Die tiefen Töne unserer Sonne
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
21. Juli 2021
Durch Auswertung von Daten des Solar Dynamics Observatory aus zehn
Jahren wurden jetzt globale Schwingungen der Sonne mit sehr langen Perioden
entdeckt. Die Schwingungen zeigen sich an der Sonnenoberfläche als riesige
Wirbelbewegungen und könnten der Forschung mehr über die innere Struktur und die
Dynamik unseres Sterns verraten.
Trägheitsmode mit maximaler Geschwindigkeit
in mittleren Breitengraden. Die mit der
retrograden Ausbreitung der Schwingungsmode
verbundene Geschwindigkeit in Ost-West-Richtung.
Links: Beobachtungen mit dem SDO/HMI-Instrument.
Rechts: numerisches Modell.
Bild: MPS/ Z-C
Liang [Großansicht] |
Die "hohen Töne" der Sonne sind seit den 1960er Jahren bekannt:
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten entdeckt, dass die Sonne wie
eine Glocke schwingt. Plasmaströme nahe der Sonnenoberfläche regen Millionen von
Moden akustischer Wellen mit kurzen Perioden von etwa fünf Minuten an, die im
Sonneninneren gefangen sind. Mithilfe von erdgebundenen Teleskopen und
Weltraumobservatorien werden diese schnellen Schwingungen seit Mitte der 1990er
Jahre ununterbrochen beobachtet. Helioseismologinnen und Helioseismologen
konnten auf diese Weise mehr über die innere Struktur und Dynamik unseres Sterns
erfahren - so wie Seismologinnen und Seismologen mit Hilfe von Erdbeben das
Innere der Erde erforschen.
Einer der großen Erfolge der Helioseismologie war das Kartieren der
Sonnenrotation in Abhängigkeit von der Tiefe und der heliographischen Breite.
Man spricht von differentieller Rotation. Zusätzlich zu den kurzperiodischen
Schwingungen wurde schon vor mehr als 40 Jahren vorhergesagt, dass Sterne auch
Schwingungen mit deutlich längeren Perioden aufweisen. Auf der Sonne konnten sie
bisher nicht vollständig identifiziert werden. "Die langperiodischen
Schwingungen hängen von der Rotation der Sonne ab; sie sind nicht akustischer
Natur", sagt Laurent Gizon, Direktor am Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung (MPS). "Um die langperiodischen Sonnenschwingungen zu
entdecken, ist es erforderlich, die horizontalen Bewegungen an der
Sonnenoberfläche über viele Jahre hinweg zu messen. Die ununterbrochenen
Beobachtungen des Helioseismic and Magnetic Imager (HMI) an Bord von
SDO sind für diesen Zweck perfekt geeignet", fügt er hinzu.
Das Forscherteam beobachtete einige Dutzend Schwingungsmoden, jede mit ihrer
eigenen Schwingungsperiode und räumlichen Abhängigkeit. Einige Schwingungsmoden
haben maximale Strömungsgeschwindigkeiten an den Polen, einige in mittleren
Breitengraden und einige in der Nähe des Äquators. Diejenigen mit hohen
Geschwindigkeiten am Äquator entsprechen den solaren Rossby-Wellen, die das Team
bereits 2018 identifiziert hatte.
"Die langperiodischen Oszillationen manifestieren sich als sehr langsame
Wirbelbewegungen an der Sonnenoberfläche mit Geschwindigkeiten von etwa fünf
Kilometern pro Stunde. Das ist etwa so schnell wie ein Mensch geht", sagt Zhi-Chao
Liang vom MPS. Kiran Jain vom National Solar Observatory (NSO) sowie B.
Lekshmi und Bastian Proxauf vom MPS bestätigten die Ergebnisse mit Daten der
Global Oscillation Network Group (GONG), eines Netzwerks von sechs
Sonnenobservatorien in den USA, Australien, Indien, Spanien und Chile.
Um das Wesen der neu entdeckten Schwingungen besser zu verstehen, verglich
das Team die Beobachtungsdaten mit den Ergebnissen von Computermodellen. "Die
Modelle erlauben uns, in das Innere der Sonne zu schauen und die volle
dreidimensionale Struktur der Schwingungen zu bestimmen", erklärt MPS-Doktorand Yuto Bekki. Um die simulierten Schwingungen zu erhalten, begann das Team mit
einem Modell des inneren Aufbaus der Sonne und ihrer differentiellen Rotation,
das auf helioseismologischen Daten basiert. Zudem bezogen die Forscherinnen und
Forscher die Stärke der konvektiven Ströme in den oberen Schichten und der
turbulenten Bewegungen ein.
Werden kleine Störungen des Sonnenmodells berücksichtigt, ergeben sich die
freien Schwingungen des Modells. Die entsprechenden Geschwindigkeiten an der
Oberfläche stimmen gut mit denen der beobachteten Schwingungen überein und
ermöglichten es dem Team, die Moden zu identifizieren. "All diese neuen
Oszillationen, die wir auf der Sonne beobachten, werden stark von der
differentiellen Rotation der Sonne beeinflusst", sagt MPS-Wissenschaftler Damien
Fournier. Die Abhängigkeit der Sonnenrotation vom Breitengrad bestimmt, wo die
Geschwindigkeit der Moden am größten ist.
"Die Schwingungen hängen zudem empfindlich von Eigenschaften des
Sonneninneren ab: insbesondere von der Stärke der turbulenten Bewegungen und der
damit verbundenen Viskosität des Sonnenmediums sowie von der Stärke des
konvektiven Antriebs", sagt Robert Cameron vom MPS. Diese Abhängigkeit ist an
der Basis der Konvektionszone etwa zweihunderttausend Kilometer unter der
Sonnenoberfläche stark ausgeprägt. "So wie wir mit der Helioseismologie
akustische Schwingungen nutzen, um mehr über die Schallgeschwindigkeit im
Sonneninneren zu erfahren, können wir die langperiodischen Schwingungen nutzen,
um mehr über die turbulenten Prozesse zu lernen", fügt er hinzu.
"Die Entdeckung einer neuen Art von Sonnenschwingungen ist sehr aufregend.
Sie erlaubt uns, auf Eigenschaften wie die Stärke des konvektiven Antriebs zu
schließen, die letztlich den solaren Dynamo steuern", sagt Laurent Gizon. Das
diagnostische Potenzial der langperiodischen Moden wird in den kommenden Jahren
mithilfe eines neuen Exascale-Computermodells, das im Rahmen des Projekts
WHOLESUN entwickelt wird, voll ausgeschöpft. WHOLESUN wird durch einen Synergy
Grant des Europäischen Forschungsrats gefördert.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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