Dem Tanz der Galaxien auf der Spur
Redaktion
astronews.com
4. März 2005
Galaxien erscheinen am Himmel als quasi statische Objekte. Das sind sie
allerdings keineswegs, nur gelang es bislang nicht, ihre Bewegung von der Erde
aus direkt nachzuweisen. Genau dies gelang aber jetzt Astronomen erstmals mit
Hilfe einer Reihe von Radioteleskopen bei unserer Nachbargalaxie M33: Sie bewegt
sich mit einer Geschwindigkeit von 190 Kilometern pro Sekunde durchs All.
Galaxie M33 im Sternbild Dreieck. Die Positionen, in denen
Wassermaser-Aktivität nachgewiesen wurde, sind markiert. Bild:
Travis Rector (NRAO/AUI/NSF und NOAO/AURA/NSF), David Thilker (NRAO/AUI/NSF),
und Robert Braun (ASTRON) [Großansicht] |
Mit einer Armada von Radioteleskopen haben sich Astronomen einen 80 Jahre lang
gehegten Traum erfüllt und erstmals die Bewegung einer benachbarten Galaxie am
Himmel direkt nachgewiesen. Die Wissenschaftler hoffen, mit diesen Messungen das
zukünftige Schicksal unseres eigenen Sternsystems, der Milchstraße,
vorherzusagen. Die Forscher bestimmten außerdem die Entfernung der Galaxie M33
sehr präzise zu 2,4 Millionen Lichtjahren. Geleitet hat das Team Andreas
Brunthaler, während er am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie
Mitglied der International Max Planck Research School for Radio and Infrared
Astronomy war. Das Team veröffentlichte ihre Ergebnisse in der heutigen
Ausgabe des Fachblattes Science.
Galaxien bestehen aus Milliarden von Sternen sowie Staub- und Gaswolken und
bilden selbst wieder größere Gruppen. Unsere Milchstraße gehört beispielsweise
zu einem kleineren Galaxienhaufen, der Lokalen Gruppe. Unter dem Einfluss der
Gravitation umkreisen sich die Mitglieder dieser Galaxienfamilie und führen
dabei einen galaktischen Tanz auf, der mehrere Milliarden Jahre dauert. Wegen
der riesigen Abstände zwischen den Galaxien erscheinen deren Bewegungen sehr
langsam, gleichsam wie in extremer Zeitlupe. Daher sind ferne
Milchstraßensysteme für den Beobachter am Himmel üblicherweise statische
Objekte.
In den 1920er-Jahren hatte der niederländische Astronom Adriaan van Maanen
jedoch verkündet, die Drehungen und Bewegungen von so genannten Spiralnebeln -
wie Galaxien zu der Zeit genannt wurden - gemessen zu haben. Der amerikanische
Forscher Edwin Hubble konnte jedoch kurz darauf diese Behauptung im Rahmen einer
berühmten Debatte über die Größe des Universums widerlegen. Er zeigte, dass die
"Spiralnebel" eigenständige Galaxien sind - und viel zu weit von uns entfernt,
um deren Dynamik mit den damals verfügbaren astronomischen Instrumenten
aufzuspüren.
Genau das ist jetzt aber einem internationalen Team mit präzisen
Radiobeobachtungen gelungen. Die Forscher haben die Bewegung von
Wasserdampfwolken in der nahe gelegenen Galaxie M33 über einen Zeitraum von drei
Jahren verfolgt. Der Wasserdampf verhält sich wie ein natürlicher Laser, der
aber Radiowellen aussendet. Das Ergebnis der Messungen: Die Galaxie "tanzt"
100-mal langsamer als von van Maanen behauptet. "Mehr als 80 Jahre später ist
damit der Traum des niederländischen Astronomen Realität geworden - allerdings
anders, als er sich das vorgestellt hat", sagt Andreas Brunthaler. Er gehörte
der Gruppe ebenso an wie Heino Falcke, der inzwischen als Professor für
Astronomie in den Niederlanden lehrt, sowie Christian Henkel, wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Weiter im Team
waren Mark Reid und Lincoln Greenhill vom Harvard Center for Astrophysics
(USA).
Die Messungen zeigen, dass die Wasserdampf-Regionen zusammen mit der Galaxie pro
Jahr nur um etwa 30 Mikrobogensekunden am Himmel wandern. Die Messgenauigkeit
betrug 5 Mikrobogensekunden jährlich. Zum Vergleich: Aus einer Distanz von 500
Kilometern ließe sich damit noch eine Verschiebung von 0,01 Millimeter pro Jahr
entdecken. "Mit der von uns erreichten Präzision könnten wir von Bonn aus sehen,
wenn sich in Berlin etwas um Haaresbreite bewegt", sagt Heino Falcke, der die
Arbeit in Bonn betreute. Für ihre Beobachtung schalteten die Astronomen mit
Hilfe der interkontinentalen Radiointerferometrie (Very Long Baseline
Interferometry, VLBI) tausende Kilometer voneinander entfernte
Radioteleskope zu einem Riesenteleskop zusammen.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich M33 mit 190 Kilometer pro Sekunde um unsere
Milchstraße und in Richtung unserer Schwestergalaxie, dem Andromedanebel,
bewegt. Auch wenn M33 auf dieses System zurast, wird sie es knapp verfehlen. Die
Forscher hoffen, dass sich mit diesen Resultaten sowohl die
Entstehungsgeschichte der Milchstraße als auch deren zukünftige Entwicklung
besser verstehen lassen. So wäre es nach derzeitigem Kenntnisstand durchaus
möglich, dass die Milchstraße in einigen Milliarden Jahren mit der
Andromedagalaxie kollidieren und verschmelzen wird.
Dank ihrer Beobachtungstechnik haben die Wissenschaftler aus den gemessenen
Daten aber auch die Entfernung der Galaxie M33 auf rein geometrischem Weg direkt
bestimmt und das Universum in unserer Nachbarschaft neu vermessen. Demnach ist
M33 etwa 2,4 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Genaue
Entfernungsbestimmungen stellen grundsätzlich ein großes Problem in der
Astronomie dar. Weil nicht einfach ein Maßband durch das Weltall gelegt werden
kann, müssen die Forscher komplizierte Methoden benutzen, die jedoch häufig mit
unbekannten Fehlern behaftet sind. Daher ist es wichtig, direkte geometrische
Entfernungen zu ermitteln. Diese Messungen dienen dazu, die extragalaktische
Entfernungsskala neu zu eichen - und mit jedem weiteren Jahr des Experiments
werden die Resultate genauer.
Exakte Entfernungen und Bewegungen werden in der Astronomie außerdem dazu
genutzt, die Masse von Objekten abzuschätzen. Frühere Beobachtungen haben
gezeigt, dass der größte Teil des Universums in einer mysteriösen dunklen
Materie steckt. Die Astronomen erwarten, mit weiteren Beobachtungen von
Galaxienbewegungen unsere Milchstraße und ihre Nachbargalaxien genau zu
"wiegen". Das wird zeigen, wie viel dunkle Materie es im lokalen Universum gibt.
"Es ist immer besonders erfreulich, wenn ein Student schon im frühen Stadium
seiner wissenschaftlichen Karriere derart fundamentale Forschungsergebnisse
erzielt. Nicht zuletzt tragen solche Erfolge auch zum Ansehen und zur
Attraktivität der Ausbildung in unserer Research School bei", sagt Anton Zensus,
Geschäftsführender Direktor am Bonner Max-Planck-Institut und Sprecher der
International Max Planck Research School for Radio and Infrared Astronomy,
über Brunthalers Erfolg.
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