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Kosmische Archäologie mit größtem Hubble-Bild
Redaktion
astronews.com
16. Januar 2004
Ein
internationales Astronomenteam stellte unlängst die größte bislang mit
dem Hubble-Weltraumteleskop gewonnene Farbaufnahme vor. Das Bild
zeigt mehr als 40.000 Galaxien mit unterschiedlicher Entfernung und Aussehen
- für die Forscher eine einmalige Chance die Entwicklung von Galaxien in
den letzten neun Milliarden Jahren zu studieren.
Mosaik aus 80 hellen Galaxie im GEMS-Feld. Deutlich erkennbar
ist die Vielfalt der Formen, Größen und Strukturen: Elliptische
Galaxien, Spiralgalaxien, einige davon mit ausgeprägten
Balkenstrukturen, und spektakuläre Paare und Gruppen
wechselwirkender Galaxien.
Bild:
GEMS-Kooperation [Großansicht] |
Die größte bisher mit dem Weltraumteleskop Hubble gewonnene Farbaufnahme
wurde vergangene Woche auf der jüngsten Tagung der American Astronomical
Society in Atlanta vorgestellt. Dr. Eric F. Bell vom Max-Planck-Institut für
Astronomie in Heidelberg und Dr. Shardha Jogee vom Space Telescope Science
Institute in Baltimore zeigten einen Vollmond-großen Himmelsausschnitt im
Sternbild Fornax auf der südlichen Hemisphäre, auf dem mehr als 40.000 Galaxien
zu sehen sind. Das Bild ist ein Mosaik, zusammengesetzt aus 78 mit der
Advanced Camera for Surveys gewonnenen Einzelaufnahmen. Die beiden
Astronomen gehören zu einem internationalen Konsortium mit dem Namen GEMS, für Galaxy
Evolution from Morphology and Spectral Energy Distributions, das von Prof.
Hans-Walter Rix, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie, geleitet wird.
Die Forscher betonten, dass das Bild helfen werde zu verstehen, wie sich große,
unserem Milchstraßensystem ähnliche Galaxien während der letzten 9 Milliarden
Jahre, also über etwa zwei Drittel des Alters des Universums, entwickelt haben.
Die Größe dieses Bildes ist für die zu gewinnenden Erkenntnisse wesentlich. Die
Galaxien sind nicht gleichmäßig über den Himmel verteilt: Sie bilden im Weltraum
Haufen und Ketten. Deshalb können kleinere Himmelsausschnitte zufällige,
untypische Merkmale aufweisen. Zum Vergleich: Auf Nachtaufnahmen erscheinen die
Ballungsgebieten in ganz Europa hell erleuchtet, Ackerland, Wälder, Berge und
Seen bleiben dagegen dunkel. Um zu verstehen, wie die Bevölkerung über Europa
verteilt ist, muss man also ein hinreichend großes Gebiet untersuchen, in dem
sowohl dunkle, dünn besiedelte Areale vorkommen, als auch hell erleuchtete
Areale, in denen die großen, dicht besiedelten Städte liegen. Gleiches trifft
auch auf die Verteilung der Galaxien am Himmel zu: Nur wer eine Vielzahl ihrer
Größen und Formen untersucht, kann letztlich die ganze Bandbreite möglicher
Galaxientypen erfassen und beispielsweise kurze, heftige Phasen ihrer
Entwicklung herausfinden.
Für das GEMS-Projekt hatten die Astronomen ein Himmelsareal ausgewählt, für das
- aufgrund einer vorangehenden, in Heidelberg und Oxford durchgeführten Studie -
die Entfernung von annähernd zehntausend einzelnen Galaxien bereits bestimmt
worden war. Weil das Universum expandiert, entfernen sich die Galaxien umso
schneller von uns, je größer ihr Abstand von uns ist. Aufgrund dieses
Doppler-Effekts lässt sich aus den Spektren der Galaxien deren
Fluchtgeschwindigkeit und damit ihre Entfernung ableiten. Und weil die
Lichtgeschwindigkeit endlich ist, sehen wir die ferneren Galaxien in einem
früheren Stadium als die näheren. Mit Hilfe dieser "Zeitmaschine" schauen wir
auf dem GEMS-Bild bis zu 9 Milliarden Jahre in die Vergangenheit zurück, das
sind bis zu 4,5 Milliarden Jahre vor der Entstehung der Sonne und der Erde.
Dr. Christian Wolf, University of Oxford, und Dr. Klaus Meisenheimer,
Max-Planck-Institut für Astronomie, hatten zusammen mit ihren Kollegen innerhalb
des GEMS-Feldes die Entfernung von etwa 10.000 Galaxien mit einer Genauigkeit
von wenigen Prozent bestimmt. Dieser einmalige Datensatz in Verbindung mit der
exzellenten Qualität der Hubble-Bilder ermöglichte es nun, zu
untersuchen, wie sich die Größen, Formen und Strukturen der Galaxien im Laufe
der letzten 9 Milliarden Jahre entwickelt haben. Zum Beispiel: Wie kam es zur
Ausbildung von Balkenstrukturen in den Spiralgalaxien? Die "Balken" sind
längliche Verdichtungen in der zentralen Verteilung der Sterne in den Galaxien.
Sie beeinflussen die Dynamik des interstellaren Gases, treiben es in den
zentralen Bereich und können dadurch spektakuläre Ausbrüche von Sternbildungen
auslösen. Heute gibt es diese Balkenstrukturen in den meisten Spiralgalaxien,
einschließlich unseres eigenen Milchstraßensystems. Doch wenig ist darüber
bekannt, wann und wie sie entstanden sind.
Eines der Ziele des GEMS-Projekts ist es deshalb, zu untersuchen, wie die
Wechselwirkungen der Galaxien untereinander ihre spätere Entwicklung beeinflusst
haben. Wechselwirkende Galaxien üben starke Gravitationskräfte aufeinander aus,
die zu gravierenden morphologischen Veränderungen führen können, bis hin zur
vollständigen Verschmelzung der wechselwirkenden Partner zu einem neuen,
gänzlich anders strukturierten Objekt. Auf dem neuen GEMS-Bild sind einige
wechselwirkende und verschmelzende Galaxien aus allen Epochen unseres Universums
bis zurück in die Zeit vor etwa 9 Milliarden Jahren zu erkennen. Aus den
beobachteten, manchmal bizarren Formen, wie doppelten Galaxienkernen, Tausenden
von Lichtjahren langen Gezeitenschwänzen aus unzähligen aus den Galaxien
herausgeschleuderten Sternen und extrem exzentrischen Sternentstehungsgebieten,
lässt sich die innere Dynamik der beteiligten Systeme rekonstruieren.
Die gravitativen Wechselwirkungen können aber auch mächtige Ströme
interstellaren Gases in die massereichen Schwarzen Löcher kanalisieren, die in
den Zentren der Galaxien liegen, und damit heftige Aktivitätsphasen in den
galaktischen Kernregionen auslösen. Aus GEMS werden die Forscher noch viel
lernen über die Struktur solcher aktiven Galaxien und über die Häufigkeit von
Wechselwirkungen während der verschiedenen Epochen ihrer Entwicklung. Es
scheint, als ob die Wechselwirkungen in der Frühzeit des Universums wesentlich
häufiger vorkamen als heute. "Heute werden die meisten massereichen Galaxien
einfach älter, sie verblassen langsam, bis sie eines Tages in der Dunkelheit
verschwunden sind," sagt Hans-Walter Rix. Das GEMS-Bild zeigt auch, dass der
Anteil der elliptischen Galaxien heute deutlich höher ist als in der
Vergangenheit. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass zumindest ein Teil der
Elliptischen Galaxien aus der Verschmelzung massereicher Spiralgalaxien
entstanden ist.
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