Zwei Supernova-Explosionen alle 100 Jahre
Redaktion / MPG
astronews.com
5. Januar 2006
Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische
Physik haben mithilfe des Weltraumteleskops Integral galaktische Regionen
identifiziert, in denen
neue Atomkerne produziert werden. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Nukleosynthese
neuer Atomkerne galaxienweit in Sternentstehungsgebieten stattfindet.

Radioaktiver Zerfall von instabilen Isotopen
führt zur Aussendung von Gammastrahlen, deren Energie (= Farbe)
von den Eigenschaften des Atomkerns diktiert ist. Bild: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
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Unsere Welt und die darin vorhandenen Elemente sind "Sternenstaub", also erst im
Inneren von Sternen durch Kernfusion entstanden. Für die bei diesen Prozessen
entstehende Gammastrahlung ist unsere Milchstraße praktisch transparent. Jetzt
ist es einem internationalen Astronomenteam um Roland Diehl vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching mit dem
ESA-Satelliten Integral gelungen, die von radioaktivem Aluminium 26Al ausgehende
Strahlung den Zentralbereichen der Milchstraße zuzuordnen.
Diese Messungen
zeigen, dass die Nukleosynthese neuer Atomkerne galaxienweit in
Sternentstehungsgebieten stattfindet. Aufgrund der neuen Messungen schätzen die
Forscher, dass es derzeit allein von diesem sehr seltenen radioaktiven Isotop in
der Milchstraße etwa das Dreifache der Sonnenmasse gibt. Um eine solche Menge
dieses Isotops zu erzeugen, müssen sich in unserer Galaxie im Durchschnitt zwei
Supernova-Explosionen pro Jahrhundert ereignet haben.
Radioaktive Isotope kennen wir im Alltag als Kontrastmittel bei medizinischen
Untersuchungen oder bei der Strahlenbehandlung. Astrophysiker nutzen die
Tatsache, dass radioaktive Isotope bei ihrem Zerfall durchdringende
Gammastrahlen aussenden, die dann mit Satellitenteleskopen messbare Botschaften
von kosmischen Kernfusionsreaktionen überbringen. So kündet die im Jahre 1978
entdeckte kosmische Gammastrahlung des Aluminium-Isotops 26Al mit einer
Halbwertszeit von etwa 720.000 Jahren davon, dass in dieser "Fast"-Gegenwart"
neue Atomkerne erzeugt werden. Die Supernova 1987A brachte dann den direkten
Beweis, als man erstmalig Gammalinien kurzlebiger Radioaktivität gemessen hat,
die nur in dieser Supernova in unserer nahen Nachbargalaxie LMC entstanden sein
konnte.
Astrophysiker des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching
waren am Bau und Betrieb der ersten Himmelsdurchmusterung nach derartiger
Gammastrahlung von kosmischer Radioaktivität beteiligt. Roland Diehl und seine
Kollegen vom MPE konnten auf diese Weise in den 1990er-Jahren erstmals zeigen,
dass diese relativ langlebige Radioaktivität über weite Bereiche entlang der
Ebene der Milchstraße auftritt, dass also die Produktion neuer Atomkerne ein
durchaus verbreitetes Phänomen ist.
Dies war für die Fachwelt überraschend, da man in Meteoriten aus dem frühen
Sonnensystem Ende der 1970er-Jahre eindeutige Zerfallsspuren des gleichen
Aluminium-Isotops 26Al nachgewiesen hatte. Daraus hatten Astrophysiker
seinerzeit gemeinsam mit Geophysikern und Mineralogen geschlossen, dass die
Radioaktivität dieses Aluminium-Isotops eine ganz besondere Rolle bei der
Entwicklung der Planeten des Sonnensystems gespielt haben muss: Die radioaktive
Energie verhalf dem kometenartigen Material durch seine materialaufschmelzende
Wärme zur Bildung von Gestein.
Deshalb war in den 1980er-Jahren die Vermutung
verbreitet, dass die Synthese des 26Al-Isotops auf besondere Weise mit der
Entwicklung des Sonnensystems verbunden sein musste. Es gab also auf der einen
Seite ein Gammasignal von 26Al aus der Galaxie, das die Entstehung von
26Al
innerhalb der letzten Jahrmillionen widerspiegelt, und auf der anderen Seite
Spuren von bedeutenden Mengen des 26Al-Isotops aus den Anfängen des
Sonnensystems vor etwa 4,5 Milliarden Jahren.
Diese unterschiedlichen Befunde führten zu der Vermutung, dass 26Al tatsächlich
ein Nebenprodukt aktueller kosmischer Nukleosynthese-Prozesse sein könnte, die
nach den gängigen Theorien der 1950er-Jahre in Sternen, Nova- und
Supernova-Explosionen ablaufen sollten. Im frühen Sonnensystem vermutete man
spezielle Bedingungen für eine besondere Anreicherung von 26Al, mit weitreichenden Konsequenzen für unsere irdische Umgebung.
Bis heute ist unklar,
ob eher eine ganz in der Nähe befindliche Nukleosynthese-Quelle uns einen
Extra-Bonus verschafft hat, oder ob bei der Bildung der Sonne hochenergetische
Teilchenströme die metallischen Bestandteile des frühen Sonnennebels mit 26Al
anreichern konnten. Während also die Gammastrahlung vom Zusammenwirken
zahlreicher kosmischer Nukleosynthese-Ereignisse in weiten Bereichen der Galaxie
kündet, blieb die Frage unbeantwortet, welche Beträge dazu von speziellen Orten
oder Gebieten der Galaxie kommen und wie viel von dem 26Al-Isotop unsere Galaxie
insgesamt enthält?
Eine Antwort darauf ermöglicht nun die neuartige Beobachtungstechnik, die mit
dem ESA-Satelliten Integral zur Verfügung steht. Auf Integral befindet sich ein Spektrometer, das die Energie der Gammastrahlung von
26Al mit bisher
unerreichter Präzision messen kann. Möglich ist dies durch aus
Kernphysik-Laboratorien bekannte Halbleiter-Detektoren, die bei tiefen
Temperaturen unterhalb 90K (entsprechend -183 Grad Celsius) betrieben werden und
eine rauscharme Energiemessung bieten. Ein Satellitenteleskop mit einer Kamera
aus solchen Detektoren wird an Bord von Integral seit Oktober 2002 im Weltall
betrieben, in einer Höhe von bis zu 150.000 Kilometern über der Erde.
Der Betrieb dieses Spektrometers wird durch die kosmische Strahlung erschwert,
die die Halbleiterstrukturen durch ihr Bombardement zerstört. Die französischen
Kollegen vom CESR-Institut in Toulouse, die gemeinsam mit der Garchinger Gruppe
und einigen anderen europäischen Instituten dieses Gamma-Spektrometer entwickelt
haben, lösen das Problem mit einem Trick: Durch eine periodische Heizung im
Weltall können sie die Strahlenschäden an den Detektoren so gering halten, dass
das Gammaspektrometer seine Präzision über Jahre hinweg halten konnte. Da das
Gerät nur in Zeitabständen von Minuten jeweils einzelne Gammastrahlen-Quanten
von 26Al registriert, dauert es viele Monate, bis das aufgesammelte Signal ein
hinreichend präzises Spektrum zur Energiemessung liefert.
Roland Diehl und seine Kollegen haben nun entlang der Ebene der Milchstraße eine
solche Energiemessung vorgenommen, und nach Variationen gesucht, die auf den
Ursprungsort der Gammastrahlung hinweisen. Unsere Galaxie rotiert um ihren
Zentralbereich, allerdings nicht starr wie etwa ein Rad um seine Achse: Vielmehr
müssen innere Bereiche der Galaxie schneller umlaufen als außenliegende, um
nicht durch das galaktische Schwerefeld ins Zentrum zu stürzen. Daher sieht man
beim Blick ins Innere der Galaxie Teilbereiche, die sich scheinbar relativ
schnell von der Sonne weg bzw. auf sie zu bewegen.
Über den Doppler-Effekt führt
diese Relativbewegung zu einer Farb-, also Energie-Verschiebung der Gammalinie
radioaktiven 26Al. Die von der Kernphysik sehr präzise vorgegebene
Gammalinien-Energie von 1808.65 Kiloelektronenvolt wird also durch
Doppler-Verschiebung charakteristisch verändert, wenn sich die Quellen der
Gammastrahlung in diesen inneren Bereichen der rotierenden Galaxie befinden.
Genau ein solches Signal haben die Garchinger Forscher in ihren Integral-Daten
erkannt.
Dies zeigt, dass die Gammastrahlung vom radioaktiven Zerfall des 26Al-Isotops
uns tatsächlich aus den Zentralbereichen der Galaxie erreicht, und nicht etwa
aus davor liegenden Regionen speziell erhöhter 26Al-Produktion - denn diese
würden nicht so schnelle Relativbewegungen zur Sonnenumgebung zeigen. Daraus
schlussfolgern die Forscher: Wenn uns die 26Al-Gammastrahlen offenbar aus dem
Galaxieninnern erreichen, dann können wir die gemessene Intensität über unser
geometrisches Verständnis der Milchstraßenform den jeweiligen Quell-Entfernungen
zuordnen und so die Gesamtmenge an radioaktivem 26Al abschätzen, die unsere
Galaxie enthält.
Die Garchinger Forscher schätzen diese auf eine Menge, etwa drei Mal so groß wie
die Masse der Sonne - und dies von einem Isotop, das eine extrem seltene
Beimischung ist. So betrug der Anfangsanteil in der sich bildenden Sonne
5/100000, im Verhältnis zum normalen, stabilen Isotop des Aluminium (27Al). Da
Theoretiker aufgrund der Himmelskarte der 26Al-Emission schon geschlossen
hatten, dass galaxienweit nur die sehr massereichen Sterne wesentlich zur 26Al-Produktion beitragen, die dann auch als Supernova explodieren, können die
Garchinger Forscher damit auch die Anzahl der Supernovae bestimmen, die einer
solchen galaktischen Menge von 26Al entsprechen:
Etwa zwei solcher
Supernova-Explosionen massereicher Sterne müssten sich pro Jahrhundert im Mittel
in der Galaxie ereignen, um die beobachtete 26Al-Radioaktivität aufrecht zu
erhalten. Diese Zahl stimmt wiederum recht gut mit aus der Beobachtung anderer
Galaxien abgeschätzten Rate überein. Daher bestätigen die Gammalinien-Messungen
der Garchinger Forscher sowohl die indirekten Schätzungen der
Supernova-Häufigkeit als auch die Produktion von 26Al in massereichen Sternen und
Supernova-Explosionen.
Das Integral-Gammaspektrometer wird noch einige Jahre seinen Betrieb fortsetzen.
Damit hoffen die Forscher ihre Messung noch präzisieren zu können. "Diese
Gammastrahlen-Messungen ermöglichen Befunde über unsere Heimatgalaxie, die man
im optischen Bereich wegen der interstellaren Gaswolken nur sehr mühsam gewinnen
könnte", betont Projektleiter Roland Diehl.
An den Integral-Messungen beteiligt waren Wissenschaftler des
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, des Centre d'Etude Spatiale
des Rayonnements und Université Paul Sabatier, Toulouse/Frankreich, des DSM/DAPNIA/Service
d'Astrophysique, CEA Saclay, Gif-Sur-Yvette/Frankreich, der Clemson University,
Clemson/USA, der ESA/ESTEC, Noordwijk/Niederlande sowie der Space Sciences Lab.,
Berkeley/USA.
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