Die größte bekannte Spiralgalaxie
von Stefan Deiters astronews.com
11. Januar 2013
Astronomen haben mithilfe von Archivdaten des Galaxy
Evolution Explorer (GALEX) die spektakuläre Balkenspiralgalaxie NGC 6872
neu vermessen: Mit einem Durchmesser von 522.000 Lichtjahren ist das System die
größte bekannte Spiralgalaxie überhaupt. Ihre Größe und ihr Aussehen dürfte sie
einer Begegnung mit der kleineren Galaxie IC 4970 verdanken.
Die riesige Balkenspiralgalaxie NGC 6872 in
einer Ansicht, die auf Daten des VLT, von Spitzer
und von GALEX beruht. IC 4970 ist oberhalb des
Zentrums von NGC 6872 zu erkennen.
Bild: NASA
Goddard Space Flight Center / ESO / JPL-Caltech /
DSS
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"Ohne die Möglichkeit von GALAX im Ultravioletten auch die jüngsten und
heißesten Sterne zu entdecken, hätten wir die wahre Ausdehnung dieses
beeindruckenden Systems nie erkennen können", so Rafael Eufrasio vom Goddard
Space Flight Center der NASA, der die Entdeckungen am Donnerstag auf der
Tagung der American Astronomical Society im kalifornischen Long Beach
präsentierte.
Und die Ausdehnung von NGC 6872 ist tatsächlich rekordverdächtig. Die Galaxie
war den Astronomen schon länger als eines der größten stellaren Systeme
überhaupt bekannt, die Auswertung von Archivdaten der GALEX-Mission ergab aber
jetzt, dass sie von Spitze zu Spitze der beiden ausgedehnten Spiralarme 522.000
Lichtjahre misst. Sie hat damit mehr als die fünffache Größe unserer Milchstraße
und ist die größte bekannte Spiralgalaxie.
Das ungewöhnliche Aussehen und die Größe von NGC 6872 erklären die Astronomen
durch eine Wechselwirkung mit der deutlich kleineren Scheibengalaxie IC 4970,
die nur etwa ein Fünftel der Masse von NGC 6872 hat. Sie ist auf dem Bild
oberhalb des Zentrums von NGC 6872 zu erkennen. Das eigentümliche Galaxienpaar
liegt rund 212 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Pfau.
Galaxien wachsen, so die aktuelle Theorie der Astronomen, indem sie mit
anderen Galaxien verschmelzen oder kleinere Systeme einfach verschlucken. Über
viele Milliarden Jahre sind so aus anfangs recht kleinen Galaxien die
beeindruckenden Systeme entstanden, die wir heute in unserer galaktischen
Nachbarschaft beobachten können.
Bei diesem Wachstumsprozess kann allerdings auch einmal etwas "schiefgehen":
Durch die Auswertung von archivierten Daten von NGC 6872 des Very Large
Telescope der europäischen Südsternwarte ESO, des Galaxy Evolution
Explorers (GALEX), des Weltraumteleskops Spitzer und des Two
Micron All Sky Survey (2MASS) entdeckten die Forscher am Ende eines Arms
der Galaxie einen Bereich, der an eine Zwerggalaxie erinnert und nur in den
ultravioletten Beobachtungsdaten von GALEX zu erkennen war (siehe dazu die
Großansicht).
"Der nordwestliche Arm von NGC 6872 ist der am meisten gestörte und es gibt
hier überall Sternentstehung", erklärt Duilia de Mello von der Catholic
University of America in Washington. "Ganz am Ende, und sichtbar nur im
Ultravioletten, gibt es ein Objekt, dass wie eine Gezeiten-Zwerggalaxie
aussieht, ganz ähnlich denen, die man von anderen wechselwirkenden Systemen
kennt". Gezeiten-Zwerggalaxien (englisch Tidal Dwarf Galaxies)
entstehen, wenn sich durch die Wechselwirkung zweier Galaxien Ströme aus Gas von
den ursprünglichen Galaxien lösen.
Die potentielle Gezeiten-Zwerggalaxie ist im Ultravioletten heller als andere
Regionen der Galaxie, was auf eine große Anzahl von jungen heißen Sternen
hindeutet, deren Alter weniger als 200 Millionen Jahre betragen dürfte. Aus den
analysierten Beobachtungen konnten die Astronomen auch die Verteilung des Alters
der Sterne in NGC 6872 bestimmen. Die jüngsten Sterne finden sich danach in der
vermuteten Gezeiten-Zwerggalaxie am Ende des einen Spiralarms, in Richtung des
Zentrum nimmt das Alter der Sterne dann immer weiter zu.
Die Altersverteilung der Sterne dürfte sich durch Wellen von Sternentstehung
erklären, die durch die Wechselwirkung zwischen NGC 6872 und IC 4970 ausgelöst
wurden. Computersimulationen aus dem Jahr 2007 hatten ergeben, dass die kleinere
Galaxie vermutlich vor rund 130 Millionen Jahren den geringsten Abstand von NGC
6872 hatte. Die jetzt vorgestellte Analyse der Beobachtungsdaten stimmt mit den
Ergebnissen der damaligen Modellrechnungen überein.
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