Blick in einen kosmischen Kochtopf
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Heidelberg astronews.com
24. Mai 2019
Beobachtungen der Galaxie NGC 300 lieferten nun neue
Hinweise darauf, wie Sterne in riesigen Molekülwolken entstehen: Offenbar
handelt es sich bei diesen Wolken um kurzlebige Phänomene, die unter dem
Einfluss der intensiven Strahlung junger Sterne einen schnellen Lebenszyklus
durchlaufen. Für ihre Analyse nutzte das Team das Radioteleskop ALMA und ein
Teleskop in La Silla.
Die Galaxie NGC 300 in einer Aufnahme des
Wide-Field-Imager am ESO/MPG-2,2-Meter-Teleskops
auf La Silla.
Bild: ESO [Großansicht] |
Die Entstehung von Sternen innerhalb interstellarer Wolken aus Gas und Staub,
sogenannten Molekülwolken, verläuft sehr schnell, aber auch sehr "ineffizient".
Das meiste Gas wird durch die Strahlung der Sterne zerstreut. Galaxien ähneln
damit "kosmischen Kochtöpfen" – es sind hochdynamische Systeme, deren
Bestandteile ständig ihr Erscheinungsbild ändern.
Anhand von Beobachtungen der Spiralgalaxie NGC 300 ist es einem Forscherteam
unter Leitung des Astrophysikers Dr. Diederik Kruijssen von der Universität
Heidelberg erstmals gelungen, die Entwicklung von Molekülwolken und die in ihnen
stattfindende Sternentstehung im Zeitverlauf zu rekonstruieren. Ihre Analyse
zeigt, dass diese Wolken kurzlebige Phänomene sind, die unter dem Einfluss der
intensiven Strahlung junger Sterne einen schnellen Lebenszyklus durchlaufen.
Es gibt zwei Ansätze, um die in der Spiralgalaxie NGC 300 beobachtete
Aktivität der Sternentstehung zu erklären. Entweder verwandelt sich die gesamte
Materie der Molekülwolke über einen langen Zeitraum hinweg in Sterne. In diesem
Fall müssten die jungen Sterne am gleichen Ort wie die Molekülwolken, aus denen
sie sich einst gebildet haben, zu finden sein. Oder aber die Sterne entstehen
sehr schnell innerhalb der Molekülwolken aus einem Bruchteil des Gases und
zerstreuen das restliche Gas durch ihre intensive Strahlung. Ist dies der Fall,
müssten sich die jungen Sterne und die Molekülwolken an unterschiedlichen Orten
befinden.
Um die Frage zu klären, welcher Ansatz zutreffend ist, kombinierten Kruijssen
und sein Team zwei verschiedene Beobachtungen der Galaxie NGC 300, die rund
sechs Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt ist. Die erste
Beobachtung ist eine Karte des vom Kohlenmonoxid emittierten Lichts, die
anzeigt, wo sich Molekülwolken befinden; die zweite ist eine Karte von heißem,
ionisiertem Wasserstoff, der die Positionen massereicher neugebildeter Sterne
markiert. Die Karten entstanden mithilfe des Atacama Large Millimeter Array
(ALMA) der Europäischen Südsternwarte ESO und des 2,2-Meter-Teleskops der
Max-Planck-Gesellschaft und der ESO. Die ALMA-Beobachtungen stammen von Dr.
Andreas Schruba, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische
Physik in Garching und einer der Co-Autoren der Studie.
Die Wissenschaftler analysierten die Daten mit einer neuen statistischen
Methode, die ermittelt, wie molekulares Gas und Sternentstehung auf
unterschiedlichen Größenskalen zusammenhängen. Mit dieser Methode ist es
erstmals möglich, die Positionen von Molekülwolken und jungen Sternen in
Relation zueinander mit großer Genauigkeit zu quantifizieren. Die Auswertung der
Daten lässt nach Angaben der Wissenschaftler keinen Zweifel, dass die Positionen
von Molekülwolken und jungen, massereichen Sternen selten übereinstimmen. Je
kleiner die betrachteten Größenskalen waren, desto stärker war dieser Effekt.
Daraus schließen die Wissenschaftler, dass Sterne sehr schnell entstehen, sodass
Gas und Sterne aufeinanderfolgende Phasen im Lebenszyklus von Molekülwolken
darstellen.
"Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Entstehung von Sternen sehr schnell und
zugleich sehr ineffizient verläuft", so Kruijssen, der eine Forschungsgruppe am
Astronomischen Rechen-Institut leitet. "Molekülwolken in NGC 300 haben eine
Lebensspanne von etwa zehn Millionen Jahren und werden innerhalb von nur rund
1,5 Millionen Jahren zerstört, lange bevor die massereichsten Sterne ihr
Lebensende erreicht haben und als Supernovae explodieren."
Dr. Mélanie Chevance, Wissenschaftlerin in seinem Team ergänzt: "Aufgeheizt
durch die intensive Strahlung junger Sterne wird die Molekülwolke, aus der die
Sterne einst entstanden sind, in Form von heißen interstellaren Gasblasen
auseinandergetrieben. So werden nur etwa zwei bis drei Prozent der Masse in
Molekülwolken tatsächlich in Sterne umgewandelt."
Das Team will die neue statistische Methode nun auf die Daten von weit
entfernten Galaxien anwenden, um die Sternentstehung in Molekülwolken im Verlauf
der Geschichte des Universums zu beobachten. "Wir werden nun den Zusammenhang
von Molekülwolken und jungen Sternen in Galaxien im ganzen Kosmos untersuchen.
In naher Zukunft wird uns das ermöglichen, Galaxien als Ensemble kleiner
Bestandteile zu verstehen, die durch Sternentstehung gesteuerten Lebenszyklen
unterliegen und so gemeinsam das Erscheinungsbild ihrer Wirtsgalaxien prägen",
erläutert Kruijssen.
Die Forschungsarbeiten wurden in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern aus Großbritannien, den USA und den Niederlanden durchgeführt. Über
ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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