SURVEYS
Sternenrelikt aus der Frühzeit des Universums
Redaktion
astronews.com
31. Oktober 2002
Unter der Leitung von Astronomen der Hamburger Sternwarte gelang
unlängst ein spektakulärer Fund: Die Forscher spürten einen Stern auf, der
kaum schwere Elemente besitzt und damit aus einer Zeit stammen dürfte, in
der sich unsere Galaxie gerade bildete. Das Sternenrelikt stellt auch die
Theoretiker vor ein Problem: Nach ihren Modellen sollte es solche Sterne
eigentlich gar nicht geben.

Der Stern HE 0107-5240.
Foto: ESO /STScI Digitized Sky Survey, AURA Inc. |
Von der spektakulären Entdeckung eines Sterns mit dem bislang geringsten
Anteil an schweren Elementen berichtet ein von Hamburger Astronomen geleitetes,
internationales Forscherteam in der aktuellen Ausgabe des renommierten
Fachjournals Nature. Der Stern besitzt 200.000 mal weniger schwere
Elemente als unsere Sonne - dass ist nur ein Zwanzigstel des bisherigen
Rekordhalters. Die Forscher sehen in dem Stern ein Relikt aus der Zeit
unmittelbar nach dem Urknall, denn alle Elemente schwerer als Wasserstoff und
Helium sind erst in Sternen entstanden. Je älter ein Stern ist, desto weniger an
schweren Elementen sollte er also enthalten. Die Entdeckung des Sterns wirft
aber auch neue Fragen auf - so widerspricht seine Existenz eigentlich
theoretischen
Modellen zur Entstehung von "metallarmen" Sternen.
Seit 30 Jahren bemühen sich die Astronomen, Sterne aufzuspüren, die Spuren
der Entstehungsgeschichte der Milchstrasse in sich tragen. Unsere Galaxis ist
kurz nach dem Urknall aus einer gigantischen Ansammlung von Gas entstanden.
Dieses Gas, dass sich ursprünglich nur aus Wasserstoff und Helium
zusammensetzte, wurde im Verlauf der Geschichte der Milchstrasse durch
explodierende Sterne immer weiter mit schwereren Elementen angereichert. Deshalb
sollten die ältesten Sterne nur sehr wenig dieser schweren Elemente enthalten.
Ein Team von Astronomen aus Deutschland, Schweden, Australien und den USA ist
nun auf einen Riesenstern gestoßen, dessen Anteil an schweren Elementen
lediglich 1/200.000 des entsprechenden Anteils bei unserer Sonne beträgt. Das
ist ein Zwanzigstel des Anteils an schweren Elementen, die bei dem bisherigen
Rekordhalter dieser Art von "metallarmen" Sternen gemessen worden ist. Der Stern
bietet den Astronomen damit die einzigartige Möglichkeit, stellares Gas mit
einer Zusammensetzung zu untersuchen, die nahezu jener unmittelbar nach dem
Urknall entspricht.
Zugleich wirft diese Entdeckung aber auch neue Fragen auf. Die meisten Sterne
bewegen sich innerhalb der Scheibe unserer Galaxis. Ein bis zwei Prozent ihrer
Masse bestehen aus Elementen schwerer als Wasserstoff und Helium. So ist es auch
bei der Sonne, die etwa halb so alt ist wie die Galaxis. Es gibt allerdings eine
Population von Sternen, bei denen der Anteil an schweren Elementen lediglich
1/10 bis 1/100 dieses "solaren" Wertes beträgt. Diese Sterne bewegen sich in
einem großen Schwarm um die Milchstrasse, dem so genannten Halo. Sie wurden
geboren, als die Galaxis noch jung war und ihre Bewegung enthält noch
Informationen über die Entstehungsprozesse der Milchstrasse, aus der Zeit der
ersten Sternentstehung. Die Astronomen bezeichnen die Halo-Sterne als Population
II, im Gegensatz zu den jüngeren Sternen der Scheibe, die Population I genannt
wird.
Woher stammt nun der - wenngleich geringe - Anteil an schweren Elementen in
den Sternen der Population II? Es muss bereits Supernovae oder andere
explodierende Sterne in der sehr jungen Galaxis - oder gar der Proto-Galaxis -
gegeben haben, aus deren Überresten sich die Sterne der Population II gebildet
haben. Diese bislang hypothetische Sternengeneration wird als Population III
bezeichnet. Die Astronomen haben mit verschiedenen Methoden versucht, Sterne der
Population III zu finden, die noch keine schweren Elemente enthalten sollten -
bislang ohne Erfolg.
Die Hamburger Sternwarte führt gegenwärtig eine systematische Suche nach den
"metallärmsten" Sternen durch. Mit Hilfe eines Weitwinkel-Teleskops der
Europaeischen Südsternwarte in Chile wurde dazu eine große Sammlung von Bildern
des südlichen Sternenhimmels gewonnen. Vor dem Objektiv des Teleskops war dabei
ein Prisma angebracht, so dass auf den Bildern von jedem Stern nicht ein Punkt,
sondern ein kleines Spektrum erscheint. Das Hauptziel dieses "Hamburg/ESO-Surveys"
war zunächst die Suche nach Quasaren. Schon bald jedoch zeigte sich, dass die
Aufnahmen den Forschern auch eine reichhaltige Ernte an metallarmen Sternen
lieferte.
Mittels einer Computeranalyse der Bilder, die Millionen von Sternen erfasst
hat, konnten 8.000 Sterne aufgespürt werden, die sehr wenig schwere Elemente
enthalten. Diese Sterne werden derzeit weltweit mit vielen Teleskopen mittlerer
Größe einer genaueren Untersuchung unterzogen. Kandidaten, bei denen sich die
ersten Vermutungen bestätigen, können dann mit den größten Teleskopen der Welt
beobachtet werden - um hochaufgelöste Spektren zu erhalten, die eine genaue
Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der Sterne ermöglichen.
Einer dieser Sterne ist HE 0107-5240. "HE" steht dabei für "Hamburg/ESO-Survey",
die Zahl gibt grob die Position des Objekts am Himmel an. Der Stern ist viele
tausend Mal leuchtschwächer als der schwächste Stern, der noch mit dem bloßen
Auge zu erkennen ist. Er befindet sich 36.000 Lichtjahre von uns entfernt im
Sternbild Phoenix. Im Dezember 2001 wurde HE 0107-5240 mit dem
UVES-Spektrographen des Very Large Telescopes der ESO beobachtet. Aus dem
damals gewonnen Spektrum konnten die Astronomen jetzt die chemische
Zusammensetzung des Sterns bestimmen. Es zeigte sich, dass es sich um den Stern
mit dem bislang geringsten Anteil an schweren Elementen handelt.
"Niemals zuvor sind wir mit der Untersuchung von Sternen so dicht an die
Zustaende unmittelbar nach dem Urknall herangekommen", erläutern Dr. Norbert
Christlieb, Hochschulassistent an der Hamburger Sternwarte, und Prof. Bengt
Gustafsson von der Sternwarte Uppsala, der die chemische Analyse in dem Team
leitet. "Aber offensichtlich ist schon eine Menge passiert zwischen dem Urknall
und der Entstehung dieses Sterns. Obwohl er arm an schweren Elementen ist,
enthält er eben doch schon einige davon. Diese wurden wahrscheinlich in noch
massereicheren Sternen gebildet, die als Supernovae explodiert sind. Außerdem
enthält der Stern ungewöhnlich viel Kohlenstoff und Stickstoff. Diese Elemente
sind wahrscheinlich durch Kernfusion im Inneren des Sterns entstanden und durch
Vermischung an die Sternoberfläche geraten. Es ist auch möglich, dass ein
benachbarter Stern am Ende seines Lebens Masse auf unseren Stern übertragen und
ihn so verschmutzt hat. Wir haben aber keine Beweise dafür, dass so etwas
passiert ist."
Theoretische Berechnungen hatten bislang vermuten lassen, dass sich Sterne mit
geringerer Masse als unsere Sonne nur schlecht aus Gaswolken ohne schwere
Elemente bilden können. Denn die schweren Elemente sind für eine effektive
Kühlung der Wolke während der Kontraktion nötig, damit Sterne entstehen können.
Die Existenz von HE 0107-5240, der lediglich die 0,8-fache Masse der Sonne
besitzt, zeigt nun, dass die Natur doch einen Weg für eine effektive Kühlung der
kontrahierenden Gaswolke gefunden haben muss. Die Theoretiker müssen also
offenbar ihre Modelle noch verbessern. Wenn ein Stern mit der 0,8-fachen Masse
der Sonne und dem 200.000stel des solaren Anteils an schweren Elementen im
frühen Universum entstehen konnte, dann sollten auch Sterne der Population III
mit geringen Massen entstehen können. Und wenn dem so ist, dann sollten diese
Sterne bis heute überlebt haben - und mit großen, systematischen Suchaktionen
wie dem Hamburg/ESO-Survey aufzufinden sein. Da von den 8000 Kandidaten des
Surveys erst ein Viertel genauer unter die Lupe genommen worden sind, ist es gut
möglich, dass in dieser Sammlung schon bald ein solcher Stern entdeckt wird.
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