Blick auf das Marsgesicht
Redaktion / DLR
astronews.com
22. September 2006
Am 22. Juli 2006 nahm die vom Deutschen Zentrum für Luft-
und Raumfahrt (DLR) betriebene hochauflösende Stereokamera (HRSC) auf der
ESA-Sonde Mars Express im Orbit 3253 einen Teil der Region Cydonia auf.
Dieses Gebiet erlangte vor 30 Jahren zweifelhafte Berühmtheit, weil in den
damals veröffentlichten Aufnahmen der amerikanischen Viking I-Sonde ein
Bergmassiv zu erkennen ist, das von oben betrachtet einem Gesicht ähnelt.
Das vermeintliche "Marsgesicht" in einer perspektivische
Ansicht, die durch eine Kombination aus HRSC-Stereobilddaten mit
darübergelegten hochauflösenden Bilddaten der Mars Observer
Camera auf der NASA-Sonde Mars Global Surveyor erzeugt wurde.
Die Blickrichtung ist von Norden nach Süden. Bild: ESA /
DLR / FU Berlin (G. Neukum). [Großansicht]
HRSC-Farb-Draufsicht auf die Cydonia-Region mit dem
vermeintlichen "Marsgesicht" rechts unten. Bild: ESA /
DLR / FU Berlin (G. Neukum). [Großansicht]
Viking-Aufnahme vom 25. Juli 1976 des
"Marsgesichtes" aus einer Höge von 1.873 Kilometer Höhe. Foto:
NASA / JPL |
Nun wurde das vermeintliche "Gesicht" auf dem Mars von der HRSC mit einer
Auflösung von rund 13,7 Metern pro Bildpunkt erneut aufgenommen. "Und wie nicht
anders zu erwarten war", erklärt Prof. Ralf Jaumann, HRSC Experiment-Manager vom
DLR-Institut für Planetenforschung, "ist auch in unseren Bildern nichts anderes
zu sehen, als ein in der Ebene von der Erosion geprägter Inselberg".
Die neuen Bilder zeigen einen Ausschnitt der Cydonia-Region bei etwa 41 Grad
nördlicher Breite und 350 Grad östlicher Länge. Die erstmals am 25. Juli 1976
von Viking I abgebildete Formation hat in den letzten 30 Jahren als
"Gesicht auf dem Mars" für manche Schlagzeile gesorgt. Das Viking-Bild
zeigte die für diese Region typischen abgerundeten "Inselberge", wobei eine
dieser Formationen in der NASA-Pressemitteilung vom 31. Juli 1976 als "einem
menschlichen Kopf ähnlich" beschrieben wird. Ralf Jaumann erinnert sich: "Schon
damals gingen sämtliche an Viking beteiligten Marsforscher von einer
optischen Täuschung aus". Der Beleuchtungseffekt ergab sich durch einen
Sonnenstand, der die Oberflächenformen an diesem Berg Schatten werfen ließ, die
den Anschein erweckten, dass die Formation Augen, Nase und Mund habe.
In den folgenden Jahren war das "Gesicht auf dem Mars" Ursache für zahlreiche
Spekulationen über künstliche Strukturen auf diesem Planeten, deren möglichen
Ursprung und ihren eventuellen Zweck. Das Marsgesicht ist dabei die berühmteste
Formation in einer Reihe von Geländemerkmalen, die von manchen
Weltraum-Enthusiasten als mutmaßlich künstliche Landschaften, wie potentielle
Pyramiden und sogar eine zerfallene Stadt, interpretiert wurden. Die
Vorstellung, dass der Mars früher Lebensraum intelligenter Lebewesen gewesen
sein könnte, beflügelte die Phantasie einer Reihe von Interessierten. Auch die
Medien beteiligten sich rege an diesen Spekulationen, die ihren Ausdruck in
zahlreichen mehr oder weniger ernsthaften Zeitungsartikeln, in Werken der
Science-Fiction Literatur, in TV-Beiträgen, in Computerspielen und auf einer
Vielzahl von Webseiten fanden.
Die offizielle Lesart der Wissenschaftler hat sich dabei nie geändert: das
Gesicht auf dem Mars blieb ein rein optisches Phänomen, bedingt durch den
Schattenwurf von Erhebungen auf eine Oberfläche, die durch natürliche Erosion
geformt wurde. Erst im April 1998 konnte dieser Standpunkt mit Hilfe weiterer
Bilddaten der Mars Orbiter Camera auf der NASA-Mission Mars Global
Surveyor bekräftigt werden. Auch spätere Aufnahmen derselben Sonde aus dem
Jahre 2001 und von einer Kamera auf dem Orbiter Mars Odyssey bestätigten
diese Interpretation.
Die HRSC auf der ESA-Sonde Mars Express hat zwischen April 2004 und Juli
2006 bereits mehrmals Daten in der Cydonia-Region aufgenommen. Doch große
Überflughöhen, die in geringer Bildauflösung am Boden resultieren, sowie Staub
und Dunst in der Atmosphäre, die zu stark verminderter Bildqualität führen,
haben die Aufnahme von hochwertigen Bilddaten durch HRSC in Cydonia verhindert.
Am 22. Juli 2006 hatte das HRSC-Team im Orbit 3253 endlich Erfolg. Ein großes
Gebiet in Cydonia konnte in bester Auflösung und in 3D aufgenommen werden.
Cydonia liegt in der Region Arabia Terra und gehört zur Übergangszone zwischen
den südlichen Mars-Hochländern und den nördlichen Mars-Tiefländern. Diese
Übergangszone, auch unter der Bezeichnung Dichotomie-Grenze bekannt, ist durch
breite schuttgefüllte Täler und Einzelberge unterschiedlicher Größe und Form
charakterisiert.
In Nachbarregionen von Cydonia sind diese von der Erosion ausgenommene so
genannte "Zeugenberge" an ihrer Basis oft von Halden aus Schutt, wahrscheinlich
mit einem Gehalt an Wassereis, umgeben. An einigen vergleichsweise kleinen
Restbergen in Cydonia fehlen diese Schutthalden. Die Morphologie der
Schutthalden wird durch Details der Hangrutschungsprozesse beeinflusst. Die
Marsgesicht-Formation weißt einen solchen charakteristischen Bergrutsch und ein
frühes Stadium einer Schutthalde auf. Frühere größere Rutschungen könnten durch
spätere Lava-Überflutungen in der Umgebung überdeckt worden sein. Die westliche
Wand des "Marsgesichtes" ist als zusammenhängende Masse hangabwärts gerutscht.
Die Abbruchzone ist deutlich als große von Norden nach Süden verlaufende
Abrisskante zu erkennen. Auch an der Basis der pyramidenähnlichen Formationen
sind die Ergebnisse von Hangrutschungsprozessen erkennbar.
Bereits beim ersten Blick auf die Bilddaten fällt nördlich der vermeintlichen
"Pyramiden" in direkter Nachbarschaft zum "Marsgesicht" eine weitere
Bergstruktur auf, die in ihrer Form entfernt an einen Totenkopf erinnert.
Professor Jaumann: "Auch auf der Erde erzeugt die Verwitterung ungewöhnliche
Strukturen, und die Menschen lassen ja ihrer Phantasie bei der Benennung von
solchen Bergen gerne freien Lauf – wer kennt nicht einen ganz natürlich
entstandenen 'Geierkopf', die 'Schlafende Hexe' bei Berchtesgaden oder an vielen
Orten der Welt aneinander gereihte Berge, die dann 'Zwölf Apostel' genannt
werden? – Die Natur ist eben auch kreativ, und so gibt es bei den Cydonia-Bergen
auf dem Mars genauso wenig Grund zu Spekulationen, dass es sich dabei um
unnatürliche Formationen handelt."
Das Kameraexperiment HRSC auf der Mission Mars Express der Europäischen
Weltraumorganisation ESA wird vom Principal Investigator Prof. Dr. Gerhard Neukum (Freie Universität Berlin) geleitet. Das Wissenschaftsteam besteht aus 45
Co-Investigatoren aus 32 Instituten und zehn Nationen. Die Kamera wurde am
Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit
industriellen Partnern gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof
in Zusammenarbeit mit ESA/ESOC betrieben.
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