen liefert die
GLOSTAR-Kartierung ein sehr leistungsfähiges und umfassendes Bild sowohl der
ionisierten als auch der molekularen Markierungen für Sternentstehung in der
galaktischen Ebene.
Die vorliegende Kartierung deckt auch den nahen Sternentstehungskomplex
Cygnus X ab. Hier wurden neue Quellen mit 6,7-GHz-Methanol-Maser-Emission
entdeckt. "Die 6,7-GHz-Linie von Methanol findet man ausschließlich in Regionen,
in denen sehr massereiche Sterne von mindestens acht Sonnenmassen entstehen",
sagt Karl Menten, Direktor am MPIfR, der Initiator von GLOSTAR. Er entdeckte die
Emission von Methanolmasern, die zweitstärkste Spektrallinie im
Radiowellenbereich, vor genau 30 Jahren zum ersten Mal im interstellaren Medium.
Während alle Methanolmaser im Cygnus-X-Komplex mit Staubemission assoziiert
sind, werden weniger als die Hälfte der Quellen auch im Radiokontinuum
nachgewiesen. "Diese Maser sind Wegweiser für Sterne in einem sehr frühen
Entwicklungsstadium, noch bevor nachweisbare Radiostrahlung zu sehen ist",
erklärt Gisela Ortiz-León vom MPIfR, die die Untersuchung der Region Cygnus X
leitet.
Echte massereiche "Proto"-Sterne zu identifizieren, ist seit Langem ein Ziel
der Sternentstehungsforschung. Während das optische Licht stark vom
interstellaren Staub absorbiert wird, erlauben Radiowellen einen Blick in die
zentralen Regionen der Milchstraße. Eine systematische Suche in der neuen Kontinuumskarte, die mit dem VLA in Richtung des galaktischen Zentrums
beobachtet wurde, nach Radioemission, die mit potenziellen jungen stellaren
Objekten aus einem kürzlich veröffentlichten Katalog assoziiert ist, ermöglicht
ein besseres Verständnis ihres Entwicklungsstadiums.
"Während wir für eine gute Anzahl von ihnen Radioemission finden, fehlt es
vielen der Objekte an Radiogegenstücken und Staubemission, was darauf hindeutet,
dass sie weiter entwickelt sind und ihre Geburtswolken bereits aufgelöst haben",
berichtet Hans Nguyen, ein weiterer Doktorand am MPIfR, der die Studie über
diese jungen stellaren Objekte leitet. Die zugehörigen Radioquellen ermöglichen
weitere Rückschlüsse auf die Sternentstehungsrate im galaktischen Zentrum.
Die große Anzahl von Quellen zu katalogisieren ist ebenfalls eine
Herausforderung. Die erwartete Anzahl der Quellen in den vollständigen
GLOSTAR-Datensätzen liegt bei einigen zehntausend Quellen unterschiedlicher
Natur. "Es gibt fast 100 Quellen pro Quadratgrad und wir nutzen alle verfügbaren
Informationen, um sie zu klassifizieren", sagt Sac Medina, ehemalige Doktorandin
am MPIfR, die die erste Quellenkatalogarbeit leitete und derzeit den Katalog der
vollen GLOSTAR D-Konfigurationsbilder vorbereitet.
Von Anfang an wurden im MPIfR eine Reihe von umfangreichen Kartierungen des
Radiohimmels durchgeführt, die meisten davon allerdings bei längeren
Wellenlängen. Die GLOSTAR-Durchmusterung ist die erste Durchmusterung im Bereich
von 4 bis 8 GHz, die mit den IR-Durchmusterungen im Weltraum in Bezug auf
räumliche Skalen und dynamische Bereiche konkurrieren kann und daher einen
einzigartigen Datensatz in Hinblick auf eine globale Perspektive zur
Untersuchung der Sternentstehung in unserer Galaxie liefern wird.
Über die ersten GLOSTAR-Ergebnisse berichtet das Team in vier Fachartikeln,
die in der
Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen sind.
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Brunthaler, A. et al. (2021) A global view on star formation: The
GLOSTAR Galactic plane survey I. Overview and first results for the
Galactic longitude range 28° < l < 36°, Astronomy & Astrophysics,
651, A85
Dokara,
R. et al. (2021) A global view on star formation: The GLOSTAR
Galactic plane survey II. Supernova remnants in the first quadrant
of the Milky Way, Astronomy & Astrophysics, 651, A86
Ortiz-León, G. N. et al. (2021) A global view on star formation: The
GLOSTAR Galactic plane survey III. 6.7 GHz methanol maser survey in
Cygnus X, Astronomy & Astrophysics, 651, A87
Nguyen,
H. et al. (2021) A global view on star formation: The GLOSTAR
Galactic plane survey IV. Radio continuum detections of young
stellar objects in the Galactic Centre region, Astronomy &
Astrophysics, 651, A88
Max-Planck-Institut für
Radioastronomie
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