Intergalaktischer Überschallknall
Redaktion / MPG
astronews.com
6. März 2006
Astronomen haben in einer Galaxiengruppen eine gigantische
Stoßwelle aufgespürt, die größer ist als die Milchstraße. Mit dem
Infrarotteleskop Spitzer untersuchten die Forscher die Galaxiengruppe
"Stephans Quintett". Diese Gruppe von fünf Galaxien ist Schauplatz einer
gewaltigen kosmischen Kollision. Die Entdeckung liefert den Forschern neue
Einblicke in die Anfänge des Universums, als Verschmelzungen und Zusammenstöße
von Galaxien an der Tagesordnung waren.
Seit Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler die 300 Millionen Lichtjahre
entfernte Galaxiengruppe namens "Stephans Quintett" mit optischen Teleskopen.
Die ungewöhnliche Gestalt der Galaxien ließ sie vermuten, dass die Sternsysteme
dort früher oft zusammengestoßen sind - und noch heute miteinander kollidieren.
Vor kurzem haben Astronomen im Radio- und Röntgenbereich riesige Gasmengen
zwischen den Galaxien entdeckt; diese Wolken bestehen hauptsächlich aus
Wasserstoff und Helium, besitzen hundert Milliarden Sonnenmassen und enthalten
mehr Gas als die Galaxien selbst.
Jetzt hat das Team aus deutschen, amerikanischen, australischen und
chinesischen Forschern das Weltraumteleskop Spitzer auf die
Galaxiengruppe gerichtet und mit dem sehr empfindlichen Infrarot-Spektrometer
des Instruments die Galaxie NGC 7318b unter die Lupe genommen. NGC 7318b bewegt
sich sehr schnell auf die anderen Galaxien zu und erzeugt auf ihrem Weg durch
das intergalaktische Gas eine gigantische Stoßwelle - größer als unsere
Milchstraße mit ihren 100.000 Lichtjahren Durchmesser. Die Wissenschaftler
berichten über ihre Arbeit in einer kommenden Ausgabe der Fachzeitschrift
Astrophysical Journal.
Die Stoßwelle verriet sich durch eine starke Infrarotstrahlung. Sie stammt
von Wasserstoffmolekülen, die bei der Kollision von Materie zum Leuchten
angeregt werden. "Die Stärke der Strahlung und die Tatsache, dass das Gas derart
durcheinander gewirbelt wird, war für uns eine große Überraschung", sagt
Gruppenleiter Philip Appleton vom California Institute of Technology in
Pasadena. "Wir erwarteten die spektrale Zusammensetzung von Staubkörnchen.
Stattdessen sahen wir nichts außer einem Spektrum von Wasserstoffmolekülen, wie
es im Labor zu sehen ist. So etwas haben wir in einem Galaxiensystem noch nie
zuvor beobachtet."
Mit dem Spektrometer identifizierten die Wissenschaftler in Stephans Quintett
eine ungewöhnlich "verschmierte" Linie - die breiteste, die für heißen
Wasserstoff jemals gefunden wurde. Aus ihr ließ sich eine Geschwindigkeit von
870 Kilometern pro Sekunde hin - das Gas bewegt sich also hundertmal schneller
als der Schall in Luft (330 Meter pro Sekunde). "Anscheinend entstehen
Wasserstoffmoleküle entweder in der Stoßwelle oder hinter ihr, ähnlich
Wassertropfen, die sich hinter einem Flugzeug bilden, das die Schallmauer
durchbricht. Nur passiert das hier in kosmischen Dimensionen und bei einer
Geschwindigkeit von Mach 100 oder mehr", sagt Richard Tuffs von der
Astrophysik-Abteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg.
Die Beobachtungen geben Einblick in die Vergangenheit des Alls. Damals
kollidierten und verschmolzen die Galaxien noch viel häufiger als in der
Gegenwart. "So bietet uns eine benachbarte Galaxiengruppe, die von einer dichten
Gaswolke verhüllt ist, ein Modell des Universums, wie es vor zehn Milliarden
Jahren ausgesehen hat", sagt Cristina Popescu, die andere Autorin aus dem
Heidelberger Max-Planck-Institut. Zu dieser Zeit waren bereits die ersten
Galaxien entstanden, ihre Dichte und die des Weltraums waren allerdings viel
höher als heute. "In dieser Hinsicht gleichen unsere Beobachtungen einer Reise
mit der Zeitmaschine", so Popescu.
Die neuen Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die helle
Infrarotstrahlung weit entfernter Galaxien nicht nur von den Sternen ausgeht,
sondern auch von gewaltigen Stoßwellen im Gas kollidierender Galaxien erzeugt
wird. Übrigens wird unsere Milchstraße in zwei Milliarden Jahren voraussichtlich
mit dem Andromeda-Nebel zusammenstoßen und dabei selbst eine kosmische Stoßwelle
erzeugen.
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