Venus sechs
Stunden lang vor der Sonnenscheibe
von
Hans Zekl
für
astronews.com
4. Juni 2004
Der 8. Juni 2004 ist kein gewöhnlicher Dienstag:
Astronomen – Profis und Amateure – und Millionen von Schaulustigen in vielen
Ländern der Welt warten gespannt auf ein besonderes Ereignis. An diesem Tag
wandert unser nächster Nachbarplanet, die Venus, als kleiner schwarzer Punkte
über die Sonnenscheibe. Aber was begeistert Forscher und Hobbyastronomen so an
diesem Ereignis?
Die Venus vor der Sonne am 8. Juni 2004 um 10:30 Uhr MESZ.
Bild:
ESO / R. Boninsegna |
Zuallererst: Venusdurchgänge, auch Transit genannt, sind sehr, sehr selten. In
243 Jahren finden sie nur vier Mal statt. Seit der Erfindung des Fernrohrs
Anfang des 17. Jahrhunderts konnten Astronomen nur 5 Venusdurchgänge beobachten.
Theoretisch ist der Planet groß genug, um dabei mit bloßem Auge vor der Sonne
gesehen zu werden, aber wegen der extremen Helligkeit ist das ohne
Schutzmaßnahmen zu gefährlich. Daher: Niemals ohne ausreichende Schutzmaßnahmen in die
Sonne blicken. Erblindung bzw. schwere Augenschäden sind die Folge. Wie bei
einer Sonnenfinsternis müssen geeignete Filter verwendet werden. Flaschenböden
oder berußte Scheiben sind unbrauchbar. Die Finsternisbrillen aus dem Jahr 1999
können auf jeden Fall verwendet werden, wenn sie unbeschädigt sind. Die
sicherste Methode ist die Projektion der Sonne auf eine weiße Fläche wie etwa
ein Blatt Papier oder einen Karton.
Der letzte Venusdurchgang fand am 6. Dezember 1882 statt. Damit hat kein heute
lebender Mensch dieses Himmelsschauspiel gesehen. Wer den Durchgang diesmal
verpasst, hat 2012 eine zweite Chance - allerdings sind die
Beobachtungsbedingungen von Europa aus dann schlechter. Danach
findet der nächste Transit erst wieder im Jahr 2117 statt. Venusdurchgänge
erfolgen in einem ziemlich regelmäßigen Rhythmus: normalerweise treten sie
paarweise in einem Abstand von 8 Jahren auf. Dann dauert es 105,5 Jahre bis zum
nächsten Paar und danach weitere 121,5 Jahre, bevor sich der Zyklus wiederholt.
Gelegentlich gibt es aber nur einen Durchgang, anstatt eines Paares. So wird dem
Transit am 18. Dezember 3089 acht Jahre später kein zweiter folgen. Auch im 14.
Jahrhundert gab es nur einen Durchgang.
Der zweite Grund für die Begeisterung liegt in der spannenden Geschichte, die
mit den früheren Beobachtungen im 17., 18. und 19. Jahrhundert verbunden ist.
Entbehrungsreiche, jahrelange Seereisen, internationale Konflikte, seltsame
Phänomene und umstrittene Ergebnisse liefern den Stoff für einen
Wissenschaftsthriller.
Erstmals machte Johannes Kepler im 17. Jahrhundert darauf aufmerksam, dass die
Venus am 6. Dezember 1631 vor der Sonne erscheinen würde. Allerdings erlebt er
die Bestätigung seiner Vorhersage nicht mehr, weil er 1630 starb. Obwohl die
Vorhersage weltweit bekannt war, sind keine Beobachtungen überliefert. In Europa
war der Durchgang aber nicht zu sehen. Erst der Transit vom 4. Dezember 1639
wurde von zwei englischen Astronomen, Jeremiah Horrocks und William Crabtree,
beobachtet. Horrocks hatte erst wenige Tage zuvor errechnet, dass das Ereignis
bevorstand.
Für die nächsten beiden Transits, 1761 und 1769, wurden große wissenschaftliche
Expeditionen ausgerüstet. Der britische Hofastronom Edmond Halley, bekannt durch
den nach ihm benannten Kometen, hatte eine Methode gefunden, wie man aus den
Beobachtungen des Venustransits die Entfernung zur Sonne, die astronomische
Einheit, bestimmen kann. Damit wäre es endlich möglich gewesen, die Entfernung
der Planeten zu bestimmen. Beobachtet man das Ereignis gleichzeitig von der
Nord- und der Südhalbkugel, so läuft die Venus auf unterschiedlichen Pfaden vor
der Sonne vorbei. Aus dem Winkelunterschied und den Keplerschen Gesetzen lässt
sich die wahre Entfernung zur Sonne berechnen. Doch waren die Ergebnisse der
Expeditionen nicht so wie erhofft. Ein merkwürdiges Phänomen behinderte die
genauen Messungen. Die Ränder der Venus und der Sonne scheinen für einige
Sekunden durch eine dunkle Brücke verbunden zu sein. Dadurch lässt sich der
Zeitpunkt des Kontakts nicht genau genug bestimmen, der für die Berechnungen
notwendig ist. Bis heute ist die Ursache des heute als "schwarzer Tropfen"
bekannten Phänomens nicht eindeutig geklärt.
Jedenfalls führte es dazu, dass die
Ergebnisse für die astronomische Einheit im 18. Jahrhundert zwischen 149 und 156
Millionen Kilometern schwankten. Deshalb waren beim ersten Transit im 19.
Jahrhundert, im Jahr 1874 zweiundsechzig Expeditionen aufgebrochen, um das
Problem zu lösen. Trotz des immensen Aufwands war die Enttäuschung groß: die
Ergebnisse waren nicht besser als zuvor! Erst 1892 gelang es durch die
Auswertung der Fotos des Transits aus dem Jahr 1882 die Entfernung zur Sonne mit
149.340.000 Kilometern zu bestimmen. Der moderne, genaue Wert beträgt 149.597.870 Kilometer.
Heute haben Venusdurchgänge nicht mehr den wissenschaftlichen
Stellenwert wie früher. Dennoch dürfte der kommende Transit am 8. Juni zu den
meistbeobachteten astronomischen Ereignissen gehören. Um 07.20 Uhr MESZ berührt die
Venus von links kommend den unteren Sonnenrand. Nach etwa 20 Minuten befindet
sie sich vollständig innerhalb der Sonnenscheibe und wandert langsam weiter auf
den rechten Sonnenrand zu. Diesen erreicht sie um 13.04 Uhr MESZ. 19 Minuten später,
um 13.23 Uhr MESZ, ist das Ereignis vorbei. Das Wetter ist im Gegensatz zu einer
totalen Sonnenfinsternis nicht so kritisch, dauert das Ereignis doch sechs Stunden.
In dieser Zeit sollte es auch bei schlechtem Wetter hin und wieder eine
Wolkenlücke geben.
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