Blue Straggler und die Massensegregation
von Stefan
Deiters
astronews.com
25. Oktober 2006
Kugelsternhaufen sind die ältesten Bestandteile unserer
Galaxie. Sie gelten unter Astronomen als ein ideales Laboratorium, da alle
Sterne in ihnen das gleiche Alter haben. Zudem sind sie für Stellardynamiker
interessant: Diese haben schon lange vermutet, dass sich Sterne in
Kugelsternhaufen ihrer Masse entsprechend ordnen und zudem exotische
Sternentypen entstehen. Genau dies beobachtete Hubble nun im
Kugelsternhaufen 47 Tucanae.
Hubbles Blick auf das Zentrum von 47 Tucanae
(rechts). Foto: VLT / ESO, R. Kotak und
H. Boffin (ESO) (links), NASA, ESA und G. Meylan
(Ecole Polytechnique Federale de Lausanne)
(rechts) [Großansicht]
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Ein typischer Kugelsternhaufen besteht aus über Hunderttausend Sternen.
Besonders im Inneren kann es da schon einmal eng werden: Würden wir
uns im Zentrum eines Kugelsternhaufens befinden, gäbe es Tausende von Sternen,
die uns näher wären als der sonnennächste Stern Alpha Centauri in 4,3
Lichtjahren Entfernung. Dass es dann schon einmal zu engen Begegnungen von
Sternen und sogar zu Kollisionen kommt, ist verständlich.
Doch genau diese Begegnungen führen zu einem interessanten Effekt: Durch sie
werden die Sterne in Kugelsternhaufen entsprechend ihrer Masse "sortiert":
Massereiche Sterne sinken ins Zentrum, während massearme Sterne beschleunigt
werden und in die Außenbereiche des Sternhaufens wandern. Astronomen nennen
diesen Effekt Massensegregation.
Diese Massensegregation wurden von Theoretikern schon lange Zeit vermutet,
doch ist die Beobachtung dieses Sachverhalts relativ schwierig: Das Gewimmel im
Zentrum der Kugelsternhaufen macht die Datengewinnung zu einer sehr
anspruchsvollen Aufgabe. Dank des hohen Auflösungsvermögens des
Hubble-Weltraumteleskops ist es nun gelungen, die Bewegung von rund 15.000
Sternen in der Nähe des Zentrums des Kugelsternhaufen 47 Tucanae zu verfolgen,
darunter eine Reihe von seltenen so genannten "Blue Stragglern". Dabei
handelt es sich um einen
Sternentyp, der vermutlich durch Kollision und Verschmelzung von zwei normalen
Sternen entstanden ist.
Die Geschwindigkeit dieser Blue Straggler stimmt mit den Vorhersagen
der Theorie über Massensegregation überein: So zeigt etwa ein Vergleich der
Geschwindigkeiten, dass diese Sterne, die im Schnitt doppelt so massereich sind wie
normale Sterne, sich deutlich langsamer bewegen als die durchschnittlichen
Sterne des Haufens.
Die Beobachtungen gelangen mit der Wide Field and Planetary Camera 2
und der neuen Advanced Camera for Surveys. Über sieben Jahre wurde Bilder
des Zentralbereichs des Kugelsternhaufens gemacht und die Position von nahezu
130.000 Sternen in diesen Schnappschüssen exakt bestimmt. Über die Jahre ließen
sich so auch kleinste Positionsänderungen der Sterne aufspüren. Exakte
Geschwindigkeiten konnten von insgesamt 15.000 Sternen bestimmt werden - davon waren 23
Blue Straggler.
Die Beobachtungen sind die umfangreichste Sammlung von Sterngeschwindigkeiten
in einem Sternhaufen unserer Milchstraße, die je vorgenommen wurde. Die Daten
wurden auch dazu verwendet, um nach Anzeichen für ein Schwarzes Loch im Zentrum
von 47 Tucanae zu suchen, das durch seine Anziehungskraft die Bewegung der
Sterne beeinflusst. Die jetzt vorliegenden Daten schließen aber die Existenz
eines sehr massereichen Schwarzen Lochs aus.
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