Überraschend langsame Plasmaströme
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
23. Juli 2012
Die inneren Bewegungen der Sonne sind viel langsamer als
vorhergesagt. Anstatt mit der Geschwindigkeit eines Düsenflugzeuges wie bisher
geglaubt, strömt das Plasma dort im Schritttempo. Zu diesem Ergebnis gelangten
Forscher jetzt mit Hilfe der Helioseismologie und durch Auswertung von Daten des Solar Dynamics Observatory.
Konvektionsmuster
an der Sonnenoberfläche, gemessen mit dem
Instrument HMI an Bord von SDO.
Bild: MPS/NASA |
In ihrem äußeren Drittel gleicht die Sonne einem Topf mit kochendem Wasser:
Getrieben von der gewaltigen Hitze im Innern des Sterns steigt heißes Plasma
auf, kühlt weiter oben ab und sinkt dann wieder hinunter. Dieser Vorgang, den
Wissenschaftler als Konvektion bezeichnen, transportiert Energie nach außen und
bestimmt Struktur und Entwicklung der Sonne. Den Forschern um Dr. Shravan
Hanasoge vom MPS ist es nun erstmals gelungen, mit Hilfe der Helioseismologie
die Vorgänge in der Konvektionsschicht aus direkten Beobachtungen der
Sonnenoberfläche abzuleiten.
Die Helioseismologie ähnelt der irdischen Seismologie. "Wir beobachten
Oszillationen der Sonnenoberfläche und nutzen diese, um auf Eigenschaften wie
etwa Ströme im Sonneninneren zu schließen", erklärt Prof. Dr. Laurent Gizon,
Leiter der Abteilung "Physik des Inneren der Sonne und sonnenähnlicher Sterne"
am MPS und Professor am Institut für Astrophysik der Universität Göttingen. Das
Team, zu dem auch amerikanische Forscher der Princeton University, des
NASA Goddard Flight Center und der New York University
gehören, war in der Lage, die Strömungsgeschwindigkeiten des Plasmas in einer
Tiefe von 55.000 Kilometern zu bestimmen. Diese Tiefe entspricht acht Prozent
des Sonnenradius.
Überraschenderweise stellte sich heraus, dass die Strömungsgeschwindigkeiten
kleiner als einige Meter pro Sekunde sind. "Das ist hundert Mal weniger als
numerische Modelle solarer Konvektion vorhersagen", ordnet Gizon die neuen
Ergebnisse ein. Schlüssel zu den neuen Ergebnissen waren Daten des
NASA-Sonnenobservatoriums SDO, das die Sonnenoberfläche seit Anfang 2010 vom All
aus beobachtet. Die Wissenschaftler werteten Messungen des Instrumentes
Helioseismic and Magnetic Imager (HMI) aus. Nur die einzigartige
Kombination aus hoher Auflösung und voller räumlicher Abdeckung, die das
Sonnenobservatorium bietet, hat diese Analyse ermöglicht.
Die riesigen Datenmengen (täglich tausende hochaufgelöste Aufnahmen der
gesamten Sonne), die HMI sammelt, werden am MPS im German Data Center for
SDO archiviert und aufbereitet, einer in Europa einmaligen Einrichtung. Das
HMI-Instrument misst die Strömungsgeschwindigkeit der Sonnenoberfläche. Erreicht
eine solare akustische Welle, die im Innern der Sonne gefangen ist, die
Oberfläche, bewegt dies die Oberfläche - und kann somit vom Instrument HMI
erfasst werden.
Auf diese Weise konnten die Forscher die Zeit messen, die eine solare
akustische Welle braucht, um sich von einem Punkt an der Sonnenoberfläche durch
das Innere zu einem anderen Punkt an der Oberfläche auszubreiten. Dabei
beeinflussen die Konvektionsströme tief im Innern die
Ausbreitungsgeschwindigkeit. So ist es möglich, aus der Messung dieser
Ausbreitungsgeschwindigkeiten etwas über die Geschwindigkeit der
Konvektionsströme zu lernen. Wie sich dabei das Zusammenspiel solarer akustischer Wellen und der
Konvektion modellieren lässt, ist eine aktuelle Fragestellung, der
Wissenschaftler im Rahmen des Sonderforschungsbereichs "Astrophysikalische
Strömungsinstabilität und Turbulenz" der Deutschen Forschungsgemeinschaft am MPS
und der Universität Göttingen nachgehen.
"Diese unerwartet niedrigen
Geschwindigkeiten, die mithilfe der Helioseismologie gemessen wurden, sind das
bemerkenswerteste helioseismologische Ergebnis seit dem Start von SDO", urteilt
Gizon. "Es gibt keine offensichtliche Möglichkeit, die neuen Beobachtungen und
die Theorie miteinander zu versöhnen", ergänzt MPS-Kollege Aaron Birch. "Die neuen Erkenntnisse werfen nicht nur ein neues Licht auf die Sonne,
sondern auch auf unsere derzeitige Unfähigkeit, eine der grundlegendsten
physikalischen Prozesse in der Sonne und anderen Sternen zu verstehen: die
Konvektion", so Gizon.
Die Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse im Fachmagazin
Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America.
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